Heidenheim liegt 2000 Kilometer Luftlinie vom Osten der Ukraine entfernt. Und doch ist der dort tobende Krieg auch an der Brenz präsent. Weil die Menschen hier Preissteigerungen spüren, weil die Nachrichten unablässig schlimme Bilder liefern, weil Kontakte abgerissen sind. Aber vor allem, weil hierher Geflüchtete dem Horror ein unübersehbares Gesicht geben.

Das Schicksal der Betroffenen stand auch im Mittelpunkt einer Mahnwache, die exakt ein Jahr und einen Tag nach Beginn der Kämpfe vor der Heidenheimer Stadtbibliothek stattfand.

Zweite Mahnwache in Heidenheim gegen den Ukraine-Krieg

366 Tage also. 366 Tage, nachdem der russische Präsident Wladimir Putin am 24. Februar 2022 seine Truppen in die Ukraine einrücken ließ und „imperiale Übergriffigkeit in brutalst möglicher Form“ an den Tag legte, wie es Jasmin Glänzel-Seibold ausdrückte, die Vorsitzende des Vereins „Heidenheim-fuer-ukraine.de“, gingen am Samstag wieder Heidenheimer und Ukrainer gemeinsam auf die Straße.

Es waren diesmal mit schätzungsweise 250 deutlich weniger als bei der ersten Kundgebung vor fast exakt zwölf Monaten. Ihre spürbare Anteilnahme wie auch die Empathie der Rednerinnen und Redner machten jedoch deutlich, dass die Zusicherung des Landtagsabgeordneten Martin Grath (Grüne) weiterhin viele Unterstützer hat: „Liebe Ukrainer, wir haben Euch nicht vergessen, und wir werden Euch nicht vergessen.“

Schweigeminute für die Opfer des Ukraine-Kriegs

Worte wie diese sollten die Geflüchteten ermutigen. In Gedanken zusammenschweißen kann aber genauso die Stille – eine Schweigeminute etwa, um die Grath bat. Wem der Beistand gilt, veranschaulichte ein ukrainischer Chor, der in wehmütigen Weisen von der geschundenen Heimat sang.

Eine solche – und nicht nur einen Zufluchtsort – in Heidenheim gefunden zu haben, wünschte Oberbürgermeister Michael Salomo den Menschen, die im vergangenen Jahr aus der Ukraine hierhergekommen sind. Die große Solidarität mache ihn stolz, OB dieser Stadt zu sein. Und die Mahnwache spiegele für ihn die europäischen Werte wider, so Salomo: „Wir sind füreinander da und geben uns Schutz.“

Hilfe für die Ukraine über Parteigrenzen hinweg

Glänzel-Seibold bat darum, das auch weiterhin überparteilich zu tun, „denn es ist ein gesellschaftlicher Schulterschluss nötig“. Diesen beschwor auch Landrat Peter Polta. Die Tatkraft der Bevölkerung stimme ihn zuversichtlich und erfülle ihn mit Stolz, befand er. Er verwies auf die Hilfsaktionen vieler Privatpersonen, Organisationen und Vereine wie „Heidenheim-fuer-ukraine.de“. Dieser habe in den vergangenen Monaten „Unfassbares geleistet“.

Zugleich skizzierte Polta die Anstrengungen der Verwaltung, für die mittlerweile rund 1800 im Landkreis untergebrachten Geflüchteten aus der Ukraine in ausreichendem Maße Unterkünfte bereitzustellen. An die Abgeordneten auf Bundes- und Landesebene appellierte er, für die notwendige finanzielle Unterstützung zu sorgen.

Dass ein Ende des Krieges mit klar definierten Bedingungen verknüpft sein werde, machte SPD-Landeschef Andreas Stoch in seinem verlesenen Grußwort deutlich: „Einen Frieden auf Kosten der Ukraine kann es nicht geben.“

Roderich Kiesewetter (CDU): Putin muss Krieg verlieren

Der Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter (CDU) wandte sich in diesem Zusammenhang gegen einen „Wohlstandspazifismus, der glaubt, ein Waffenstillstand allein wird Frieden bringen“. Ein solcher würde es seiner Meinung nach Putin ermöglichen, sich zu erholen und anschließend in seinen Bestrebungen fortzufahren, Moldau und möglicherweise auch die baltischen Staaten anzugreifen, um die Nato in den Krieg hineinzuziehen. „Unser Ziel muss es deshalb sein, dass Putin diesen Krieg verliert“, so Kiesewetter.

Dazu bedürfe es der Lieferung schwerer Waffen, „denn das ist die Antwort, die Putin versteht. Es ist kein Krieg Militär gegen Militär, sondern gegen eine Kulturnation“, sagte Kiesewetter. Er forderte, Russland müsse für die verursachten Schäden aufkommen, die missachteten Grenzen der Ukraine wieder respektieren, die entführten und unter neuer Identität zur Adoption freigegebenen ukrainischen Kinder zurückkehren lassen. Außerdem sei es unumgänglich, die Verletzungen des Völkerrechts international zu ahnden.

Kritik an Kundgebung von Wagenknecht und Schwarzer

Mit Blick auf die von Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer initiierte Kundgebung, die ebenfalls am Samstag in Berlin stattfand, sprach Kiesewetter von einer „falschen Friedenssehnsucht, die Links- und Rechtsextreme zusammenbringt“.

Den Jahrestag des Ukraine-Kriegs nahm auch die Heidenheimer Friedensgruppe zum Anlass, in der Fußgängerzone das Ende des täglichen Tötens zu fordern. Schwerpunkte der Politik in Deutschland und auf EU-Ebene müssten ein Waffenstillstand, Verhandlungen und Friedens-Diplomatie sein, statt der Ruf nach weiteren Waffen, so die Kernaussage. Interessierte konnten dieser Haltung mit einem vorformulierten Schreiben an Außenministerin Annalena Baerbock Nachdruck verleihen.

Niemand vermag vorherzusagen, ob es in Heidenheim in einem Jahr abermals eine Mahnwache gibt, weil der Krieg dann möglicherweise immer noch andauert. Denn Vieles hat sich nach den Worten von Pfarrer i.R. Michael Williamson in den zurückliegenden zwölf Monaten als zuvor unvorstellbar erwiesen: Mut und Hilfsbereitschaft. Aber eben auch Lügen und Verbrechen.