Berichten Sie doch in Ihrer Redaktion einfach mal sachlich und neutral, schreibt uns ein Leser in dieser Woche. Glücklicherweise liefert er gleich darauf den Kontext dieser Forderung. Er bezieht sich auf die Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung in Berlin. Wir hätten geschrieben, dass dabei rund 20 000 Demonstranten durch die Stadt gezogen wären. Das sei ganz klar eine Lüge. Er kenne jemanden, der dabeigewesen sei. Außerdem könne er mit einem beigefügten Foto belegen, dass sich dort mindestens eine Million Menschen versammelt hätte. „Heben Sie sich doch positiv von der Masse der anderen Medien ab und korrigieren Sie diese Zahl.“
Von diesen Zuschriften haben uns in der vergangenen Woche einige erreicht. Zumeist enthalten sie noch ein paar versteckte Drohungen. Deshalb haben wir auch in der Redaktion darüber gesprochen und ich möchte meine Kolumne in dieser Woche dazu nutzen, zu erklären, warum wir diesen Forderungen nicht nachkommen werden.
Die Redaktion verwendet bei ihrer Berichterstattung verlässliche Quellen. Dazu gehört in diesem Fall beispielsweise die Berliner Polizei. Sie schätzt die Teilnehmerzahl aus der Luft. Dabei werde die Quadratmeterzahl geschätzt und nach „physikalischen Grundsätzen“ berechnet, wie viele Menschen pro Kopf auf das Gebiet passen, teilte die Pressestelle mit. So kam es zu der vermeldeten Teilnehmerzahl.
Zudem gibt es noch Internetangebote wie „Mapchecking“, die eine Gegenprobe erlauben. Dort ist es möglich, die maximale Anzahl stehender Personen in einem bestimmten Gebiet zu berechnen. Ab 5,5 Menschen pro Quadratmeter besteht ein hohes gesundheitliches Risiko, etwa durch eine Massenpanik, wie es sie beispielsweise bei der Love Parade in Duisburg gegeben hatte. Doch selbst wenn man diesen Wert nehmen und mit der Fläche der gesamten Demonstration multiplizieren würde, hätten hier maximal rund 66 300 Menschen Platz. Die These von einer Million Teilnehmern kann damit klar widerlegt werden.
Auch ein weiterer Punkt in den Zuschriften, die sich seltsamerweise in den Argumentationsketten gleichen, ist zumindest strittig. Denn hier wird behauptet, die zuletzt wieder steigenden Infektionszahlen seien vor allem auf die steigende Zahl an Covid-19-Tests zurückzuführen, die noch dazu Menschen fälschlicherweise als corona-positiv ausweisen würden. Die Schaffung der lokalen Testzentren im Kreis Heidenheim sei deshalb der falsche Weg und müsse unbedingt verhindert werden.
Auch hier kann ein Faktencheck helfen: Die Recherche-Plattform Correctiv hat genau diese Aussage untersucht. Die Kollegen kommen zu dem Ergebnis, dass die behauptete Fehlerquote von 30 bis 50 Prozent bei den Corona-Tests schlicht falsch sei. Nach Angaben der Gesellschaft zur Förderung der Qualitätssicherung in medizinischen Laboratorien liegt bei positiven Proben der Wert für ein fehlerhaftes Ergebnis zwischen 0,3 und 1,1 Prozent. Für covid-19-negative Menschen liegt die Wahrscheinlichkeit, bei einem Test als fälschlicherweise positiv eingestuft zu werden, bei 1,4 bis 2,2 Prozent. Auf die aktuellen Fallzahlen im Kreis heruntergebrochen, könnte es also sein, dass zwölf Menschen fälschlicherweise als Corona-Infizierte ausgewiesen worden sind, obwohl sie eigentlich gesund waren. Da bei jeder Erkrankung allerdings mehrere Tests durchgeführt werden, relativiert sich dieser Wert schnell in den einstelligen Bereich.
Es stimmt also, es gibt eine Fehlerquote. Sie ist allerdings nicht hoch. Deswegen jedoch auf die lokalen Corona-Zentren im Kreis oder gar komplett auf Covid-19-Tests zu verzichten – davon raten die meisten Experten ab.
Wir in der Redaktion halten uns an Informationen, die wir prüfen und hinterfragen können. Auf dieser Basis liefern wir unseren Lesern tagtäglich den aktuell vorhandenen Corona-Wissensstand. Bestmöglich recherchiert, aber sicherlich nie perfekt, weil wir auch wissen, dass es gerade in der Wissenschaft die eine, die absolute Wahrheit, nicht gibt. Jeder Leser soll sich selbst ein Bild machen können und eigene Schlüsse ziehen. Dabei bleiben wir aber immer bei den Fakten, sachlicher und neutraler geht es zumindest nach unserer Meinung nicht. Und das ist deutlich seriöser als die Informationen aus „alternativen Quellen“ in den sozialen Medien, auf die sich einige der Zuschriften zur Berliner Corona-Demo bezogen haben. Denn diese Fakten sind vieles von unterhaltend bis erschreckend, aber meistens sind sie leider auch viel zu alternativ, um wahr zu sein.