Zahl offener Verfahren in Baden-Württemberg auf Rekordhoch
Der Deutsche Richterbund warnt angesichts der immer größer werdenden Masse an unerledigten Verfahren vor einer Überlastung der Justiz. Die Zahl neuer Fälle erreichte im vergangenen Jahr bundesweit mit mehr als 5,2 Millionen Verfahren ein Rekordhoch, wie Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn sagte. Der Aufwärtstrend setze sich fort. Ende Juni meldeten die Ermittlungsbehörden laut Richterbund fast 850.000 offene Verfahren. Die Zahl der unerledigten Fälle nahm im Vergleich zum Juni 2021 um 28 Prozent zu.
In Baden-Württemberg stieg die Zahl der nicht abgeschlossenen Ermittlungsverfahren laut Richterbund um fast ein Drittel (31 Prozent). Insgesamt mehr als 75.800 Fälle sind nach Angaben der Richter und des Justizministeriums noch offen, vor zwei Jahren waren es knapp 58.000.
Bundesweit am schnellsten sei der Stapel der Strafakten in Hamburg gewachsen: In der Hansestadt waren laut Richterbund im Juni rund 36.000 Ermittlungsverfahren anhängig gewesen - 57 Prozent mehr als vor zwei Jahren.
Eine Sprecherin des Landesjustizministeriums betonte, bezogen auf die Zahl der Einwohner im bundesweiten Vergleich stehe Baden-Württemberg noch sehr gut da. Liege der bundesweite Durchschnitt bei 10,2 offenen Verfahren pro 100.000 Einwohner, gebe es im Südwesten mit 6,8 Verfahren knapp hinter Bayern den zweitgeringsten Bestand.
Dennoch betonte Justizministerin Marion Gentges (CDU): «Diese Entwicklung stellt eine große Herausforderung dar, die wir bei weiteren Personalplanungen im Blick behalten.»
Im Laufe eines Ermittlungsverfahrens muss die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob sie eine Anklage einreichen oder das Verfahren einstellen möchte. Eine Frist dafür gibt es nicht.
Die Zahl der Verfahrenseingänge habe stark zugenommen und sich im ersten Halbjahr dieses Jahres nochmals deutlich verschärft, sagte die Minsteriumssprecherin. Gründe seien unter anderem eine höhere Zahl an Straftaten nach dem Aufenthaltsgesetz und mehr Fälle im Bereich der Kinderpornografie, weil die Strafen zuletzt verschärft wurden und immer mehr sogenannte Schulhof-Verfahren registriert werden müssten. In diesem Bereich, schoss die Zahl der Verfahren im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahreszeitraum laut Ministerium um 70 Prozent nach oben. Außerdem gebe es eine erweiterte Strafbarkeit von Geldwäsche.
Mit dem derzeitigen Personalstand lassen sich die Aktenberge nicht abtragen, warnte der Richterbund. Im Gegenteil. «Eine personell ausgelaugte Strafjustiz ist kaum noch in der Lage, mit den wachsenden Aufgaben Schritt zu halten», kritisierte Bundesgeschäftsführer Rebehn. Bundesweit fehlten nach den offiziellen Personalschlüsseln der Länder allein in den Staatsanwaltschaften und Strafgerichten 1500 Juristinnen und Juristen. Zudem komme hinzu, dass bis zum Jahr 2030 eine große Pensionierungswelle auf die Justiz zurolle.
Die Zahlen des Richterbundes gehen auf eine Umfrage bei den Justizverwaltungen der Länder zurück, die die vom Richterbund herausgegebene «Deutsche Richterzeitung» gemacht hatte.