Bürgerversammlungen laufen oft nach dem gleichen Schema ab. Es gibt eine oder mehrerer Reden, es werden einige Fragen aus dem Publikum gestellt, danach verläuft sich alles wieder. In Herbrechtingen sollte es diesmal anders laufen.
Die Stadtverwaltung und das Stuttgarter Stadtplanungsbüro Reschl hatten für Dienstagabend in die Bibrishalle eingeladen, um den aktuellen Stand des Stadtentwicklungsprozesses vorzustellen. Zu Beginn arbeiteten sich die Stadtplaner zwar im Sauseschritt durch die gut 70 Folien einer Präsentation, dann aber kamen die Bürgerinnen und Bürger zum Zuge, die in dreistelliger Zahl in die Halle gekommen waren.
Daumen hoch? Daumen runter?
An Stellwänden waren all jene Vorschläge und Wünsche nachzulesen, die im Zuge der schon 2021 gestarteten Bürgerbefragung zusammengetragen worden waren. Verteilt wurden Aufkleber mit hochgerecktem Daumen, die an die entsprechenden Themen geklebt werden konnten. Um 180 Grad gedreht, konnten die Aufkleber natürlich ebenso gut Missfallen verdeutlichen. Die Ideen sind damit nicht nur in der Welt, sondern auch ein weiteres Mal bewertet worden
Dabei wurde bald klar, dass sich die Ergebnisse der Bürgerbefragung in den vergangenen Monaten bestätigt haben. Damals waren 4000 Fragebögen in Herbrechtingen samt Teilorten verteilt worden, 1679 davon kamen online oder auf Papier ausgefüllt zurück. Worüber sich Verwaltung und Gemeinderat freuen können: Gut 92 Prozent haben die Lebensqualität in Herbrechtingen mit „sehr gut“ oder „eher gut“ bewertet. Auf die Teilorte bezogen schwankte die Zufriedenheit dabei zwischen 77 Prozent in Anhausen und glatten 100 Prozent in Eselsburg.
Mehr Leben für die Stadtmitte
In der Tiefe betrachtet schätzen zwar viele der Befragten die Natur und den ländlichen Charakter Herbrechtingens, auch gute Einkaufsmöglichkeiten für Lebensmittel wurden genannt. Zentrale Kritikpunkte, die in verschiedenen Feldern mehrmals auftauchten, sind dagegen das wenig ansprechende Buigen-Center und generell das Erscheinungsbild des Stadtzentrums. Sogar den erst vor wenigen Jahren neu gestalteten Rathausplatz wünschen sich Bürgerinnen und Bürger deutlich grüner. Überhaupt gibt es den Wunsch nach einer „echten“ Stadtmitte mit Sitzgelegenheiten, Gastronomie und kleinen Geschäften.
Dabei dürfte automatisch das Buigen-Center noch stärker in den Blickpunkt rücken. Auf der Suche nach einer neuen Identität für den Komplex hat sich auch bereits der Gemeinderat mit dem Buigen-Center beschäftigt mit dem Ziel eines ausgereiften Nutzungskonzepts. Gute Chancen auf eine Verbesserung dürfte es die die Tatsache geben, dass die Stadt vor knapp einem Jahr Teile des Buigen-Centers West gekauft hat.
Verschönern oder abreißen?
Ginge es nach den geäußerten Wünschen der Befragten, könnte das in den 1970er-Jahren gebaute Center in Zukunft ein Ärztehaus beherbergen, auch regelmäßige Kulturveranstaltungen könnten sich manche in den Gebäuden vorstellen. Und: Das Buigen-Center soll schöner werden, durch mehr Farbe oder eine Verkleidung mit Holz. Auch mit Abriss und Neubau liebäugelten manche Teilnehmer an der Bürgerbefragung. Für Stadtverwaltung und Gemeinderat dürften sich in der Auswertung etliche Ansätze finden, diesen Teil der Stadt aktiv aufzuwerten. An einem Nutzungskonzept wird bereits gearbeitet.
Ähnlich leidenschaftlich sehen viele Menschen rund um den Buigen die Frage der Gewerbeentwicklung. Zwar wünschen sie sich Entwicklungsmöglichkeiten für kleine Unternehmen, neue Gewerbeansiedelungen wollten manche der Befragten aber zum Beispiel daran geknüpft wissen, dass dadurch möglichst viele Arbeitsplätze entstehen. In Eselsburg dagegen sorgt man sich davor, dass die Landschaft des beliebten Naherholungsgebiets durch ein neues Gewerbegebiet gestört werden könnte.
Wie geht es weiter?
Schnelle Ergebnisse sind aufgrund der Vielzahl der Themen nicht zu erwarten. Auf der Basis der bislang gesammelten Informationen erstellt das Büro Reschl nun einen Konzeptentwurf, danach wird sich der Gemeinderat eingehend mit den dem Aufgabenkomplex beschäftigen. Die Verabschiedung des Stadtentwicklungskonzepts soll dann im Frühjahr 2023 erfolgen.