Selbst ausprobiert

„Hebt hoch die Fahnen voller Stolz“ – als Flaggenschwenker bei einem Heimspiel des 1. FC Heidenheim

In dieser Saison stehen einige Weltstars zum ersten Mal auf dem Bundesliga-Rasen der Voith-Arena. Eine Gruppe „ganz normaler Fans“ – die Fahnenschwenker des 1. FC Heidenheim – macht diese Erfahrung bei jedem Spiel. Wie fühlt sich das an? Was erleben sie Heimspiel für Heimspiel? HZ-Volontär Jan Beigelbeck hat es ausprobiert.

Der Moment, den ich so lange erwartet habe, kommt unerwartet. Als die ersten Fahnenschwenker den Rasen betreten, ist meine Fahne noch aufgerollt. Hastig rolle ich den rot-blau-weißen Heidekopf von der Teleskopstange ab. Das fängt ja gut an, denke ich mir und ärgere mich über mich selbst. Welche Bühne ich an diesem eiskalten Januarsamstag zu ersten Mal betrete, realisiere ich erst nach einigen Sekunden.

Unter den Schuhen der weiche, grüne Rasen, auf den Rängen knapp 15.000 Fans und Zehntausende weitere vor den Bildschirmen. Es ist die Fußball-Bundesliga-Bühne. Nach gut zehn Metern ist die richtige Position am rechten Eck des Strafraums erreicht. Mehrere Kontrollblicke auf die anderen Fahnenschwenker. Dann der Blick auf die Osttribüne und den Kiosk-Block – randvoll besetzt mit 4250 erwartungsvollen Fans. Gesichter sind nicht viele zu erkennen. Schals dafür umso mehr, alle in den Farben des Vereins. Ein überwältigender Anblick. Dann ertönt die Musik.

Was ist das für ein Gefühl?

Es ist das neunte Heimspiel des 1. FC Heidenheim in der Bundesliga. Bei Temperaturen im Minusbereich ist der VfL Wolfsburg auf dem Schlossberg zu Gast. Auch ich bin an diesem Tag ein Gast. Ein Gast im Team der Fahnenschwenker, die nicht nur bei der Partie gegen die „Wölfe“, sondern auch am Freitag beim Flutlichtspiel gegen Borussia Dortmund und bei jedem anderen Heimspiel während der Vereinshymne und dem Einlaufen der Spieler auf dem Rasen ihre Flaggen wehen lassen und auf das Spiel einstimmen. 19 sind es an diesem Tag: zwei weiblich, 17 männlich – vom 16-jährigen Schüler bis zum alteingesessenen FCH-Fan. Sie alle haben das Privileg, einen offiziellen Bundesliga-Rasen betreten zu dürfen. Ich will erfahren: Was erleben diese Menschen Heimspiel für Heimspiel? Was ist das für ein Gefühl, wenn tausende Blicke auf dich gerichtet sind?

Die Spannung steigt: Während die FCH-Aufstellung präsentiert wird, machen sich die Fahnenschwenker an der Seitenlinie bereit. Dennis Straub

Die Geburtsstunde der Gruppe war ein Fantreffen vor knapp zehn Jahren. „Damals wurde Alex Mayer von Fabian Strauß, dem FCH-Bereichsleiter Fanwesen, und Holger Sanwald darauf angesprochen, ob er Lust hätte, ein paar Leute von der ‚Ost‘ zum Fahnenschwenken zu organisieren“, erklärt Simon Weidhaas, der sich beim FCH unter anderem um die Stimmungsmacher mit den Flaggen kümmert. Mayer, der Mitglied im Fanclub „Schlossberg Union“ ist, überzeugte drei Bekannte von der Osttribüne und die FCH-Fahnenschwenker waren geboren. Einige Versuche, das Ritual bereits in der dritten Liga zu etablieren, scheiterten aus verschiedenen Gründen, so Weidhaas.

Pool von 25 Fahnenschwenkern

Inzwischen läuft die Organisation über den FCH, der einen Pool von 25 Fahnenschwenkern zur Verfügung hat. „Aktuell kann man sich nicht mehr bewerben“, sagt Weidhaas. Fast alle stehen laut dem FCH-Mitarbeiter auf der Osttribüne oder im Kiosk-Bereich. Mehrere sind Mitglied in einem Fanclub und präsentieren dessen Fahne auf dem Rasen – so wie Alex Mayer, der die „Schlossberg-Union-Fahne“ schwenkt.

Die Fahnen werden unter der Südtribüne gelagert. Jan Beigelbeck

Der Weg der Fahnenschwenker beginnt an diesem Tag um 14.50 Uhr beim Feuerwehrtor unter der Nord-Ost-Kurve der Voith-Arena. Ein Handschlag hier, ein lockeres Gespräch da – man kennt und schätzt sich. Weidhaas führt die Gruppe in den Stadioninnenraum und ein erster Blick auf die sich allmählich füllenden Ränge offenbart sich. Als es vor der Osttribüne entlanggeht, ist von den Fans darauf nichts zu sehen.

Wie eine mächtige Klippe ragt der große Zaun zu unserer Linken empor. Auf der Südseite des Spielfelds führt der Weg nicht mehr als drei Meter an Frank Schmidt vorbei. Der FCH-Trainer steht live einer Sky-Reporterin Rede und Antwort. Wenige Schritte weiter bereitet sich der gelbgesperrte Stürmer Marvin Pieringer auf seinen TV-Auftritt vor.

Wir gehen zwischen Auswechselbank und Rasen hindurch. Das heilige Grün ist nicht einmal einen Schritt entfernt – aber dieser hat noch Zeit. Die Fahnen, die auf Höhe der Mittellinie im Bauch der Arena gelagert werden, müssen zunächst zugeteilt und ans Feld geholt werden. „Ich möchte auch mal so eine Fahne schwenken. Aber nur eine ganz kleine“, ruft uns eine ältere Frau von der Südtribüne zu. Ein Selfie hier, ein Video da, strahlende Gesichter und viele leuchtende Augen – die Vorfreude ist groß.

Vom Entwurf bis zur fertigen Fahne

Die Vorbereitungen auf das Heimspiel beginnen jedoch schon viel früher, denn die Schwenker malen ihre Fahnen selbst. Dafür treffen sie sich im Heidenheimer Fanprojekt und entwerfen Motive, zeichnen vor, malen aus und müssen auch immer wieder nähen. Das Material stellt der FCH. Neben kleinen Handfahnen hat die Gruppe große Fahnen (5x5 Meter), die rund 200 Euro kosten und halb so teure kleinere Fahnen.

Eine solche darf ich an diesem Tag schwenken: Eine vier Meter lange, schwarze Teleskopstange und neun Quadratmeter Polyesterstoff, der gut 500 Gramm wiegt – daraus setzt sich mein Arbeitsgerät zusammen. Erstaunlich leicht, oder?

Die ersten Schwünge fühlen sich komisch an. Hätte ich zu Hause üben sollen? „Schwing einfach immer eine acht“, haben die anderen noch gesagt. Leichter gesagt als getan. Immerhin regnet es nicht und es geht kein starker Wind, denke ich mir. Dann singen die FCH-Fans. Es sind bestimmt über 10.000. „Hebt hoch die Fahnen voller Stolz“ – bin schon dabei. Der Gesang steckt an und ich singe mit. Ein ungewohntes Gefühl, so allein auf dem großen Feld.

Die Gedanken überschlagen sich: Zwischen „Wie geil ist das denn?“ und „Mach ich das überhaupt richtig oder blamiere ich mich?“. Nach vier Minuten klingt die Hymne aus. Die Arme werden schwerer, obwohl ich regelmäßig Sport treibe, strengt mich die Schwenkerei allmählich an. Nun laufen, begleitet vom rhythmischen Klatschen der Fans, zum Song „Intro“ von „The XX“ die Teams ein. Das vermute ich zumindest in meinem Rücken, während ich den Heidekopf weiter wehen lasse. Dann ist es vorbei. Ab zurück ins Seitenaus und die Fahne zusammenrollen. „Sah doch gut aus“, sagt Weidhaas. Gott sei Dank.

Ein rot-blau-weißes Flaggenmeer: Beim Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg wurden 20 Fahnen in den Farben des FCH geschwenkt. Dennis Straub

Niemals aufgeben

Während FCH-Verteidiger Benedikt Gimber „meinen Platz“ auf dem Feld einnimmt, muss es in den Katakomben beim Aufräumen schnell gehen. Viele strahlende Gesichter, viele glänzende Augen – auch die Freude danach ist groß. Auf dem Weg zur Osttribüne spielt Weidhaas den Stimmungskiller: 0:1 in der siebten Minute. Wolfsburg führt. Irgendwie musste es so kommen. Doch die FCH-Spieler lassen ihre Fahnen nicht untergehen. Eine weiße wurde nicht gehisst. Das Spiel endet 1:1.

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