Heiliger Bimbam (9 von 17)

Die Gussenstadter Glocke als einzige Zeugin eines ungeklärten Todesfalls

Der Kirchturm von St. Michael in Gussenstadt birgt die drittälteste Glocke im Landkreis Heidenheim und war Schauplatz eines bis heute ungeklärten Todesfalles.

Die Gussenstadter Glocke als einzige Zeugin eines ungeklärten Todesfalls

In Gussenstadt war der Kirchturm vor über 400 Jahren Schauplatz eines ungeklärten Todesfalles. Und stumme Zeugin des Vorfalls könnte die Glocke gewesen sein, die unsere Glöckner Arthur Penk und Manfred Kubiak in die Michaelskirche gelockt hat. Es handelt sich um die drittälteste Kirchenglocke im gesamten Landkreis, die im Jahr 1446 von Johannes Fraedenberger gegossen wurde. Fraedenberger, gebürtig aus Lauingen, soll identisch sein mit zwei weiteren in Ulm verzeichneten Gießern, und zwar Hans Kantengießer und Hans Glockengießer.

Die Glocke wurde wohl anlässlich des Umbaus der Kirche gegossen, vermutet der Gussenstadter Familienforscher Willi-Martin Jäger, der die Glockentester gemeinsam mit Pfarrer Hans-Ulrich Bosch in die Glockenstube hinaufführt. Als die Glocke entstand, war Gussenstadt, das erst 1448 zu Württemberg kam, noch helfensteinisch – und Christoph Kolumbus noch gar nicht geboren.

Hahn, Bischof, Rauchfass

Fraedenberger neigte dazu, seine Glocken aufwendig zu verzieren. So sind auf der Schulter zwischen der Signatur des Meisters (johannes fraedenberger de vlma) und dem Jahr des Gusses auch ein Hahn und daneben eine stehende Muttergottes zu erkennen. Darüber hinaus treten unter anderem auf: eine thronende Muttergottes, ein stehender Engel mit Kerze, ein Bischof mit Stab und Weihwedel und ein Engel mit Rauchfass. Darunter findet sich noch eine Kreuzigungsgruppe mit knienden Engeln über dem Querbalken und zu Füßen des Kreuzes und darum herum je ein Medaillon mit Evangelistensymbolen.

Die Glocke mit dem Schlagton c ist mit 300 Kilo die Nummer drei im Gussenstadter Geläut. Zusammen läuten die vier Schwestern

g,
a,
c
und d,

also den Einstieg ins „Te deum“. Der Sturm auf die Bastille war gerade mal drei und Mozarts Tod noch nicht ein Jahr her, als die kleinste, 160 Kilo schwere Glocke gegossen wurde, und zwar 1792 von Carl Friedrich Blüher in Stuttgart.

Diese Glocke war sowohl 1917 als auch 1942 zu Kriegszwecken abgegeben worden und tatsächlich jedes Mal zurückgekehrt. Die ältere war 1942 schon für den Abtransport präpariert worden, wie die noch lesbare Aufschrift Gussenstadt beweist, durfte aber aufgrund ihres historischen Wertes als Läuteglocke auf dem Turm verbleiben. Die beiden neuen Glocken wurden 1951 bei Heinrich Kurtz in Stuttgart (462 Kilo) beziehungsweise bei Gebrüder Bachert in Kochendorf bei Bad Friedrichshall (620 Kilo) gegossen.

Auf der Innenseite der ältesten Glocke in Gussenstadt finden Arthur Penk und Manfred Kubiak zur nicht geringen Überraschung ihrer beiden Gastgeber die mit Kreide geschriebenen Jahreszahlen 1544, 1586 und 1610. Dazu eine Reihe von Namen. Auch Willi-Martin Jäger kann sich keinen Reim darauf machen, nur für das Jahr 1544 fällt ihm ein historisches Ereignis ein, von dem allerdings auch fraglich ist, ob es im Zusammenhang mit einem Kreideeintrag in einer Glocke stehen könnte: 1544 wurde der erste evangelische Pfarrer, Johannes Kredin, entlassen und durch Johannes Feyel ersetzt. Vielleicht sind die Namen und Zahlen ja auch bloße Lausbubengeschichten…

Ganz sicherlich keine Lausbubengeschichte allerdings war jene, die sich im Jahr 1609 in Gussenstadt auf dem Kirchturm abspielte und mit dem Tod des aus Heldenfingen gebürtigen Mesners und Schulmeisters Hildenbrand noch nicht zu Ende war. Offiziell hatte Lucas Hildenbrand Selbstmord begangen, indem er sich vom damals noch mit einem Umlauf versehenen Kirchturm gestürzt hatte. Es war aber auch für sehr lange Zeit eine inoffizielle Version des Vorfalls in Umlauf, nach der der frühere Bürgermeister Johannes Scheible den Mesner vom Turm gestoßen habe. Allgemein bekannt im Dorf war nämlich, dass Scheible und Hildenbrand seit Jahren in heftigem Streit gelegen hatten, weil des Mesners Tochter Christina gegen Anna Scheible, die Frau des Bürgermeisters, handgreiflich geworden war, nachdem diese das Mädchen zuvor in Asselfingen, wo es im Dienst stand, wohl schlechtgemacht hatte. Zusätzlich befeuert wurde die These vom Mord durch einen kryptischen Eintrag im Gerstetter(!) Sterberegister, für den der zuvor in Gussenstadt und inzwischen in Gerstetten wirkende Pfarrer Johannes Schlaiß verantwortlich zeichnete.

Die neuen Joche

Seit Herbst 2016 übrigens klingen die Gussenstadter Glocken, wie es Pfarrer Hans-Ulrich Bosch formuliert, „wesentlich wärmer und harmonischer“. Das liegt, da ist man sich im Dorf sicher, daran, dass in der Glockenstube einiges verändert wurde. Über ein Jahr lang waren zuvor die alten, abgewirtschafteten Stahljoche der Glocken durch neue aus Holz ersetzt worden. Damit nicht genug, hatte man auch die zu harten und mit zu viel Spiel versehenen Klöppel ausgetauscht. Nun wird mit handgeschmiedeten Prachtexemplaren geläutet. Von außen angeschlagen werden die Glocken darüber hinaus mit neuen Hämmern.

Noch einmal gespart hat die Kirchengemeinde sich die Anschaffung eines neuen Holz-Glockenstuhls anstelle des in den 1950er-Jahren installierten und aus Stahl gefertigten. „Damals“, so Hans-Ulrich Bosch, „hatte man wohl gedacht, man tut sich was Gutes.“ Aber der Tag wird kommen, da der in jener Zeit nahezu allgemein verbreitete Irrtum, dass „modernes“ Material althergebrachtem grundsätzlich überlegen sei, auch in Gussenstadt korrigiert wird.

Glocken und Nachtruhe

In diesem Zusammenhang: Als während der Bauphase im Kirchturm die Glocken über längere Zeiträume schwiegen, sorgte das, wie man es von anderswo ja schon öfter hören konnte, nicht etwa für Aufatmen oder Durchschlafen. Ganz im Gegenteil: Es brachte viele im Dorf eher aus dem Konzept. „Ich habe ganz oft gehört, dass den Leuten etwas fehlen würde“, sagt Hans-Ulrich Bosch. Ein Eindruck, der sich auch mit dem des Hohenmemminger Pfarrers Johannes Weißenstein deckt, der unseren Glöcknern anlässlich deren Besuches in seiner Gemeinde ähnliches anvertraute. Und insbesondere auf dem sogenannten flachen Land und demnach lustigerweise gerade außerhalb der ja für ihre Ruhe weder bei Tag noch bei Nacht berühmten Ballungszentren findet man, so die gesammelte Erfahrung dieser Expedition, weniger bis gar keinen Grund, sich ausgerechnet über den Klang von Glocken zu beschweren.