„Unbezahlbar“ nennt Professor Nicholas Conard von der Universität Tübingen die Fundstücke im Vogelherd: „Wir haben hier die besten Belege für die Entstehung von Kunst und Musik“, so Conard, „ja, mit Löwenmensch beispielweise auch erste Belege für Religion in der Menschheitsgeschichte“. Dass das und die „sehr guten Besucherzahlen des Archäoparks“ bei der Landesregierung nicht ins Gewicht fällt, kommt für ihn einer „Missachtung der Bevölkerung“ gleich. Und mehr noch: Dass das Land die Wiege der Kultur, die ja nun in Baden-Württemberg zu verorten ist, nicht höher einschätzt, das verletzt seiner Meinung nach das „Selbstbild des Landes, das sich ja rühmt, Kultur- und Wissenschaftsstandort zu sein“.
Professor Conrad: „eine absolute Blamage“
„Man muss sich das vorstellen“, macht Conard seinem Unverständnis Luft, „überall auf der Welt sind Repliken der Fundstücke ausgestellt. Überall auf der Welt werden Vogelherd, Niederstotzingen und Baden-Württemberg in diesem Zusammenhang genannt“. Und ausgerechnet in der Heimat sollen die Schätze nicht hochgehalten und gefördert werden – für ihn ist das „eine absolute Blamage für das Land Baden-Württemberg“.
Jeden Politiker, gleich welcher Parteizugehörigkeit, den Professor Conrad zu diesem Thema befragt habe, bestätige ihm, wie wertvoll und förderungswert das Weltkulturerbe seien. Und dennoch sei trotz seit zwei Jahren laufender Gespräche keine Lösung gefunden worden. Dabei sei als einziges Gegenargument der Regierung zu hören gewesen, man wolle keinen Präzedenzfall unter den baden-württembergischen Weltkulturerbestätten schaffen. Dieser Einwand könne aber laut Conard nicht stehen bleiben: „Die Pfahlbauten werden von sechs verschiedenen Nationen, unter anderem Italien, Schweiz, Frankreich unterstützt. Der Limes zieht sich viele Kilometer lang durch etliche Nationen und auch Bundesländer. Die Eiszeitfunde hingegen sind damit überhaupt nicht vergleichbar.“
Das steht im offenen Brief
In Archäologenkreisen ist man sich dieser Einzigartigkeit absolut bewusst. So schildert Conard, dass es für ihn überhaupt kein Problem gewesen sei, nationale und internationale Unterstützer für seinen offenen Brief an die Landesregierung zu finden. Darin wird die Landesregierung aufgerufen, „den Archäopark Vogelherd und die anderen Einrichtungen im Ach- und Lonetal zu unterstützen, dass im Zusammenspiel mit unter anderem den betroffenen Gemeinden, Vereinen und privaten Spendern diese bedeutenden Fundplätze und musealen Einrichtungen dauerhaft für die lokale und weltweite Öffentlichkeit zugänglich bleiben.“
Des Weiteren wird auf die Begründung der Unesco vom 9. Juli 2017 verwiesen, wonach die Höhlen und die dortigen Funde „herausragende und universelle Bedeutung“ für alle Menschen haben. „Eine Vernachlässigung dieser Verantwortlichkeit würden den guten und hart erarbeiteten Ruf Baden-Württembergs im Bereich der Wissenschaft und Kultur nachhaltig beschädigen“.
Winfried Kretschmann 2017: „Als Erben in der Pflicht“
Und schließlich wird in dem offenen Brief auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann zitiert, dessen Worte anlässlich der Ernennung zum Weltkulturerbe noch im Ohr klingen: „Lassen wir uns heute offiziell als Erben in die Pflicht nehmen, den Kulturschatz zu bewahren, der tausende Jahre überdauert hat“. Für Nicholas Conard, unter dessen Leitung das international als Sensationsfund bezeichnete Mammut ausgegraben werden konnte und der seither die Entwicklung im Lonetal aktiv verfolgt, wird es Zeit, dass Kretschmann diese seine Worte nun auch umsetzt. „Denn ich gehe doch davon aus, dass er dies aus Überzeugung gesagt hat“.
SPD-Fraktionschef Andreas Stoch: „Es ist höchste Zeit“
Die Initiative aus der Wissenschaft wurde von SPD-Fraktionschef Andreas Stoch ausdrücklich begrüßt: „Es ist höchste Zeit, dass das Land sein Welterbe antritt“. So langsam sei es „höchste Eisenbahn“, die Ankündigung im Koalitionsvertrag, solche Schätze des Landes besser zur Geltung zu bringen, umzusetzen. Stoch: „Ein Aus des Archäoparks wäre ein ungeheurer Verlust für den wohl größten Schatz der Menschheitsgeschichte. Es wäre ein enormer touristischer Rückschlag, es gingen Arbeitsplätze verloren und es wäre ein herber Verlust an Chancen für die Zukunft. Entweder Kretschmann legt einen Masterplan vor oder er setzt das Welterbe des Landes aufs Spiel“.
Falsche Meldung über Unterstützung?
Am Freitag ging plötzlich eine Meldung durch die Medien, nach der das Land den Archäopark nun doch mit 35.000 Euro im Jahr unterstützen wolle. Auf Nachfrage dementierte das zuständige Ministerium in Stuttgart. Von einem solchen Verhandlungsstand wisse man nichts, so ein Sprecher. Im Übrigen wäre in Anbetracht des hohen Abmangels, den die Stadt Niederstotzingen alleine stemmen müsste, ein Betrag von 35.000 Euro kaum ausreichend, um den Park zu retten.
Das sind die Unterzeichner:
Unterzeichnet wurde der offene Brief von 42 Wissenschaftlern aus aller Welt: Aus Baden-Württemberg Nicholas Conard, Karla Pollmann, Bernd Engler, Martin Bartelheim, Katerina Harvati, Susanne Greiff, Nataschka Mehler, Christopher Miller, Cosimo Posth, Johannes Krause, Detlef Weigel (alle Tübingen), Christoph Huth (Freiburg), Johannes Maran und Thomas Schmitt (beide Heidelberg). Aus dem übrigen Bundesgebiet kommen hinzu Ewa Dutkiewicz (Berlin), Berit Eriksen (Schleswig), Andreas Maier (Köln), Thorsten Uthmeier (Erlangen), Jörg Linstädter (Bonn) und Sabine Gaudzinski-Windheuser (Mainz).
Angeschlossen haben auch internationale Wissenschaftler: Marherita Mussi (Rom), Anne Delagne (Bordeaux), Felix Riede (Arhus), Pawel Valde Novak (Krakau), Pastory Bushozi (Dar es Salaam), John Parkington (Kapstadt) Lyn Wadley (Johannesburg), Li Feng (Peking), Boris Gasparian (Jerewan), Mina Weinstein-Evron (Haifa), Akira Ono (Tokio), Michael Chazan (Toronto), Jessica Thompson (New Haven), Margret Conkey (Berkely), James O’Connell (Salt Lake City), Ximena Suárez Villágrán und Eduardo Neves (beide São Paulo), Luis Alberto Borrero (Buenos Aires), Carola Flores (Puerto Montt), Martin Porr (Perth), Ian McNiven (Melbourne) und Sue O’Connor (Canberra).
Niederstotzingen
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