Afrika, Neapel, Berlin, Sevilla, Aquileia, Tahiti, Irland, Minneapolis, eine tote Stadt, ein Märchenwald und noch ein Regenbogen – das waren die Stationen, die der „Blaue Abend“ der Opernfestspiele Heidenheim am Dienstag in der Hammerschmiede Königsbronn bereithielt. Dazu eine ordentliche Mischung aus der Gefühlspalette von Sehnsucht über Mordlust und unanständiger Lust der anderen Sorte bis zu Scherz und Schabernack war wieder einmal eine ganze Menge geboten bei dem wohl kontrastreichsten Crossover in einem Event der Opernfestspiele. Bei diesem wilden Ritt durch Länder, Genres, Abenteuer braucht man schon den richtigen Reiseproviant – und für den, das weiß man auch, ist ja beim Blauen Abend ebenfalls gesorgt. Und alles, auch dafür steht der Blaue Abend, erste Liga, lecker und lässig obendrein.
Das lag schon mal an der lässigen Reiseleitung: Marcus Bosch wechselte von Klavier zu Bass – ja, auch Bass! – und immer wieder zum Mikrofon und führte das wieder einmal zahlreich erschienene Publikum durch die ganz erstaunliche Route von rund vier Stunden Dauer, die Manuel Hartinger mit den 17 Solisten zusammengestellt hatte. Starten wir mal in Sevilla, wo zumindest drei Einwohner bestens bekannt sind: Don Giovanni, der Barbier und natürlich Carmen. Oder musikalisch ausgedrückt: „Là ci darem la mano“, ausdrucksvoll präsentiert von Katja Maderer und Daniel die Prinzio, das nicht minder berühmte „Largo al factotum“, für dessen gekonnte Darbietung sich Rory Dunne gleich selbst ein „Bravo, bravissimo“ singen könnte, und „Seguidilla“, leidenschaftlich und temperamentvoll auf die Bühne gebracht von Julia Rutigliano und Adam Sánchez.
Schnalzer inbegriffen
In Aquileia – dem italienischen Original, nicht dem gleichnamigen römischen Militärlager an der Brenz – spielt „Attila“, die diesjährige Verdi-Oper, und aus ihr gab Leah Gordon eine Kostprobe mit „Santo di patria“, in der sie nicht nur effektvoll ihr Messer zückte, sondern auch einmal mehr mit ihrem überaus voluminösen, kraftvollen Sopran entzückte, der die ganze Hammerschmiede mit Sound füllte. Dass sie auch ganz anders kann, nämlich warm und weich und jazzig, zeigte sie mit „No moon at all“, für das Marcus Bosch sogar zum Bass griff, um sie zu begleiten.
Und wo wir schon in Italien waren, lohnt sich ein Abstecher nach Neapel: Musa Nkuna unternahm ihn mit dem neapolitanischen Lied „Core ´ngrato“. Musa Nkuna ist ja schon ein Dauerbrenner beim Blauen Abend, und ebenso sind es seine Schnalzer. Die hatte er auch dieses Mal dabei, mit einem Lied aus seiner afrikanischen Heimat, in der er auch zum Mitmachen aufforderte. Und abermals fand sich das Publikum dabei wieder, Zunge gegen Gaumen zu drücken, denn Nkuna hatte ja gesagt, es sei einfach. Ist es nicht, möchte man ihm entgegenhalten, und es muss wohl noch viele, viele Blaue Abende geben, bis man es wie Nkuna beherrscht, Sprechen, Singen und Schnalzen in einen solch perfekten Fluss zu bringen.
Märchenwald und grüne Insel
Zur Belohnung und Entspannung für Gaumen und Gemüt hatte sich das Publikum den Ausflug in den Märchenwald redlich verdient: Katerina Hebelkova sang das „Lied an den Mond“ aus „Rusalka“, und das war betörend und innig und zart – märchenhaft eben. In ähnliche Stimmung, allerdings auf die grüne Insel versetzte „Oh Danny Boy“, das Rory Musgrave aus seiner Heimat mitgebracht hatte. Er entführte auch in die „tote Stadt“ und bot aus Korngolds gleichnamiger Oper die Arie „Mein Sehnen, mein Wähnen“- selten gehört und deshalb umso kostbarer. Selten aufgeführt wird auch die Oper „Aleko“ von Rachmaninow, Daniel Dropulja ließ daraus „Alekos Cavatina“ hören – auch das ein kostbarer Genuss.
Ein solches Urteil fällte das Uraufführungspublikum bei Stravinskys „Le sacre du printemps“ nicht – im Gegenteil: Es warf mit Stühlen. Bei dem vortrefflichen Vortrag des „Danse sacrale“ durch die Pianisten Georgi Sajala und Kuan-Ju Lin bestand für das Mobiliar der Hammerschmiede keinen Augenblick Gefahr, was insbesondere Bürgermeister Jörg Weiler als Hausherr und Publikumsgast sicherlich zu schätzen wusste.
Lila Regen und gelber Steinweg
Schwierigkeiten stellten sich eher in Tahiti ein. Aus Leonard Bernsteins „Trouble in Tahiti“ sang Jared Ice „There’s a law“. Er lud das Publikum auch dazu ein, das Unmögliche zu träumen mit „The impossible dream“ aus dem „Man of La Mancha“. Damit fehlt noch Minneapolis, und da wartete ebenfalls eine kleine Kostbarkeit: Nikola Spingler ließ es lila vom Cello regnen mit „Purple Rain“ von Prince, der wohl größten Berühmtheit aus Minneapolis.
Ach ja, Berlin: Auch da gab es eine Kostbarkeit und eine völlig unerwartete dazu. Marie-Louise Dreßen gab mit schönster Berliner Kodderschnauze Claire Waldoffs „Wegen Emil seine unanständ’ge Lust“ zum Besten, und das mit großer Stimme und großer Lust an den in dem Couplet benannten Frivolitäten – und daran hatte das Publikum eine fast schon unanständige Freude. Mit einem Regenbogen endete das furiose Programm: Mit „Over the rainbow“ breitete Ava Dodd den gelben Steinweg aus und verzauberte das Publikum.
Während einer Reise kann man sich ja auch mal Gedanken über die gesamte verzwickte Verwandtschaft machen. Theresa Maria Romes jedenfalls tat es mit dem gleichnamigen Lied von Hugo Wiener, und sie tat es keck und komödiantisch und sehr mitreißend. Ihrem „Habe Dank“ aus Richard Strauß‘ „Zuneigung“ mag man sich nur anschließen: Dank für diese köstliche Reise an alle Beteiligten, für die lukullischen Köstlichkeiten an „sKreuz“ und an die Gemeinde Königsbronn, die „die Miete nicht erhöht habe“, wie Marcus Bosch launig erwähnte. Und die nächsten Reisen stehen ja bereits an: Florenz mit „Gianni Schicchi“, die antike Stadt Mykene mit „Elektra“ und eben Aquileia mit „Attila“. Und alle Künstler des Blauen Abends sind mit dabei.
OH! im Fernsehen
Das Team des SWR begleitete die Opernfestspiele auch an diesem Blauen Abend und sammelte reichlich Bilder, O-Töne und Eindrücke. Diese werden in eine TV-Dokumentation über die Opernfestspiele einfließen. Der Sendetermin steht schon fest: Am 17. August wird sie gezeigt werden.