Das italienischste aller Gebäude in Herbrechtingen ist wohl der Campanile, der freistehende Glockenturm an der Klosterkirche. Am Samstagabend aber wurde er übertroffen vom Rathaus, genauer gesagt dem Bürgersaal, in dem die Zuhörer im Verlauf eines jede Menge italienischen Lebensgefühls verströmenden Abends sogar singend bekannten, echte Italiener zu sein.
Wenn ein Publikum auf der Ostalb so mitgerissen wird, dann muss es einen ganz besonderen Grund geben. Und der war an diesem Abend das Konzert „Bella Ciao“ aus der Reihe Liederfrühling: Organisatorin Theresa Maria Romes hatte ein fluffig-leicht wie Tiramisu zu genießendes Programm aus italienischen Canzoni zusammengestellt, das die Sopranistin selbst mit ihrem kongenialen Partner Uli Bützer, Bariton, und einer erstklassigen Band mit Instrumentenexoten wie Mandoline und Akkordina servierten.
Die Sonne Neapels
Und das taten sie mit Können, viel Gefühl und stets der passenden Energie für die Lieder, die eine große Vielfalt der weiten Welt des italienischen Liedguts zeigten. So brachten die beiden das Publikum schon ganz gut zum Abheben mit jenem Lied, das wohl zu den bekanntesten Nicht-Gewinnern des Eurovision Song Contests gehört und von dem man immer denkt, dass es „Volare“ heißt, während der Titel doch „Nel blu, di pinto di blu“ lautet. Volltreffer also gleich zum Auftakt, und exakt so ging es auch weiter. Da gab es Anleihen beim Jazz mit „Tu vuo fa l’americano“, ein Wandeln auf den Spuren Adriano Celentanos mit „Azzuro“ und auch die Hommage an die Sonne Neapels mit „O sole mio“, deren Strahlkraft durch die großartig voluminösen Stimmen von Romes und Bützer direkt spürbar war.
Ganz zart und berührend ließ Romes ihren Sopran schimmern bei „Dicentencello vuje“, bis in die Bassregionen ging sie für Paolo Contes „Via con me“, das sie ebenso mit Schalk im Nacken präsentierte wie das Loblied auf den Wecker „A svieglietta“, und voller Schwung und Schmiss entführte sie an Meer und Strand mit „Marechiare“. Uli Bützer zeigte viel Gefühl mit „Te voglio bene assai“ und „Core ´ngrato“ und jede Menge Verführungskunst, der auch „Marina“ erlegen wäre. Und er hatte nicht nur einen Urlaubsgruß aus Sardinien dabei, indem er dem sardischen Volkslied „Trallalera“ einen eigenen deutschen Text verpasst hatte, bei dem der Refrain ebenfalls mit „Trallalera“ übersetzt und fleißig mitgesungen wurde.
Zeichen für Zusammenhalt
Stichwort Mitsingen: Da geizte das Publikum nicht und fiel auch bei „Bella Ciao“ kräftig ein. Das gehörte wie auch „La bandiera rossa“ und „Fischia il vento“ zum Block der Partisanenlieder, die, so Romes, als klares Zeichen für Zusammenhalt und Offenheit gegenüber verschiedenen Kulturen und Meinungen ins Programm genommen wurden und, so entschlossen und kraftvoll wie sie präsentiert wurden, auch genauso verstanden wurden – der kräftige Applaus zeigte es.
Besonders viel Gelegenheit zum Mitsingen hielt Theresa Maria Romes bei Toto Cutugnos „L’Italiano“ bereit, indem sie den Refrain in extralanger Schleife spielen ließ. Und da war es, das Bekenntnis, ein echter Italiener zu sein, aus voller Kehle aus den vollbesetzten Stuhlreihen immer und immer wieder intoniert, das bereits verinnerlichte Dolce Vita bestens zum Ausdruck bringend. Auch bei „Arrivederci Roma“ gab es textfeste Zuhörer, die vom immergrünen Charme des Schlagers erlegen ihre Stimme klingen ließen.
Mit Mandoline und Accordina
Wer wollte, konnte das auch bei „Mamma“ tun, und das war sicherlich eine Überraschung: Hatte doch der niederländische Kinderstar Heintje für seinen Hit bei den Italienern gefischt, denn tatsächlich wurde das Lied ursprünglich und gut dreißig Jahre zuvor Benjamin Gigli gesungen. An diesem Abend traten Theresa Maria Romes und Uli Bützer in die Fußstapfen beider.
Hervorragend begleitet wurden die beiden dabei zu jedem Zeitpunkt von ihren Musikern, die auch ihre ganz eigenen Momente mit Instrumentalwerken hatte: Nino Rotas Filmmusik zu „Der Pate“ war ein Angebot, das niemand ablehnen wollte, und Ennio Morricones „Cinema Paradiso“ lud zum Träumen ein, als säße man direkt unter Zitronenbäumen an der Amalfiküste. Jieun Baek erwies sich einmal mehr als ebenso einfühlsame wie virtuose Pianistin, Andreas Pickel lieferte den rhythmischen Background an den Drums und Kevin Bernard die sehnsuchtsvolle Stimmung mit Akkordeon und Accordina, letzteres ein besonderer, weil äußerst seltener Genuss. Und Hubert Steiner zeigte nicht nur abermals seine enormen Fertigkeiten an der Gitarre, sondern hatte auch die Mandoline mitgebracht, deren Klänge immer ein guter Garant dafür sind, sich sofort in italienische Gefilde zu versetzen.
Hinzu kamen die sehr italienischen Temperaturen im Bürgersaal. Das hätte auch der idyllische Garten des Heimatmuseums geboten, allerdings doch mehr diejenigen in den Dolomiten. Insofern war die Entscheidung, das Konzert nicht als Open Air zu veranstalten, goldrichtig. Es hätte schon einiger Decken und Winterjacken bedurft, um den Funken ebenso überspringen zu lassen, wie dies bis zum Abschluss mit dem feierlichen „Con te partiro“ der Fall war. Draußen wäre das womöglich auch tatsächlich der Schlusspunkt gewesen, drinnen aber wollte das Publikum mehr. Und bekam es in Form einer Seilbahn: Rauf und runter ging es mit „Funiculi, Funicula“, mit reichlich Mitklatsch- und Mitsingpotential, das auch nicht ungenutzt blieb. Und weil der Applaus noch immer weiter anschwoll, gab es nochmals „Bella Ciao“ – und da war der „Sternenhimmel durch Musik“, den Theresa Maria Romes versprochen hatte, auch drinnen längst entzündet.
Festival im März
Die Termine für das Festival für Kunstlied des Liederfrühlings stehen bereits fest: Vom 6. bis 8. März wird es in Heidenheim unter dem Motto „Sonne, Mond und Sterne“ stattfinden. Und in Herbrechtingen wird es den Liederfrühling wieder zum Ende der Sommerferien geben.