An seinen ersten Arbeitstag im Giengener Stadtarchiv in der alten Grabenschule kann sich Dr. Alexander Usler noch gut erinnern. Es war der 2. Januar 1992, ein schneereicher Wintermorgen, als er seinen Dienst antrat – und das mit großer Vorfreude.
Noch heute ist es für ihn ein Gänsehaut-Moment, wenn er daran zurückdenkt, wie ihm der damalige Bürgermeister Siegfried Rieg mit einem Händedruck gratulierte, nachdem sich Usler gegen mehrere Mitbewerber durchgesetzt hatte und damit erster hauptamtlicher Archivar der Stadt wurde.
Nach gut 31 Jahren ist der 65-Jährige (auf seinen Beruf bezogen) nun quasi selbst Geschichte. Mit dem heutigen 1. April beginnt die Phase des Ruhestands. Doch sein großes Steckenpferd, die Historie Giengens mit ihrer reichsstädtischen Vergangenheit, wird ihn auch ohne den täglichen Gang an die bisherige Wirkungsstätte in der Friedrich-List-Straße 8 nicht loslassen.
Ein Giengener vom Scheitel bis zur Sohle
Usler ist in Giengen geboren, machte in Giengen Abitur, wohnt in Giengen und ist leidenschaftlicher Historiker. Kein Wunder, dass er rückblickend von einem ausgesprochenen Glücksfall spricht, eine Art Sechser im Lotto. All seine persönlichen Wunsch-Komponenten vereinten sich in seinem Broterwerb.
Auf die Verwirklichung dessen musste Usler freilich eine Weile warten, denn vor gut 30 Jahren hatten es Historiker ausgesprochen schwer, Anstellungen zu finden. „Es gab da eine Historiker-Schwemme“, erinnert er sich.
Zwar ist vorgeschrieben, dass jede Kommune ein Archiv führen muss. Wie das zu geschehen hat, lässt der Gesetzgeber aber offen. Folglich läuft die lokale Geschichtsschreibung in vielen Gemeinden eher nebenher oder auf ehrenamtlicher Basis. Auch Giengen entschied sich erst Anfang der 90-er Jahre für eine hauptamtliche Stellenausschreibung.
Traumberuf und Traumfrau
„Ich war irgendwie immer ein Spätzünder“, schmunzelt Usler rückblickend und bezieht diese Bezeichnung nicht nur auf die Wahl seines Berufes. Auch im privaten Bereich hat er mit seiner Ehefrau Sigrid vergleichsweise spät sein Glück gefunden. Dafür kann er heute sagen: „Ich hatte einen Traumberuf – ohne Wenn und Aber, und ich habe eine Traumfrau.“
Traumberuf Archivar? Mancher Zeitgenosse mag da seine Zweifel haben, denn der berufliche Alltag des Hüters historischer Schätze klingt irgendwie nach einem staubtrockenen Kampf mit schwer zu entziffernden Schriftstücken aus vergilbten Aktenbergen. Ist das nicht eher ein Job für Sonderlinge?
Mit diesem Klischee ist auch Usler immer wieder konfrontiert worden, und manchmal hat er seine Gegenüber auch durchaus im Glauben gelassen, der Aufbau eines Archives sei etwas für amtsschimmelige Bücherwürmer, die zur Einsiedelei neigen. Die Wahrheit freilich, betont der Neu-Ruheständler, sei eine ganz andere.
Viel herumgekommen
Zum einen hat er keinesfalls nur immerzu sein Arbeitszimmer gehütet, sondern ist mehr herumgekommen als mancher Fachamtsleiter im Rathaus. So besuchte er beispielsweise in früheren Jahren auch regelmäßig die Archivtage, eine Zusammenkunft von Archivaren aus ganz Deutschland, die sich über eine Woche erstreckte und die ihn unter anderem nach Hamburg, Dresden oder München führte.
Auch sonst gab es immer mal wieder Dienstreisen, die der Vervollständigung wichtiger Unterlagen dienten. „Mir war es nicht eine Sekunde langweilig“, versichert er, und es gebe im Verwaltungsbereich in Wahrheit keinen zweiten Job, der so abwechslungsreich und interessant sei – „außer dem des Oberbürgermeisters“.
Ausgeprägter Entdeckergeist
Das, was Usler als abwechslungsreich und interessant bezeichnet, hat mit einem ausgeprägten Forscher- und Entdeckergeist zu tun. Herauszubekommen, was die Menschen der Heimatstadt einst umtrieb, was beispielsweise passierte, als Giengen noch Reichsstadt war, über eine eigene Gerichtsbarkeit verfügte und durch den Rat bisweilen auch Todesurteile fällte, gleicht einer detektivischen Spurensuche in eine ganz andere Lebenswirklichkeit. Und wenn historische Lücken geschlossen werden, ist das durchaus so, als habe man einen Schatz gefunden.
Das Giengener Kinderfest, eines der traditionsreichsten und beliebtesten seiner Art, mag als Beleg für so einen gehobenen Schatz dienen. Bis vor einigen Jahren war 1677 das älteste Datum, das die Geschichtsschreiber mit dem Schießberg-Treiben in Verbindung brachten. Doch Usler entdeckte eines Tages eine schriftliche Erwähnung dieses Klassikers aus dem Jahr 1659 – ein Glücksmoment für einen Archivar.
Neben Schriftstücken viele Gegenstände
Gut sortiert sind im Giengener Stadtarchiv freilich nicht nur Schriftstücke wie etwa alte Ratsprotokolle. Auch viel Gegenständliches befindet sich dort: Gemälde, Abbildungen, alte Filme und Tonbänder oder beispielsweise auch eine Schallplatte, die einst die Giengener Stadtkapelle aufnehmen ließ.
Das älteste Dokument stammt aus dem Jahr 1335. Es handelt sich um eine private Stiftungsurkunde. Wertvoll ist sie vor allem auch deshalb, weil sie Hinweise aus dieser Zeit enthält, die Rückschlüsse über Alt-Giengen oder auch über die Besetzung der Pfarrämter zulassen. Lauter kleine Mosaiksteinchen, die das Bild der städtischen Vergangenheit sukzessive vervollständigen.
Weiter Interesse an Giengener Heimatgeschichte
Im Ruhestand will sich Usler nicht nur verstärkt um Haus und Garten kümmern und gemeinsam mit seiner Frau dem „Nachholbedarf an Reisen“ Genüge tun. Sein Interesse gilt weiter auch der Heimatgeschichte. Und so ist davon auszugehen, dass ihn so manche Städtereise in auswärtige Archive führt, wo Spuren zu entdecken sind, die irgendwie in Giengen münden.
Es gebe, so sagt er, in der Geschichte seiner Heimatstadt schließlich noch viele Lücken: „Ein Archiv ist nie fertig!“
Und so geht‘s weiter mit dem Giengener Archiv
Die Leitung des Giengener Stadtarchivs soll auch künftig hauptamtlich wahrgenommen werden. Wie Oberbürgermeister Dieter Henle auf Anfrage mitteilte, schreibe man die Stelle, die durch Eintritt von Dr. Alexander Usler in den Ruhestand freigeworden ist, zeitnah aus.
Seit 2012 hatte Usler nicht nur das Giengener Archiv geleitet, sondern war in gleicher Mission abwechselnd auch in Heidenheim tätig. Wie OB Henle sagte, werde der neue Archivar (oder die neue Archivarin) aber künftig nur noch für Giengen tätig sein, nachdem „Heidenheim auf unsere Anfrage kein weiteres Interesse an einer diesbezüglichen interkommunalen Zusammenarbeit signalisiert hat“. Bei der Neuausschreibung habe man ganz bewusst die Expertise des bisherigen Archivars Alexander Usler mit einfließen lassen.
Auch weiterhin werde die Stelle ihren Schwerpunkt im archivarischen Bereich haben, so Henle: „Wir möchten das Werk Dr. Uslers ja fortführen.“ Zudem gelte es, Überlegungen zur Zukunft des Giengener Stadtmuseums anzustellen.
Gleichzeitig sollte der neue Archivar die Digitalisierungsverantwortlichen der Stadt beim Aufbau der „Digitalen Kommune“ und der digitalen Langzeitarchivierung unterstützen. „Die Digitalisierungsstrategie unserer Verwaltung befindet sich in der Umsetzung; wir priorisieren, koordinieren und begleiten in unserer Strategie vielfältige Maßnahmen“, sagte Henle.
Giengen