Was gefällt Euch an Deutschland? Was vermisst Ihr an Zuhause? Diese beiden Fragen stehen an diesem späten Vormittag – es ist die fünfte Schulstunde – an der Tafel im Zimmer der Vorbereitusungsklasse der Steinheimer Hillerschule. Die älteren Schülerinnen und Schüler haben die Fragen schriftlich beantwortet, die jüngeren haben ihre Antworten gemalt. Auf zwei dieser Bilder ist ein Stück Pizza zu sehen: Scheinbar scheint die in Steinheim besonders gut zu schmecken.
Sechs bis 14 Jahre alt sind die Kinder und Jugendlichen in den beiden Vorbereitungsklassen der Hillerschule. Sie stammen aus aller Herrenländer: aus Syrien, aus Griechenland und natürlich mittlerweile zu einem großen Teil aus der Ukraine. In der Klasse sollen sie auf den Regelunterricht vorbereitet werden, vor allem die deutsche Sprache lernen, die Grundlagen der deutschen Gesellschaft und sie sollen Anschluss gewinnen. Unterstützt werden sie dabei von den Lehrkräften, zwei FSJlern und der Schulsozialarbeiterin Anna Di Muro.
Jeder Schüler in den Steinheimer Klassen hat seine eigene Geschichte
Die Kinder sind unterschiedlich alt, bringen unterschiedliche Voraussetzungen mit, sprechen verschiedene Sprachen und haben mal mehr und mal weniger schlimme Dinge erlebt bis sie hier in Steinheim angekommen sind. Das stellt auch für die Lehrkräfte eine große Herausforderung dar.
Mittlerweile stammen die meisten der Kinder und Jugendlichen, die hier 20 Stunden pro Woche betreut werden, aus der Ukraine. Dass sie auf ihrer Flucht auch Schlimmes erlebt haben, das alles erst noch verarbeiten müssen, äußert sich bei jedem der Kinder anders: „Der Eine sitzt manchmal verträumt da und starrt ins Leere“, beschreibt Lehrerin Marina Serwe (31). „Der Andere fängt plötzlich an, andere Kinder zu boxen.“ Und der Dritte wiederum, sagt Sozialarbeiterin Anna Di Muro (53), reagiere verängstigt auf laute Geräusche. „Die Kinder gehen mit manchen an sich normalen Situationen einfach ungewöhnlich um“, beschreibt Serwe. „Sie können vielleicht Nähe nicht richtig ertragen oder sie müssen beim Sportunterricht ihren Frust abreagieren und sind dabei übermäßig ehrgeizig.“
Schüler haben ein großes Bedürfnis nach Sicherheit
Generell, sagt Sozialarbeiterin Di Muro, haben die Schülerinnen und Schüler aber vor allem ein großes Bedürfnis nach Sicherheit und Vertrauen. Sie mussten plötzlich ihre Heimat, ihr gewohntes Umfeld verlassen und auch innerhalb Deutschlands teils mehrfach wieder umziehen. In vielen Fällen geht es darum, die Kinder erst einmal ankommen zu lassen. „Man merkt bei vielen, wie wichtig ihnen feste Strukturen und Rituale geworden sind. Sie reagieren verunsichert, wenn daran etwas geändert wird.“
Aber wie funktioniert dieser Unterricht überhaupt? Mit all den unterschiedlichen Geschichten, Sprachen, Voraussetzungen und Erlebnissen? Die Antwort: erstaunlich gut. Natürlich ist die Sprachbarriere bei vielen groß, doch die Schüler behelfen sich mit einem Mix aus Deutsch und Englisch, wenn ihnen ein paar Wörter partout nicht einfallen wollen. Und nicht nur das: Sie helfen sich auch gegenseitig. „Und sie interessieren sich für die Muttersprache des jeweils anderen“, erzählt Lehrerin Sabine Lindenlaub (60). „Immer wieder kommt die Frage: ,Wie heißt das bei dir?‘“
Kinder verbringen sechs bis zwölf Monate in den Vorbereitungsklassen der Hillerschule
Ziel der Vorbereitungsklassen ist es, die Kinder so schnell wie möglich in die Regelklassen zu bringen. Durchschnittlich sechs bis zwölf Monate dauert das. Immer abhängig von der Entwicklung des oder der Einzelnen und von den Kapazitäten in den Klassen der Hillerschule.
Im Gespräch wird deutlich, wie sehr die Herzen der Lehrerinnen an den Kindern in diesen besonderen Klassen hängt – bei allen Herausforderungen, die damit einhergehen. „Es freut einen am allermeisten, wenn die Schülen in den Regelklassen angekommen sind, man sie im Flur wieder trifft und sie ihre Erfolgsgeschichten erzählen“, sagt Serwe: So wie jüngst einer ihrer ehemaligen Schüler aus der Vorbereitungsklasse. „Er wechselt jetzt vom G- auf das M-Niveau“, erklärt die Lehrerin nicht ohne Stolz: „Das bedeutet, er wird nicht den Haupt-, sondern den Realschulabschluss machen.“
So kommen die Schüler in die Vorbereitungsklassen
An der Hillerschule in Steinheim gibt es zwei Vorbereitungsklassen für Kinder und Jugendliche, die erst noch die Grundlagen der deutschen Sprache lernen müssen, bevor sie in den Regelunterricht wechseln können.
Zu den Höchstzeiten wurden in den beiden Klassen je 16 Schülerinnen und Schüler unterrichtet.
Die Kinder werden von ihren Eltern zum Unterricht angemeldet. Bei denjenigen, die in der Unterkunft auf der Steinheimer Ziegelhütte wohnen, stellt eine behördliche Betreuerin den Kontakt zur Schule her.
Die Schüler können jederzeit in den Unterricht einsteigen und müssen nicht auf den Beginn eines neuen Schulhalbjahrs warten.