Kastrieren oder nicht? Diese Frage treibt viele Hundebesitzer um. Dass es eine Möglichkeit gibt, den Vierbeiner quasi auf Probe zu kastrieren, wissen viele nicht. Und so funktioniert es: Ein Implantat in der Größe eines Reiskorns wird mit Hilfe einer Kanüle dem Rüden unter die Haut gespritzt. Für mindestens sechs bzw. zwölf Monate, je nach gewählter Dosierung, verhindert der Wirkstoff im Implantat die Bildung von Sexualhormonen wie Testosteron. „Nach etwa vier bis sechs Wochen sind die Hormonwerte dann so weit gesunken, wie nach einer chirurgischen Kastration“, erklärt die Bolheimer Tierärztin Dr. Andrea Sibiller. „Die Hoden des Rüden schrumpfen und der Hund ist zeugungsunfähig. So kann man über Monate beobachten, wie sich das Verhalten des Hundes durch eine Kastration ändern würde.“
Wie ändert sich das Verhalten des Rüden?
Wenn es um das Verhalten von Hunden geht, ist die Heidenheimer Tierärztin Stephanie Grath die Anlaufstelle in der Region. Sie ist nicht nur Tierärztin, sondern hat sich in ihrer Praxis auf Tierverhalten und Verhaltenstherapie spezialisiert. „Nach einer Kastration erwartet man eine Verhaltensänderung, aber vielleicht wird dadurch eben nicht alles besser“, gibt sie zu Bedenken. „Denn wenn ein Hund nicht folgt, dann liegt das Problem meistens am anderen Ende der Hundeleine, weil der Mensch nicht genügend Motivation in die Ausbildung des Hundes gesetzt hat. Da hilft auch keine Kastration.“
Das rät die Heidenheimer Tierärztin Stephanie Grath
Trotzdem empfiehlt Stephanie Grath vielen Hundehaltern eine Kastration bzw. den Kastrationschip. „Das hilft, die Aktionsspitzen, die durch überschießendes Testosteron ausgelöst werden, zu nehmen. Der Hund wird etwas ausgeglichener.“ Zudem gebe es Hunde, die regelrecht unter ihrem hohen Testosteronspiegel leiden. „Die sind in jede Hündin schockverliebt. Es kann sein, dass sie vor lauter Verliebtheit nicht mehr Fressen oder sich wund lecken, Möbel kaputtmachen, überall markieren und aufreiten. Das ist nicht nur für den Hundehalter schlimm, sondern auch für den Hund schrecklich.“ In solchen Fällen rät Grath zur Kastration.
Risiken und Nebenwirkungen des Hormonchips
„Eine 100-prozentige Sicherheit, dass dieses Verhalten auf die Hormone und nicht auf den Charakter oder Rasseeigenschaften zurückzuführen ist, gibt es natürlich nicht“, so Stephanie Grath. „Deshalb ist es gut, dass man das mit dem Kastrationschip quasi testen kann.“ Durch die Kastration auf Probe mache man nichts kaputt, aber ganz ohne Nebenwirkungen oder Risiken ist der Kastrationschip, ebenso wie eine Kastration, nicht. „Es kann zu einer leichten Inkontinenz kommen, das Fell kann sich verändern, der Hund kann Gewicht zulegen“, erklärt Stephanie Grath. „Außerdem können manche Rüden nach der Kastration ängstlich gegenüber anderen Hunden werden oder sie werden von Rüden wie Hündinnen behandelt.“ Doch das Gute am Chip sei, dass der Eingriff reversibel ist. „Man könnte den Chip jederzeit wieder herausoperieren, wenn es zu problematischem Verhalten kommt.“
Die Bolheimer Tierärztin Dr. Andrea Sibiller sieht im Chip keine Dauerlösung
Eine Dauerlösung oder Alternative zur chirurgischen Kastration sieht Dr. Andrea Sibiller im Hormonchip allerdings nicht. „Wenn die Wirkung des Chips nachlässt, wird wieder ,volle Pulle‘ Testosteron produziert und solche hormonellen Schwankungen sind auf Dauer nicht gut. Dazu kommt, dass der Hormonchip nicht viel günstiger ist als eine OP.“
Grundsätzlich ist das Thema Kastration aber kein unstrittiges. Das Tierschutzgesetz verbietet, das vollständige oder teilweise Amputieren von Körperteilen oder das vollständige oder teilweise Entfernen oder Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltieres und damit grundsätzlich auch die Kastration, wenn sie ohne vernünftigen Grund passiert. Vernünftige Gründe für eine Kastration können unter anderem sein: eine tierärztliche Indikation, wie Gebärmuttervereiterung oder Hodenhochstand oder die Verhinderung der unkontrollierten Fortpflanzung.
Die Lebenserwartung der Tiere steigt um zwei Jahre
„Ich bin aber prinzipiell der Meinung, dass man Kater, Katzen, Rüden und Hündinnen kastrieren lassen sollte“, sagt Dr. Andrea Sibiller. Und dabei geht es ihr nicht nur darum, unerwünschte, hormonell bedingte Verhaltensweisen zu unterbinden. Die Bolheimer Tierärztin: „Ältere Rüden neigen zu Hoden- oder Prostatakrebs. Das Auftreten dieser Erkrankungen wird durch die Operation deutlich verringert. Ebenso wie Gebärmutterentzündungen, Eierstockprobleme oder Zitzentumore bei Hündinnen. Statistiken zeigen, dass die Lebenserwartung der Tiere nach einer Kastration durchschnittlich um zwei Jahre steigt. Und bei den Katzen und Katern kommt noch dazu, dass nur so eine ungebremste Vermehrung verhindert werden kann.“
Kreis Heidenheim
Kastrieren? Sterilisieren?
Bei einer Sterilisation werden die Samen- oder Eileiter durchtrennt. „Dadurch gibt es keinen Nachwuchs, aber der Geschlechtstrieb und hormonbedingte Verhaltensweisen der Tiere bleiben unverändert“, erklärt Dr. Andrea Sibiller. Bei einer Kastration werden die Hoden oder die Eierstöcke und ein Teil der Gebärmutter entfernt, das verändert den Hormonhaushalt und damit auch das Triebverhalten. „Anders als vor 30 Jahren wird heutzutage jedes Tier prinzipiell kastriert, Sterilisation gibt es praktisch nicht mehr.“
Unter dem Suchbegriff „Doktor Dreas Tierarztpraxis Kastration“ hat Sibiller ein Video zum Thema auf Youtube hochgeladen.