Was für eine Tortur muss es sein, mit dem Rennrad vier Alpenpässe zu bezwingen – und das auf einer Strecke von 227 Kilometern mit etwa 5.500 Höhenmetern. Julian Ciupke und Benjamin König vom Bike Sport Nattheim Racing Team durften sich glücklich schätzen, sich dieser Herausforderung stellen zu dürfen. Und das im wahrsten Sinne des Wortes: Für einen Start beim Ötztaler Radmarathon in Sölden (Österreich), einem Radmarathon, der als inoffizielle Weltmeisterschaft in der Szene gilt, bewerben sich jährlich um die 17.000 Radbegeisterte. 4.200 Fahrerinnen und Fahrer aus insgesamt 40 Ländern waren in diesem Jahr bei der 44. Auflage dabei – die Teilnahme wird ausgelost. Benjamin König zum Beispiel hatte sich zum vierten Mal „beworben“ und durfte endlich starten.

Beide Racing-Team-Radsportler spulen pro Jahr zwischen 13.000 und 15.000 Kilometer ab. In den letzten zwei bis drei Monaten der finalen Vorbereitung verbrachte Benjamin König bis zu 20 Stunden in der Woche auf seinem Rad. „Ich bin auch mit dem Auto nach Österreich gefahren, um dort die Anstiege zu trainieren“, so der 33-Jährige. „Das Rennen war das härteste, was ich je erlebt habe.“ Ähnlich sieht es sein Teamkamerad. „Nach dem Rennen haben wir ja beide schlecht geschlafen. Ich konnte fast gar nicht schlafen. Es hat sich wie ein leichter Kater angefühlt“, erzählt Julian Ciupke.
Das Rennen war das härteste, was ich je erlebt habe.
Benjamin König
Dabei erwischte der 28-Jährige, der in Heidenheim geboren wurde, aber in Altheim/Alb lebt, den aus seiner Sicht perfekten Tag: Und das nicht nur, was die äußeren Bedingungen mit 20 Grad und blauem Himmel angeht. Die Tage davor habe er sich zwar krank gefühlt, beim Warmmachen vor Ort bekam er aber ein gutes Gefühl. Zusammen mit Benjamin König ging es die ersten 35 Kilometer von Sölden (1377 Meter hoch gelegen) nach Ötz (800 Meter hoch). Doch im Anschluss fuhr jeder Fahrer sein eigenes Tempo. „Julian ist der bessere Fahrer“, erkennt König die Stärke seines Teamkollegen neidlos an.

Dieser fand im ersten Anstieg Richtung Kühtai (2020 Meter hoch/maximale Steigung von 16 Prozent) schnell seinen Rhythmus und konnte den Anstieg deutlich über seinem geplanten Tempo fahren. Nach der schnellen Abfahrt Richtung Innsbruck (600 Meter hoch), in der teilweise Geschwindigkeiten von über 100 km/h erzielt werden, fand er am Brenner eine harmonische und schnelle Gruppe. „Vielleicht war die Gruppe einen Tick zu langsam“, sagt er rückblickend. Dennoch konnte er bis zum Fuße des Jaufenpasses (2090 Meter hoch/maximale Steigung von 12 Prozent) den Fokus auf Erholung und Verpflegung legen. Es gibt zwar alle 30 bis 40 Kilometer Verpflegungsstellen. Diese werden von den ambitionierten Fahrern (500 bis 600) aber ausgelassen, um Zeit zu sparen.

Am Jaufenpass selbst wurde dann das Tempo nochmals etwas verschärft und König konnte weitere Plätze gutmachen. Nach der engen Abfahrt Richtung St. Leonhard (700 Meter hoch) ging es weiter Richtung Timmelsjoch (2474 Meter hoch, maximale Steigung von 14 Prozent). Kurz davor wartete Teamkollege Steffen Schmidt, der verletzungsbedingt nicht starten konnte (trotz Losglücks), allerdings spontan als „Head of Nutrition“ einsprang und für optimale Versorgung und Motivation am letzten Anstieg für seine beiden Teamkollegen sorgte. Ciupke konnte nach weiterer starker Leistung im ersten Teilstück rund zwanzig Plätze nach vorne gutmachen, erst gegen Ende des Timmelsjochs neigten sich seine Kräfte dem Ende. Nach einer weiteren rasanten Abfahrt Richtung Ziel in Sölden erreichte Ciupke in einer beeindruckenden Zeit von 7:31 Stunden das Ziel. Damit belegte er einen starken 62. Gesamtrang im internationalen Starterfeld und den 38. Platz in der männlichen Hauptklasse.
Da verdrängt man auch ein Stück weit, dass man kaputt ist.
Julian Ciupke über die Stimmung an der Strecke
„Die Fans und Zuschauer sowie die Stimmung haben mich ein Stück weit getragen. Da verdrängt man auch ein Stück weit, dass man kaputt ist“, sagt Julian Ciupke, der seit knapp sieben Jahren an Radrennen teilnimmt und vor knapp drei Jahren angefangen hat, die Sportart intensiver zu betreiben.
Das Ziel des Projektleiters, der bei Zeiss arbeitet: „Ich würde gerne noch einmal mitfahren und eine Schippe drauflegen.“ Realistisch sei eine Zeit zwischen 7:20 und 7:15 Stunden.

Eine etwas andere Gefühlswelt erlebte Benjamin König. Der Traum von einer Teilnahme an diesem speziellen Radmarathon wurde für ihn endlich wahr. Allerdings ist der Lauinger mit dem Ergebnis nicht ganz zufrieden. „Das darf man nicht falsch verstehen. Bei mir überwiegt der Stolz über das Erreichte. Ich habe gebissen und gekämpft. Aber es lief für mich nicht nach Plan. Der Ertrag ist dem Aufwand nicht angemessen“, erklärt der Industriemechaniker, der seit acht Jahren intensiv Rad fährt und seit zwei Jahren beim Nattheimer Team dabei ist. Vor dem Hintergrund seiner Fitness sei mehr drin gewesen.

Ein Problem: Nach der Abfahrt Richtung Innsbruck folgt der lange Abschnitt zum Brenner, auf dem König allerdings keine passende Gruppe fand. Hier seien bei einer Steigung zwischen zwei und drei Prozent fast 30 km/h möglich, sagt der 33-Jährige. Da die Gruppe für ihn zu langsam war, fuhr König auf eigene Faust allein, in der Hoffnung, auf der Strecke auf eine weitere, schnellere Gruppe zu treffen. Dieses Risiko ging nicht auf, er war knapp 30 Kilometer auf sich allein gestellt – und verlor dadurch sehr viel Energie und Kraft. Bei einer Fahrt in einer Gruppe können sich Fahrer, die die Führungsarbeit geleistet haben, hinten im Windschatten etwas ausruhen und bis zu 40 Prozent der Leistung „sparen“.
Die Muskulatur ist erschöpft, es ist wie ein Brennen, das Gefühl eines Krampfes.
Benjamin König über die enorme Belastung
Die ersten Anzeichen der zusätzlichen Belastung zeigten sich am Jaufenpass: König konnte seine geplante Zielleistung nicht mehr halten und verlor etwa 20 bis 25 Minuten auf seine Wunschzeit. Am letzten Anstieg hinauf zum Timmelsjoch machte sich die Erschöpfung deutlich bemerkbar. Statt der angepeilten Wattzahl von 260 fuhr er nur 190 bis 200 Watt. „Alles über 200 hat richtig wehgetan. Die Muskulatur ist erschöpft, es ist wie ein Brennen, das Gefühl eines Krampfes“, schildert er. Letztlich kam er nach 8:40 Stunden ins Ziel und belegte Platz 226 in seiner Altersklasse sowie den 478. Gesamtrang von 4.200 Teilnehmern.
Im Zielbereich habe er sich auf den Boden gesetzt und für eine kurze Zeit seine Beine nicht gespürt. Und doch sagt Benjamin König: „Ich will im nächsten Jahr wieder dabei sein und die Acht-Stunden-Marke knacken.“ Das Losverfahren für die 45. Auflage für den Ötztaler Radmarathon steigt im Februar 2026…
Wattzahl im Radsport
Die Wattzahl gibt an, wie viel Kraft ein Radfahrer auf die Pedale bringt, erklärt Benjamin König. Besonders aussagekräftig sei sie im Verhältnis zum Körpergewicht des jeweiligen Fahrers/der jeweiligen Fahrerin, also Watt pro Kilogramm. Auf diese Weise erkenne man gut, wie leistungsstark jemand vor allem an den Bergen ist.