Wenn etwas im Leben von Renate Heckele eine große Rolle spielt, dann ist das schlicht und einfach das Theater, genau genommen das Naturtheater. Seit 25 Jahren trifft die 62-jährige Heidenheimerin in jedem Sommer die gleiche Entscheidung: „Man kann entweder in Urlaub gehen oder auf die Bühne.“

Bisher war die Anziehungskraft des Schlossbergs stärker als die der Schweiz, die von Schweden oder wo es Reisende in den viel zitierten kostbaren Wochen des Jahres sonst so hintreiben mag. Von Mitte Juni bis Ende August hat Renate Heckele immer wieder aufs Neue nur ein Ziel: die Freilichtbühne. Und das jeden Freitag, jeden Samstag, jeden Sonntag.

Kein Text

Hier agiert sie mal als Marktweib, dann als Gammler, als Nonne oder Passantin, füllt mit anderen Darstellern die große Freilichtbühne. Immer ohne Text, dafür mit leichtem Gemurmel und deutlichen Gesten. Allenfalls mal ein kleines Sätzchen, ein Ausruf, ein Zuruf ist drin. Mehr nicht. „Ich würde gar nie eine Hauptrolle spielen wollen“, sagt die ausgebildete Steuergehilfin, die ihre Aufgaben „im Volk“ gewissenhaft und zuverlässig ausführt, denn „der Spielleiter muss sich auf jeden Einzelnen verlassen können“.

Das heißt für ausnahmslos alle Ensemblemitglieder: spätestens eine Stunde vor dem ersten Gong zur Stelle sein, Kostüm abholen, in der Maske erscheinen, manchmal einsingen, manchmal eintanzen. „Unter vier Stunden geht da gar nichts“, sagt die Amateurdarstellerin. In der heißen Phase gehe bei mancher Probe locker ein Arbeitstag drauf. Zu ihren Aufgaben als Statistin äußert sie: „Unser Spiel ist mehr, als auf die Bühne laufen, ein bisschen gehen, ein bisschen stehen und wieder ab.“

42 Jahre im Finanzamt

Ihre „normalen“ Arbeitstage verbringt Renate Heckele seit 1977 im Heidenheimer Finanzamt. Nach 42 Jahren und einem Monat soll im September Schluss sein. Die Beamtenlaufbahn hat die ausgebildete Steuergehilfin bewusst nicht eingeschlagen: „Das stand außer Frage, weil ich dann versetzt worden wäre. Und meine Heimatstadt wollte ich nicht verlassen.“

Wink des Schicksals? 1979 hat Renate Heckele in Heidenheim geheiratet, 1987 kam der Nachwuchs zur Welt, 1992 schaute sich die Familie auf dem Schlossberg „Der Zauberer von Oz“ an und Töchterchen Simone war gleich klar: „Zuschauen ist schön, aber mitspielen noch viel schöner.“

Erste Rolle der Tochter

Ein Jahr später stand die Grundschülerin in „Ronja Räubertochter“ mit auf der Bühne. „Und weil ich die Sechsjährige nicht alleine lassen wollte.“ Schon klar. 1994 war die Mama festes Ensemblemitglied in „Michel aus Lönneberga“. „In allen Kinderstücken habe ich danach mitgespielt oder wenigstens mitgewirkt“, erzählt Renate Heckele. Die Aufführung des Musicals „Annie“ 1999 betrachtet die Darstellerin als „Sprungbrett zu den Abendveranstaltungen“, die damit ebenfalls eine feste Größe im Heckele’schen Terminkalender sind.

Spielt die 62-Jährige auch überwiegend – schweigend – „im Volk“, konnte sie vor drei Jahren in „Die kleine Hexe“ beweisen, dass sie durchaus eine Sprechrolle übernehmen kann. Über ihren kürzesten Auftritt kann sie sich heute noch amüsieren und verschluckt sich fast am Kaffee. „Der Satz sitzt immer noch. ,Schöne Weihnacht!‘ musste ich sagen.“ Weniger lustig scheint die Erinnerung an „Pension Schöller“. „Da war plötzlich der Text weg. Ein Albtraum.“

Weitere Engagements

Kleine Ausflüge aus dem Verein hat sich Renate Heckele hie und da mal geleistet. Zur „Bühne 33“ etwa. „Blues Brothers“ ist nach wie vor die unumstrittene Nummer eins auf ihrer Beliebtheitsskala. Sie hat außerdem in einer Sketchgruppe mitgewirkt und agiert im „Theater im Kunstwerk“ in Bartholomä bei Bedarf als Regieassistentin.

In der laufenden Saison mimt Renate Heckele im Naturtheater in „Westside Story“ gleiche mehrere Charaktere, im Kinderstück „Herr der Diebe“ eine Nonne. Das ruft Erinnerungen an „Sister Act“ wach, bisher unangefochtene Nummer zwei auf der Skala.

Wie es aussieht, will die Ruheständlerin in spe noch viele, viele Jahre auf der Bühne stehen. „Es ist einfach unbeschreiblich, dieses Geräusch. Dann, wenn das Publikum zum Schlussapplaus ansetzt. Dieses Gefühl möchte ich einfach nicht missen.“