„Ich lebe allein. Ich brauche eine menschliche Stimme“, oder „Ich bin nicht suizidgefährdet. Darf ich trotzdem mit Ihnen reden?“ So lauten manchmal die ersten Sätze von Menschen, die sich bei der Telefonseelsorge gemeldet haben, um per Telefon, Chat oder Mail Hilfe in ihrer schlechten Lebenslage zu bekommen. Bei der Vorstellung der Telefonseelsorge im Heidenheimer Kreistag wurde klar: Das Angebot ist zur Zeit – auch durch den Ukraine-Krieg und die Inflation – gefragter denn je.

Die Telefonseelsorge hat bundesweit 107 Stellen, der Landkreis Heidenheim fällt unter die Stelle in Ulm/Neu-Ulm. Menschen können rund um die Uhr mit den Mitarbeitern über ihre Sorgen und Probleme sprechen. Die jüngste Erkenntnis: „Wir beobachten, dass die Zahl der Anrufversuche in den letzten Jahren steigt“, so Miriam Sommer, die gemeinsam mit Claudia Köpf Leiterin der Telefonseelsorge Ulm/Neu-Ulm ist. „Ratsuchende müssen im Schnitt deutlich öfter anrufen, um mit Telefonseelsorgern sprechen zu können. Daraus können wir ablesen, dass der Bedarf insgesamt steigt“, erklärt Sommer.

Weibliche Anrufer deutlich in der Überzahl

Die ausgewerteten Gesprächsdaten zeigen, dass knapp Dreiviertel der Ratsuchenden weiblich sind. Die Zahl der männlichen Anrufer sei in letzter Zeit dennoch gestiegen, so Köpf und Sommer. Ein Blick auf die Altersverteilung offenbart ein sehr breites Spektrum. Auch wenn ein großer Teil im mittleren Alter ist, gibt es sowohl Anrufer über 80 als auch Minderjährige, die ihre Sorgen und Ängste teilen wollen. „Der Anteil Jugendlicher zwischen 15 und 19 Jahren ist um 90 Prozent angestiegen“, so Claudia Köpf im im Kreistag.

Um mit Telefonseelsorgern zu sprechen, greifen die Anrufer über 40 am liebsten zum Telefonhörer. Das Gespräch per Chat ist vor allem bei 20- bis 29-Jährigen und generell bei Menschen unter 50 Jahren beliebt. Bei den Jugendlichen ist die E-Mail und auch der Chat das Mittel der Wahl.

Ursprung der Telefonseelsorge ist Hilfe für suizidgefährdete Menschen

In den Anfangszeiten der Telefonseelsorge ging es vor allem darum, suizidalen Menschen Hilfestellungen zu geben. Auch heute äußern noch einige Menschen ihre Selbstmordgedanken, doch inzwischen sind die Anlässe der Gespräche breiter gefächert. Bei rund 45 Prozent der Ratsuchenden ist eine psychische Erkrankung bekannt. Auch Einsamkeit, depressive Stimmung und familiäre Beziehungen sowie das körperliche Befinden, Angst und emotionale Erschöpfung beschäftigen die Menschen.

Die Telefonseelsorge Ulm/Neu-Ulm ist für die Landkreise Ulm, Neu-Ulm, Alb-Donau, Heidenheim und den Ostalbkreis und damit für circa eine Million Menschen zuständig. Der Austausch per Chat läuft bundesweit.

85 ehrenamtliche Mitarbeiter und 18 Auszubildende bei der Telefonseelsorge Ulm/Neu-Ulm

Zur Zeit haben Köpf und Sommer ein Team aus 85 Ehrenamtlichen und 18 Auszubildenden hinter sich. „24 Menschen sind bereit, im Oktober die Ausbildung zu beginnen, das sind mehr als wir tragen können“, sagt Köpf.

In Heidenheim begannen im September 2022 sechs Personen die sogenannte Chat-Seelsorge-Ausbildung. „Die Ausbildung findet im katholischen Dekanat statt und wird über Spenden finanziert“, sagt Sommer. Nach Ende der Ausbildung im April startet eine sechsmonatige Einarbeitungsphase mit zwei Supervisionen pro Monat, in deren Anschluss die Seelsorgearbeit auch von zu Hause geleistet werden kann. „Auf diesem Weg können die Menschen trotz der Entfernung zur Dienststelle in Ulm eine ehrenamtliche Tätigkeit bei der Telefonseelsorge aufnehmen“, erklärt Miriam Sommer.

Verweis an Beratungsstellen oder Ärzte

Die Telefonseelsorge verspricht den Menschen durch Krisenhilfe in schwierigen Lebenslagen, Begleitung für Belastete und Auskünfte im psychosozialen Bereich Halt zu geben. Sind die Möglichkeiten der Ehrenamtlichen erschöpft, so werden die Ratsuchenden an geeignete Beratungsstellen oder Ärzte verwiesen. Der letzte Satz des Gesprächs lautet dann etwa: „Vielen Dank fürs Zuhören, die Geduld, die Anregungen und das „Kopf waschen“.“

Ausstellung „Leih uns dein Ohr“ im Landratsamt

Bis Ende April zeigt die Telefonseelsorge im Heidenheimer Landratsamt die Ausstellung „Leih uns dein Ohr“. Die Telefonseelsorge Ulm hat diese Ausstellung im Rahmen ihres 45-jährigen Jubiläums von der Ravensburger Telefonseelsorge ausgeliehen bekommen. „In 27 Bildern wird ein Einblick in die Tätigkeiten eines Seelsorgenden gezeigt und deutlich gemacht, welche Kompetenzen nötig sind, um der herausfordernden Aufgabe gewachsen zu sein“, so Miriam Sommer.

Die Telefonseelsorge ist unter 0800-1110111 oder 0800-1110222 zu erreichen. Über die Webseite www.telefonseelsorge-ulm.de gelangt man zum Chat- und Mailkontakt.