Bundesliga-Geschichte

So ging es bei Heidenheims kommendem Gegner Borussia Mönchengladbach früher zu

Zweimal in vier Tagen (28. und 31. Oktober) muss der 1. FC Heidenheim bei einem Klub antreten, der noch immer vom Mythos seiner glorreichen siebziger Jahre lebt. Was das mit Günther Netzer, einem berühmten Pfostenbruch und einem Büchsenwurf zu tun hat:

So ging es bei Heidenheims kommendem Gegner Borussia Mönchengladbach früher zu

Mönchengladbach steht im Guinness-Buch der Rekorde, weil es die einzige deutsche Stadt ist, die über zwei Hauptbahnhöfe verfügt. Aber deswegen ist Mönchengladbach nicht berühmt. Auch nicht deshalb, weil hier der Tierfilmer Heinz Sielmann und der Ingenieur Hugo Junkers geboren wurden. Mönchengladbach ist berühmt, weil dort ein Sportverein zu Hause ist, der Borussia heißt. In den Siebziger Jahren zumindest war das sprichwörtlich verbrieft. Wer in dieser Zeit Post aus dem linksrheinischen Oberzentrum im Regierungsbezirk Düsseldorf bekam, der konnte auf dem Kuvert einen Stempel entdecken mit der Aufschrift: „Mönchengladbach – Stadt des fünffachen deutschen Fußballmeisters“.

Skatpartie als Beginn

Das ist lange her. Aber es begann – wie in Heidenheim – vollkommen unspektakulär. Textilkaufmann Helmut Grashoff lernte bei einer Skatpartie den Gladbacher Vereinspräsidenten Helmut Beyer kennen, wurde Vize-Präsident des Klubs und verpflichtete am Karsamstag 1964 den Kölner Fußballlehrer und ebenfalls leidenschaftlichen Skatspieler Hennes Weisweiler. Damit waren die Karten gemischt für eine außergewöhnliche Erfolgsgeschichte, obwohl Weisweilers Gattin ihren Mann noch gewarnt hatte: „Geh da nicht hin, die haben schwarze Trikots!“

Vergeblich – zum Glück!

In den Folgejahren sollten sich nicht nur Borussias Trikotfarbe und der Mönchengladbacher Poststempel verändern. Die Titeljäger vom Niederrhein (die freilich nicht direkt am Niederrhein, sondern an Niers, Schwalm und Gladbach beheimatet sind) spielten nicht nur Fußball, sie zelebrierten ihn und wurden wegen ihrer Unbekümmertheit deshalb „Fohlen“ genannt (obwohl im Abwehrbereich mit Berti Vogts auch ein „Terrier“ mitmischte).

Dezember 2019: Die Fans von Borussia Mönchengladbach gedenken mit einem Spruchband dem legendären Trainer Hennes Weisweiler. Eibner

Schaltstelle des herzzerreißenden Angriffsspiels war der erste Playboy der Bundesliga: Günter Netzer, Diskotheken-Besitzer und Stadionheft-Herausgeber, Schuhgröße 46 zwei Drittel, schulterlanges gescheiteltes Blondhaar, Sportwagen-Liebhaber. Seinen anthrazitgrauen Jaguar E-Type verkaufte er einst an Franz Beckenbauer, der damit nicht glücklich wurde („Da regnet‘s ja rein“) und den 269 PS starken Zweisitzer deshalb flugs an Wolfgang Overath weiterveräußerte. Sozusagen ein motorisiertes Passspiel unter den damaligen Bundesliga-Granden.

Ähnlich wie Beckenbauer mit dem gekauften Jaguar wurde auch Weisweiler mit Netzer nicht immer glücklich. Einerseits schwärmte er von der Genialität seines Spielmachers, der vor jedem seiner Freistöße den Ball minutenlang streicheln konnte, andererseits ärgerte ihn dessen zeitweilige Lässigkeit. „Abseits is, wenn dat lange Arschloch zu spät abspielt“, hatte Weisweiler in kölschem Dialekt mal über seinen Star gemeckert. Gelegentliche Funkstille in dieser fußballerischen Zweckehe überbrückte der stolze Hennes über den braven Berti Vogts, der artig Botendienste verrichtete: „Berti, sagen Sie dem Langen…“ Und Berti sagte es dem Langen.

Aber der Lange hat‘s auch mal Weisweiler gesagt. Dass man nämlich nicht deutscher Meister werden kann, wenn man nur stürmt und nicht gut verteidigt. Dozent Weisweiler, der an der Kölner Sportschule Fußballlehrer ausbildete, hörte in diesem Fall auf sein schlampiges Genie. Die Abwehr wurde verstärkt und die ersten deutschen Meisterschaften geholt (1970 und 1971).

Ein morscher Pfosten bricht

Es waren noch seltsame Zeiten damals, die Rasen oft nicht grün, sondern morastig tief, die Torpfosten noch viereckig und aus Holz. Letzteres sollte am 3. April 1971 eine Rolle spielen. Stürmer Herbert Laumen hat insgesamt 97 Tore für Borussia erzielt. An jenem Tag aber fiel durch ihn ein Tor, ohne dass er es geschossen hatte. Im Heimspiel gegen den SV Werder Bremen flog Laumen in der 88. Minute beim Stand von 1:1 statt des Balles selbst ins gegnerische Netz, der morsche rechte Pfosten hielt der Wucht nicht stand und zerbrach.

Netzers wohl nicht ernst gemeinter Vorschlag, in den verbleibenden Minuten anstelle des Pfostens doch einen Ordner zu platzieren, der den Querbalken stützt, fand der DFB weniger amüsant. Am „grünen Tisch“ verloren die Gladbacher 0:2, weil sie kein Ersatztor bereitgestellt hatten. Es war der Start einer Zeitenwende: Pfosten und Latte sind seitdem aus Aluminium.

Am „grünen Tisch“ holten sich Netzer & Co. ein Jahr später im Europapokal gegen Inter Mailand eine weitere Niederlage ab. Beim legendären 7:1 über den italienischen Meister wirkte deren Stürmer Roberto Boninsegna als Schauspieler so überzeugend, dass die Uefa den grandiosen Borussen-Erfolg nachträglich annullierte. Theatralisch war Boninsegna zu Boden gegangen, als ihn eine leere Cola-Dose, von einem Zuschauer geworfen, am Kopf traf. Mit dem sterbenden Schwan wurden auch Gladbachs Hoffnungen vom Platz getragen, an jenem Abend Europapokal-Geschichte zu schreiben.

Solche Ereignisse bleiben in Erinnerung, auch wenn sie heute noch schwer auf der Borussen-Seele lasten. Ebenso wie Netzers großer Abgang im DFB-Pokalfinale 1973 gegen den 1. FC Köln. Der Spielmacher befand sich im Formtief, hatte zudem schon bei Real Madrid unterschrieben und deshalb strafte ihn Weisweiler mit der Ersatzbank.

Gnadenlos brannte die Sonne an jenem Samstagnachmittag, frische Kräfte waren schon zur Pause gefragt. Weisweilers Aufforderung an den Langen („Netzer, Sie spielen jetzt!“) ignorierte der schmollende Reserve-Star. Als dann der junge Christian Kulik vor Beginn der Verlängerung total ausgelaugt auf Netzer zukam und ihm sagte, dass er nicht mehr könne, wechselte sich der Lange ohne seines Trainers Zustimmung selbst ein. Geschickt hatte sich Netzer seiner Trainingsjacke entledigt und sich unter dem Jubel der Borussen-Fans warmgelaufen. Weisweiler hatte keine Möglichkeit mehr, ihn zurückzupfeifen, ohne zugleich ein Denkmal zu demontieren.

Der Rest ist Geschichte: Netzer trifft zum entscheidenden 2:1 und verabschiedet sich nach Madrid. Weisweiler bleibt bis 1975 – und verabschiedet sich dann nach Barcelona. Überhaupt sind die Guten immer gegangen bei Borussia. Manager Grashoff hatte darauf bestanden, niemals Schulden zu machen. Und weil der Bökelberg für einen Berg nicht nur sehr niedrig (61 Meter über dem Meeresspiegel), sondern vor allem zu klein war (34.500 Plätze), brauchte die Borussia Transfererlöse.

München oder Mönchen?

Nach Netzer gingen auch Weltmeister Rainer Bonhof und Nationalspieler Uli Stielike nach Spanien, gefolgt vom Dänen Allan Simonsen, Europas Fußballer des Jahres von 1977. Auch Jupp Heynckes war zwischendurch weg (Hannover 96) kehrte dann aber reumütig zurück in seine Geburtsstadt Mönchengladbach, die übrigens lange Zeit München-Gladbach hieß.

Um Verwechslungen mit München zu vermeiden, wurde im Jahr 1960 aus dem Ü ein Ö. Tatsächlich soll es einst ausländische Sportjournalisten gegeben haben, die Gladbach ins Bayernland verorteten und in der Aufstellung vergeblich nach Franz Beckenbauer suchten.

Die goldenen Jahre von Borussia Mönchengladbach

Borussia Mönchengladbach wurde in den siebziger Jahren fünf Mal deutscher Meister, dreimal unter Hennes Weisweiler (1970, 1971 und 1975) und zweimal unter dessen Nachfolger Udo Lattek (1976 und 1977). 1978 verpasste Borussia einen erneuten Titelgewinn trotz eines 12:0-Sieges am letzten Spieltag gegen Borussia Dortmund nur um drei Tore gegenüber dem Meister 1. FC Köln.

Den DFB-Pokal gewann Gladbach dreimal (1960, 1973 und 1995), den Uefa-Cup (entspricht heute der Europa League) zweimal (1975 und 1979). 1977 stand die Borussia auch im Finale des Europapokals der Landesmeister (heute Champions-League), verlor allerdings gegen den FC Liverpool mit 1:3.

Der 1. FC Heidenheim muss demnächst gleich zweimal im Gladbacher Borussen-Park antreten: Am 28. Oktober (15.30 Uhr) zum Bundesliga-Punktspiel und am 31. Oktober (20.45 Uhr) im DFB-Pokal.