Heiliger Bimbam (14 von 17)

Schnaitheims Familiendrama unter Glocken und der feuerfeste Salamander

Erinnert ein wenig an Erich Kästners „doppeltes Lottchen“: Aus Schnaitheim ist von einem spektakulären Familiendrama unter Glocken zu berichten.

Schnaitheims Familiendrama unter Glocken und der feuerfeste Salamander

Man sieht sie nicht – aber sie sind weithin zu hören. Kirchenglocken erklingen in jeder Stadt und in jedem Dorf, manche davon schon seit vielen Jahrhunderten. Die ältesten noch erhaltenen Exemplare im Landkreis betrachten wir im Rahmen einer Serie, die unsere Glöckner heute nach Schnaitheim führt, wo sich die Szenerie einer Art Familiendrama vor ihnen auftut.

Erich Kästners wirklich wunderbare Geschichte vom „doppelten Lottchen“ ist inzwischen in der zunehmend virtuellen Welt vielleicht etwas außer Mode gekommen. Wer sie aber kennt, wird, wie Arthur Penk und Manfred Kubiak, kopfnickend darüber staunen, dass es auch im Universum der Glocken getrennte Schwestern gibt. Unsere Geschichte spielt jedoch nicht wie im Roman zwischen München und Wien, sondern zwischen Schnaitheim und Steinheim.

Doch zunächst einmal ist von einer Geschichte in der Geschichte noch rein gar nichts zu ahnen, als die beiden Glockenspione in der Schnaitheimer Michaelskirche eintreffen, wo sie von Pfarrer Armin Leibold empfangen werden. Erzählen wollen sie die Geschichte der größten der hier erklingenden vier Glocken. Sie ist 365 Kilogramm schwer. Gegossen wurde sie im Jahr 1484. Und zwar wahrscheinlich vom älteren Jerg Kastner, der, beziehungsweise dessen Sohn gleichen Namens, uns im Verlaufe dieser Serie schon mehrfach über den Weg gelaufen ist. Kastner senior hatte 1471 seine Werkstatt in Giengen eröffnet, die nach dem Tod des Gründers vom jüngeren Jerg weitergeführt worden war, bis sich der 1509 in Ulm als Gießer niederließ.

Besonders schön zu sehen ist auf dieser Glocke – die Inschrift beinhaltet, wie bei den Kastners üblich, die Namen der vier Evangelisten –, dass im 15. Jahrhundert die Ziffer 4 noch als nach unten offene halbe 8 geschrieben wurde. Das auffälligste Merkmal dieser Glocke ist jedoch der Naturabdruck eines Salamanders, der allerdings, was sogar eher der Fall sein dürfte, auch eine Eidechse sein könnte. Ob das Tier vor dem Glockenguss in natura oder doch als Wachsmodell auf die sogenannte Falsche Glocke kam – wie eine Glocke gegossen wird, hatten wir in der ersten Folge der Serie ausführlich behandelt – muss der Phantasie überlassen bleiben. Das Bronzetier wirkt auf alle Fälle sehr lebensecht.

Der Feuersalamander, denn ein solcher war sicherlich die Intention des Gießers, galt im Mittelalter und noch darüber hinaus als feuerfest, wurde, wenn zur Hand, sogar in Feuer geworfen, um diese zu löschen. Und deshalb dürfte der Salamander auf der Schnaitheimer Glocke zweierlei bedeuten: erstens, dass er als Beschwörung gegen Feuersbrunst diente; und zweitens, dass seine Glocke auch als Feuerglocke diente, um die Bevölkerung bei einem Brand im Ort rechtzeitig vor der Gefahr zu warnen. Als unsere Glöckner bei ihrem Besuch in der Karlsruher Glockengießerei Bachert den Schnaitheimer Salamander erwähnten, erfuhren sie übrigens, dass eine der alten Glocken der Kathedrale von Palma de Mallorca ein Gecko ziert.

Ehrenplatz hinter der Kirche

Während auf der mallorquinischen Inselhauptstadt sagenhafte neun Glocken im Turm hängen, sind es in Schnaitheim immerhin vier, wobei die drei kleineren, die 1968 bei Gebrüder Rincker im hessischen Sinn gegossen wurden, beinahe 500 Jahre jünger sind. Sie ersetzten übrigens die beiden Gussstahlglocken, die 1920 für die im Ersten Weltkrieg eingeschmolzenen Glocken eingebauten worden waren. Eine von ihnen war von dem aus Schnaitheim gebürtigen, in Birkersdorf bei Düren wirkenden Fabrikanten Gustav Schurz gestiftet worden. Apropos Weltkrieg: Sowohl 1917 als auch 1942 durfte die Kastner-Glocke in Schnaitheim bleiben, lief also nie Gefahr, eingeschmolzen zu werden.

Die beiden Gussstahlglocken kann man heute noch auf der Nordseite der Kirche sehen, wo sie einen Ehrenplatz im Freien erhalten haben, an dem langsam, aber sicher die an den Glocken verbliebenen alten Holzjoche verwittern. In der Glockenstube gesellte sich 1968 zum bisherigen Dreiergeläut nicht nur eine vierte Glocke hinzu, sondern wurde in Sachen Glockenstuhl und Glockenjoche auf Stahl umgestellt. Heute würde man bei Holz bleiben. Und vielleicht bringt ja die Zukunft noch einmal eine Veränderung in Sachen Werkstoff?! Das Schnaitheimer Gloria-Motiv

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würde schon allein mit Holzjochen noch wesentlicher schöner klingen. Interessant, weil ungewöhnlich, klingt es ohnehin, da der Kastner-Glocke eine gewisse Inharmonizität eigen ist, eine leichte Teiltonverstimmung, die fast den Eindruck entstehen lässt, als würde irgendwie noch eine weitere Glocke mit im Spiel sein.

Leider nicht mehr mit im Spiel in Schnaitheim, und damit kommen wir endlich zu dem eingangs erwähnten Familiendrama, ist die zweite Kastner-Glocke der Michaelskirche. Diese wurde 1489 gegossen, ist also nur fünf Jahre jünger als ihre ältere Schwester und – verschwand 1807 aus dem öffentlichen Leben Schnaitheims. Viel länger sogar hatte sie da schon nicht mehr auf dem Kirchturm gehangen. Dort war nämlich 1742 ein neuer Glockenstuhl eingebaut worden. Die beiden Glocken mussten vom Kirchturm und erhielten Asyl im Torturm, der damals dort stand, wo sich heute der Torbogen befindet.

Zurück auf den Kirchturm gelangte aber, warum auch immer, nur die größere der beiden Glocken. Und als der Torturm im Jahr 1807 abgerissen wurde, ward von da an auch die kleine Schwester in Schnaitheim nicht mehr gesehen. Es sollte fast 170 Jahre dauern, bis man wenigstens wieder Kunde von ihr erhielt. Und zwar aus Steinheim. Dort war Ende April 1975 beim Abbruch des Rathauses eine Glocke gefunden worden, von deren Existenz niemand etwas gewusst hatte.

Eine Rechnung gibt Auskunft

Was wiederum dem Bürgermeister Dieter Eisele und dem Heimatpfleger Rudolf Weit keine Ruhe ließ, bis Weit im Archiv auf eine Rechnung aus dem Jahr 1836 stieß, laut der die Gemeinde Steinheim für 44 Gulden in Schnaitheim eine Glocke gekauft hatte. Eine entsprechende Nachfrage brachte auch dort die Ortschronisten auf Trab – und so war am Ende nicht nur aus Steinheimer Sicht die Herkunft der Glocke, sondern aus Schnaitheimer Blickwinkel auch der Verbleib derselben geklärt. Noch immer weiß man freilich nicht, wo die Glocke die beinahe 30 Jahre vom Zeitpunkt des Torturm-Abrisses bis zum Verkauf nach Steinheim verbracht hat.

Und anstatt also im Glockenstuhl der Michaelskirche neben ihrer großen Schwester zu läuten, hängt die kleine Kastner-Glocke von 1489 nun vor dem Sitzungssaal des inzwischen ja auch nicht mehr so neuen Steinheimer Rathauses.