Auch wegen der unbeständigen Corona-Zahlen wurde ein für November geplantes Treffen der Gruppe ME/CFS Selbsthilfe Ostwürttemberg von den Verantwortlichen abgesagt. „Ein gewisses Risiko besteht bei solchen Treffen natürlich immer, aber während des Sommers konnten wir das Ansteckungsrisiko durch Lüften zumindest senken“, sagt Wilfried Lang.
Lang hat 2021 die Selbsthilfegruppe gegründet und leitet sie gemeinsam mit Silke Rathgeb. Da er selbst an ME/CFS leidet möchte er nicht zuletzt aus diesem Grund eine Infektion mit Covid natürlich vermeiden. Die Myalgische Enzephalomyelitis (ME), auch benannt als Chronisches Fatigue Syndrom (CFS) ist eine schwere organische Erkrankung, die oft zu einem hohen Grad körperlicher Behinderung führt. „Ich war während der gesamten Pandemie über sehr vorsichtig, aber vor ein paar Wochen hat mich meine sieben Monate alte Enkelin angesteckt“, sagt er. „Ungeimpft hätte ich es nicht haben wollen, sonst wäre es vielleicht nicht so glimpflich verlaufen.“
Angst vor dem Post-Vac-Syndrom
Ob er sich, auch wegen seiner Erkrankungen, überhaupt impfen lässt, war durchaus auch ein Thema für Wilfried Lang. Er hatte Angst vor dem sogenannten Post-Vac-Syndrom (engl. vaccination = Impfung), das durch eine Corona-Impfung ausgelöst werden und andauernde Krankheitssymptome auslösen kann. „In der Uniklinik Marburg gibt es die bisher einzige Ambulanz für das Post-Vac-Syndrom“, sagt Lang. „Und die ist völlig überlaufen.“ Betroffene berichten von Blutdruckschwankungen, plötzlichem Herzrasen, Kopfschmerzen, Sehstörungen, lähmender Müdigkeit und Konzentrationsschwäche. „Es gibt Überschneidungen mit ME/CFS“, erklärt Lang. Auch sind es völlig unterschiedliche Krankheitssymptome, die scheinbar gar nichts miteinander zu tun haben. „Und auch das trifft auf unser Krankheitsbild und das von Long Covid zu.“ Es seien schwierige Patienten, die niemand haben will. „Es können bis zu 200 Symptome parallel auftreten. Da ist es für Ärztinnen und Ärzte leichter, es auf die Psyche und die Einbildung zu schieben.“
Musikalischer Advents- und Weihnachtskalender
Nun aber der Blick nach vorn: Was plant die Selbsthilfegruppe für die kommenden Wochen und Monate? Da wäre zunächst einmal der musikalische Advents- und Weihnachtskalender. Vor seiner Verrentung aufgrund ME/CFS leitete Wilfried Lang sieben Chöre und war Musiker und Lehrer an der Musikschule Steinheim. Für den musikalischen Adventskalender hat er nun ein Programm auf der Orgel der Versöhnungskirche und dem Klavier eingespielt. Vom 1. bis zum 24. Dezember werden die Stücke zusammen mit Aufklärungstexten über ME/CFS auf medotcfs.wpcomstaging.com unter der Rubrik Aktuelles erscheinen.
„Wir sind nicht nur müde“
„Unser Ziel ist es, die Krankheit bekannter zu machen“, erklärt Lang die Motivation. „Das soll auch helfen, die Betroffenen aus einem Stigma von Vorurteilen zu befreien.“ Man sei nicht einfach nur müde und Bewegung über die Belastungsgrenze hinaus sei schädlich und nicht nützlich. „Das wissen selbst viele Ärzte nicht. Nicht wenige Betroffene kommen deshalb auch noch kränker aus einer Reha zurück.“ Die Erkrankung sei keine psychische und keine leichte. „Es gibt in unserer Gruppe auch Betroffene, die 24 Stunden bettlägrig sind“, sagt Lang. „Auch für sie ist der Adventskalender gedacht.“
„Wir brauchen dringend Kompetenzzentren“
Für das kommende Jahr sind zudem bereits drei Selbsthilfetreffen mit verschiedenen Referenten, darunter die Aalener Ärztin Dr. Ulrike Holzer, sowie einer Einführung ins Sitz-Yoga geplant. Laut Wilfried Lang besuchten die vergangenen Treffen immer zwischen 15 und 20 Personen. „Ich bekomme aber viele zusätzliche Anrufe, 80 Menschen stehen derzeit auf der Liste.“ Für ihn ein klares Indiz dafür, dass das Thema drängend ist und viele Leute betrifft. „So schlimm Corona ist oder war, für uns war es ein Segen. So kam Bewegung in die Sache. Wir brauchen dringend Kompetenzzentren an Unikliniken und Ärzte, die sich mit dem Krankheitsbild auskennen.“ Da etwa zehn Prozent der Long-Covid-Patienten ein Vollbild von ME/CFS entwickeln sei dringender Handlungsbedarf vorhanden. Gemeinsam mit der AOK plane man für kommendes Jahr auch einen Long-Covid-Tag.
„Es gibt keine Behandlung“
In diesem Jahr fand außerdem eine öffentliche Anhörung des Sozial- und Gesundheitsausschusses im Landtag von Baden-Württemberg statt, in der Betroffene über ME/CFS aufklärten und auch für die finanzielle Unterstützung für die Erforschung warben. „Das Problem bei ME/CFS wie bei Long Covid ist, dass es keine Behandlung gibt. Und alternative Therapien müssen die Patientinnen und Patienten selbst bezahlen. Das muss sich ändern“, so Lang. Für das kommende Jahr plant das Land eine Informationskampagne. „Ärzte, Pflegepersonal, Gutachter – alle müssen erfahren, was ME/CFS ist“, sagt Wilfried Lang. „Die Mühlen mahlen langsam, aber ich bin zuversichtlich, dass sich jetzt etwas tut. Ich glaube, das Problem ist bei den Politikern angekommen.“
Region Heidenheim
Die Krankheit
Der Begriff ME/CFS ist vielen unbekannt. Unter der Myalgischen Enzephalomeyelitis (ME), auch benannt als Chronisches Fatigue Syndrom (CFS), leiden in Deutschland aber rund 300.000 Menschen. Und seit Covid-19 kommen immer mehr hinzu. Trotzdem ist die Erkrankung bislang wenig erforscht. Klar ist: ME/CFS ist eine schwere chronische Krankheit, die meist durch eine Virusinfektion ausgelöst wird – etwa dem Pfeifferschen Drüsenfieber oder Herpes. Und als Folge einer Corona-Infektion kann ME/CFS auch Teil von Long Covid sein.
Die immunologische Multisystemerkrankung hat verheerende Auswirkungen auf das Leben der Betroffenen. Neben starker Schmerzen leiden sie unter anderem an Atemproblemen, Nahrungsunverträglichkeiten, Konzentrationsschwierigkeiten, Überempfindlichkeit gegenüber Licht, Gerüchen und Geräuschen sowie einer gestörten Bewegungskoordination. Typisch für ME/CFS ist eine Verstärkung aller Symptome nach körperlicher und geistiger Anstrengung.