Sechs Monate bleiben noch bis zur Landtagswahl am 8. März 2026, und allerorten beginnen sich die Akteure warmzulaufen. Sieht man mal vom Podiumsgespräch zwischen Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer und dem AfD-Landesvorsitzenden Markus Frohnmaier ab, dann sind die Auftritte in dieser frühen Phase des Wahlkamps überwiegend Heimspiele. Das gilt auch für die Visite von Nicole Razavi, der Ministerin für Landesentwicklung und Wohnen, beim Jahresempfang des Heidenheimer CDU-Kreisverbands.
Im Businessclub des 1. FC Heidenheim, dem laut Razavi für Leistung und Leidenschaft stehenden Wohnzimmer des Vereins, sah die 60-Jährige am Dienstagabend den geeigneten Platz, um darüber diskutieren, „was vom Kopf auf die Füße gestellt werden muss, um das Land wieder voranzubringen“.
Schwergewicht in Europa
Nach Einschätzung Razavis hat sich seit der Bundestagswahl die Tonlage in der Politik verändert: „Es wird nicht mehr übers Gendern und über Wokeness diskutiert, sondern über Leistung und Wirtschaftskraft.“ Bundeskanzler Friedrich Merz sei im Bestreben, einen Gegenpol zu Putin und Trump zu schaffen, ein Schwergewicht in Europa geworden.
Die Bilanz der ersten 100 Tage Regierungszeit sieht Razavi auch medial zu schlecht dargestellt. Schließlich sei die Zahl der Abschiebungen deutlich gestiegen, die der Zuwanderer gleichzeitig gesunken. Es gelte weiterhin der Grundsatz, dass herzlich willkommen sei, wer auf einen Asylgrund verweisen könne, „aber wir haben es in der Vergangenheit übertrieben“.

In der Diskussion über die Reform des Sozialstaats sieht Razavi die CDU offenbar als Antreiber im Mittelfeld mit Zug zum Tor, die SPD hingegen als Zauderer mit dem Hang zum Rückpass. „Ich bin schockiert, dass die SPD viele Entscheidungen blockiert, obwohl das auf das Konto der AfD einzahlt“, so Razavi. Es sei eine Frage der Gerechtigkeit, wieder Hilfe zur Selbsthilfe und nicht Anlass zu der Frage zu geben, weshalb jemand arbeiten solle, wenn er doch durch den Bezug von Bürgergeld fast ebenso viel in der Tasche haben könne. Falsche Anreize führten zu einer Schieflage, die wirtschaftspolitisch den Anfang vom Ende markieren könne.
In ihren Appell, sich wieder auf die bisherigen Stärken zu besinnen, bezog Razavi auch den von ihr verantworteten Wohnungsbau ein. Zwar sei der Motor „durch den Ukrainekrieg, durch Inflation, Zinssteigerungen und Lieferengpässe wie auf Knopfdruck ausgegangen“, gleichwohl gebe es auch hausgemachte Probleme. Bauen sei schlichtweg zu teuer und kompliziert, „und weil es sich gerade für niemanden rechnet, ist es so wichtig, dass wir die Hebel von Bremse auf Vollgas gestellt haben.“
Bauanträge jetzt digital
Konkret nannte die Ministerin die Überarbeitung der Landesbauordnung. Das Widerspruchsverfahren sei abgeschafft, das Aufstocken von Gebäuden erleichtert, der Brandschutz abgespeckt worden. Außerdem gelte ein Bauantrag automatisch als genehmigt, falls die zuständige Behörde binnen drei Monaten keine Einwände formuliert habe. Überdies gehe das gesamte Bauantragsverfahren jetzt digital vonstatten. Der Artenschutz habe nach wie vor seine Berechtigung, „aber er muss auf sämtliche Fälle angewandt werden, und nicht auf einen einzelnen Vogel oder eine einzelne Kröte.“
„Wann wird es wieder bezahlbare Wohnungen geben, die sich jeder leisten kann?“, wollte einer der Anwesenden wissen. „Wir müssen von den hohen Standards runter“, antwortete Razavi. Im energetischen Bereich stehe der Nutzen für das Klima in keinem Verhältnis zu den Mehrkosten. Weitere Stellschraube: Wer unter der ortsüblichen Miete bleibe, solle diese Einnahme steuerfrei behalten dürfen.
Innenverdichtung vorziehen
Vom CDU-Kreisvorsitzenden Michael Kolb um eine Stellungnahme gebeten, sprach sich Razavi dafür aus, die Innenverdichtung nach Möglichkeit der Nutzung von Flächen im Außenbereich vorzuziehen. Ohne Letzteres werde es zwar nicht gehen, gefragt sei allerdings ein sparsamer, kluger und effizienter Umgang damit.
Ein wesentlicher Punkt ist dieses Thema der Ministerin zufolge auch bei der Ausarbeitung eines neuen Landesentwicklungsplans. Sie sieht darin die Quadratur des Kreises, „denn wir müssen wenige Flächen in ein angemessenes Verhältnis bringen zu Bedürfnissen wie Wohnen, Sport, erneuerbare Energien, Militär, Industrie und Gewerbe“.
Beziehung zu Anton und Bernhard Ilg
Nicole Razavi ist seit 2006 Mitglied im baden-württembergischen Landtag. Bei ihrem Besuch in der Voith-Arena wies sie darauf hin, dass der ehemalige Heidenheimer OB Bernhard Ilg, heute im Ehrenamt Aufsichtsratsvorsitzender des 1. FC Heidenheim, etliche Jahre Bürgermeister in ihrer Heimatgemeinde Salach war. Ilgs Vater Anton wiederum „war mein Vorvorgänger im Wahlkreis Geislingen“, so Razavi.