Heiliger Bimbam (7 von 17)

Die Söhnstetter Glocke ist zwar stumm, aber gut sichtbar

In Söhnstetten darf man mit beiden Beinen auf dem Boden bleiben, muss aber die Knie beugen, um einer Glocke aus dem 16. Jahrhundert in Augenhöhe begegnen zu können.

Die Söhnstetter Glocke ist zwar stumm, aber gut sichtbar

Man sieht sie nicht – aber sie sind weithin zu hören. Kirchenglocken erklingen in jeder Stadt und in jedem Dorf, manche davon schon seit vielen Jahrhunderten. Die ältesten noch erhaltenen Exemplare im Landkreis betrachten wir im Rahmen einer Serie, die unsere Glöckner heute nach Söhnstetten führt, wo sie ausnahmsweise in die Knie gehen müssen, um den Grund ihres Kommens besser betrachten zu können.

Zwölf Uhr in Söhnstetten. Um den Turm von St. Martin kreisen die Dohlen, die hier bald in der dritten Generation heimisch geworden sind. Die Glockentester schicken neidische Blicke nach oben. Denn sie müssen heute unten bleiben. Die historische Glocke, um die es hier oben in dem Albdorf gehen wird, das übrigens auch den 10. Längengrad zu seinen Bewohnern zählen darf, hängt nicht im Turm, sondern steht neben dem Altar.

Wie es dazu gekommen ist, lassen sich Manfred Kubiak und Arthur Penk vom früheren Pfarrer Walter Starzmann erzählen, den sie wegen einer Bemerkung zum eben gehörten Mittagsläuten aber zunächst einmal in ein Gespräch verwickeln, das ein Thema behandelt, das in der vorangegangenen Folge der Serie nur am Rande angesprochen werden konnte. Es geht um die Frage, warum die Glocken wann, wie oder weshalb läuten und schlagen – eine hochkomplexe und zum Teil auch regional unterschiedlich gehandhabte Angelegenheit, die erschöpfend zu erklären den Rahmen unserer vor allem auf die Vorstellung historischer Glocken abzielenden Exkursionen sprengen würde.

Zumal die verschiedenen Glocken (Betglocke, Taufglocke, Kreuzglocke, Schiedglocke, Zeichenglocke und mehr) ja vor allem auch einzeln zu speziellen Anlässen geschlagen werden, es noch katholische und evangelische Besonderheiten zu beachten gilt und zudem zwischen profanem und sakralem Läuten unterschieden werden muss. Von weltlicher Natur sind etwa der Stundenschlag, also das regelmäßige Schlagzeichen zur vollen und halben Stunde, oft auch zur Viertelstunde, der noch aus Zeiten herrührt, da öffentliche Uhren oder gar Taschen- und Armbanduhren unbekannt waren. Weltlichen Ursprungs ist zum Beispiel auch das Glockengeläut in der Neujahrsnacht. Ansonsten rufen Glocken unter anderem zum Gottesdienst, läuten bei Beerdigungen oder zum Morgengebet, zum Angelusgebet morgens, um die Mittagszeit und abends, zur Kreuzigungsstunde Jesu um 9 Uhr, zur Erinnerung an das Leiden Jesu um 11 Uhr oder zur Sterbestunde Jesu um 15 Uhr. Es wären noch weit, weit mehr Anlässe aufzuzählen – und viele noch darüber hinausgehend Läutebräuche sind mit der Zeit, nicht zuletzt auch durch die Motorisierung des Läutens, in Vergessenheit geraten.

Das Mittagsläuten, das unsere Glockentester in Söhnstetten empfangen hat, darf aus evangelischer Sicht heute als Aufruf zum Gebet für den Frieden verstanden werden. Zuvor war es lange Zeit im allgemeinen Sprachgebrauch auch als sogenanntes Türkenläuten im Schwange gewesen. Dies wiederum geht darauf zurück, dass sich im Jahr 1456 nahe des heutigen Belgrads ein Richtung Westen marschierendes Heer des Sultans Mehmed II. und eine stärkemäßig heillos unterlegene, vor allem ungarische Truppe unter Johann Hunyadi gegenüberstanden. Am 29. Juni des Jahres ordnete Papst Kalixt III. in einer Bulle an, dass eine oder mehrere Kirchenglocken mittags durch ihr Geläut die Gläubigen dazu aufrufen sollten, für einen Sieg der Ungarn zu beten.

Die Sitte hat sich erhalten – ob aus Freude über den tatsächlich errungenen Sieg über die Türken oder deshalb, weil die Anordnung nicht zurückgenommen wurde und die Bedrohung des Abendlandes durch das osmanische Reich ja über Jahrhunderte weiterbestand, sei dahingestellt.

Und hingestellt empfängt die drei Besucher links vom Altar in der Martinskirche auch das Objekt ihrer Neugier: eine insofern etwas geheimnisvolle Glocke, da weder deren Gießer noch das Jahr ihres Gusses bekannt sind. Sie stammt aus dem 16. Jahrhundert, wenigstens so viel ist sicher, und wiegt zirka 220 Kilogramm. Seit 1960 hängt sie nicht mehr auf dem Turm der im Jahr 1856 geweihten und dominant auf dem Platz ihrer Vorgängerin stehenden Martinskirche, die in ihrer im Originalzustand erhaltenen Art einer Predigerkirche des 19. Jahrhunderts übrigens ihresgleichen in der Region sucht.

Allein im Turm

Warum die interessanterweise völlig ohne schmückendes Rankenwerk und bar jeglicher Inschrift gestaltete Glocke nicht mehr schwingt, sondern steht, ist schnell erklärt. Und eigentlich hatte man es mit ihr ja nur gutgemeint, als der Kirchengemeinderat im Jahr 1950 beschloss, der völlig allein im Turm hängenden Glocke Gesellschaft zu beschaffen. Also wurden zwei neue Glocken bei der Gießerei Wolfart in Lauingen bestellt, zu denen aber, wie sich herausstellte, die alte Glocke vom Schlagton her nicht passte. Also lieferte 1960, als wieder Geld gesammelt worden war, die Stuttgarter Gießerei Kurtz ein dritte, und 1962 noch eine vierte Glocke, sodass das Söhnstetter Quartett nun in

f,

as,

b,

und c

zusammenarbeitet, während Nummer fünf stumm bleibt, aber im Gegensatz zu ihren musikalisch bevorzugten Geschwistern von jedem angeschaut werden kann.

Dabei fällt, je nach Lichteinfall, ins Auge, dass auf ihrer Oberfläche mittels eines Fettstifts einmal Söhnstetten geschrieben worden war. Dieser Umstand ließe eigentlich darauf schließen, dass auch diese Glocke, wie zwei bis heute verschollene andere aus der Söhnstetter Kirche, 1942 als Metallspende für den sogenannten Endsieg abgegeben werden musste. Davon allerdings ist nichts bekannt oder überliefert. Womöglich hatte man ja aber auch angenommen, alle drei Glocken abgeben zu müssen, weshalb eben alle gekennzeichnet worden waren. Es könnte aber auch sein, dass die Aufschrift von der Schweißerei angebracht wurde, in der die Glocke, wie man unschwer feststellen kann, wann auch immer einmal restauriert wurde. Man weiß es nicht.

Kein Licht im Dunkeln

Auch ein Blick in die Glocke – Pfarrer Starzmann hatte für diesen zweiten Besuch die Glocke auf die Seite legen lassen – bringt kein weiteres Licht ins Dunkel der Geschichte. Es sieht zwar so aus, als sei irgendwann einmal die Zahl 4 eingeritzt worden, aber das könnte auch ein Zufall sein und würde ansonsten ohnehin keinerlei Aussagekraft in welche Richtung auch immer haben. Insofern bleibt lediglich festzuhalten: Wie schön, dass man in Söhnstetten das Alter auch in Form einer Glocke ehrt.