Kliniken, Ärzte und Pflegekräfte warnen vor Kollaps
Die Krankenhäuser in Baden-Württemberg haben erneut vor einem finanziellen Kollaps gewarnt. Wenn die Häuser nicht schnell finanzielle Hilfe bekämen, drohe ein unkontrolliertes Krankenhaussterben, sagte Heiner Scheffold, Vorstandsvorsitzender der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG) am Dienstag in Stuttgart. Man habe die «Alarmstufe Rot» erreicht.
«Wenn nichts passiert, werden den Krankenhäusern im Land im Jahr 2023 mindestens 620 Millionen Euro fehlen», sagte Scheffold, der auch Landrat des Alb-Donau-Kreises ist. Als Grund nannte er überdurchschnittlich gestiegene Personal- und Sachkosten.
«Die Politik hat auf die Kostenexplosion in Folge des Ukrainekrieges nicht ausreichend reagiert», sagte Scheffold. Zugesagte Hilfen kämen zudem nicht bei den Krankenhäusern an. Im Südwesten sei die Lage besonders zugespitzt. «Die Kliniken in Baden-Württemberg sind chronisch unterfinanziert, weil wir im Bundesvergleich deutlich höhere Sach- und Personalkosten haben», sagte Scheffold.
Das liege auch an der hohen Tarifbindung in den Krankenhäusern, sagte Irene Gölz, Fachbereichsleiterin Gesundheit der Gewerkschaft Verdi. «Wenn Tarifbindung zum Nachteil wird, ist das dramatisch», sagte sie. Aus ihrer Sicht müssten die Personalkosten in den Krankenhäusern komplett finanziert werden – und nicht wie bisher nur die Kosten für die Pflegekräfte, die direkt am Bett arbeiten.
Vom Bund fordern die Kliniken einen Inflationsausgleich, zudem müsse das Land mehr für die Investitionen überweisen. Die vollständige Finanzierung der Investitionskosten lasse weiter auf sich warten, kritisierte Scheffold. Bislang zahle das Land nur gut 400 Millionen Euro pro Jahr, nötig seien aber 800 bis 850 Millionen Euro, so die Krankenhausgesellschaft.
Die Kliniken bräuchten dringend schnelle finanzielle Hilfen, man könne nicht auf die Krankenhausreform warten, die Bund und Länder derzeit aushandeln. «Ohne die vorherige Stabilisierung der Finanzen macht die Reform keinen Sinn, dann droht ein kalter und ungeregelter Strukturwandel», sagte Scheffold.
Ein Sprecher von Sozialminister Manne Lucha (Grüne) betonte, Baden-Württemberg stelle seinen Krankenhäusern seit Jahren Rekordsummen zur Verfügung. «Nicht alle Kosten, die beim Bau eines Krankenhauses anfallen, sind automatisch auch förderfähige Kosten. Das Land kommt seinen Verpflichtungen nach und unterstützt alle bedarfsgerechten Bauvorhaben nach Kräften», so der Sprecher. Die pauschale Forderung der BWKG nach mehr Geld könne man nicht stehen lassen: «Es gibt auch Krankenhaus-Träger, die einen Bau noch gar nicht umgesetzt haben, obwohl sie vom Land längst eine Förderung zugesagt bekommen haben.»
Unterstützung kam von den Landkreisen. Es sei eher fünf nach als fünf vor Zwölf, sagte Joachim Walter, Präsident des Landkreistags. «Es ist schlicht inakzeptabel, dass die Verantwortlichen in Bund und Land weiterhin den Kopf in den Sand stecken und scheinbar darauf vertrauen, dass die Klinikreform in fünf bis zehn Jahren möglicherweise finanzielle Entlastungen bringen wird.»
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) plant angesichts der schwierigen Lage der Kliniken eine Finanzierungsreform. Im Kern soll das Vergütungssystem mit Pauschalen für Behandlungsfälle geändert werden, um Kliniken von Finanzdruck zu lösen. Um nicht auf immer mehr Fälle angewiesen zu sein, sollen sie einen größeren Vergütungsanteil allein schon für das Vorhalten von Leistungsangeboten bekommen.
Für Ärztinnen und Ärzte in den Kliniken bedeute der finanzielle Druck eine weitere Verdichtung der Arbeit, kritisierte die Landesvorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Sylvia Ottmüller: «Es wird immer dort gespart, wo die höchsten Kosten entstehen. Der ärztliche Bereich ist der, in dem es derzeit noch die höchste Marge zum Einsparen gibt.»
Am Mittwoch wollen auch die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in Baden-Württemberg gegen aus ihrer Sicht falsche Entwicklungen im Gesundheitssystem protestieren. Bei einer Kundgebung auf dem Stuttgarter Schlossplatz werden nach Veranstalterangaben mehr als 2000 Teilnehmer erwartet. Die Ärztinnen und Ärzte kritisieren unter anderem überbordende Bürokratie und ineffiziente Digitalisierung.