Nägel mit Köpfen hat der Gemeinderat in seiner letzten Sitzung des Jahres gemacht: Am Dienstag folgte er dem Ansinnen der Stadtverwaltung, die Grabenstraße als Fußgängerzone auszuweisen. Während der kurz vor seinem offiziellen Ende stehende Verkehrsversuch die Öffentlichkeit spaltet, war nun auch die Beschlussfassung nicht gerade von ausgeprägter Einmütigkeit gekennzeichnet.
Dem Votum des Gremiums entsprechend, ist es auch künftig verboten, mit motorisierten Fahrzeugen auf der Grabenstraße unterwegs zu sein. Eine Ausnahme gilt zwischen 18 und 11 Uhr für den Lieferverkehr. Anwohner können eine Ausnahmegenehmigung beantragen. Taxen dürfen passieren, sofern die Fahrgäste einen Krankentransportschein ihres Arztes vorweisen können. Keine Beschränkungen gibt es für Fahrräder und Elektrokleinstfahrzeuge (E-Scooter).
Späte Bürgerbeteiligung
Den Bürgern werden jetzt drei Monate eingeräumt, innerhalb derer sie ihre Interessen in das weitere Verfahren einbringen können. Dieser Passus stieß bei mehreren Mitgliedern des Gremiums auf Kritik. So bemängelte Prof. Ulrich Schrade (Grüne), entgegen der ursprünglichen Zusage, erst nach Abschluss des Verkehrsversuchs am Jahresende in die Auswertung und Diskussion einzusteigen, gehe es jetzt schon um die Ergebnisse. „Es braucht aber eine echte Bürgerbeteiligung, solange noch nichts beschlossen ist“, so Schrade.
Fast gleichlautend äußerte sich seine Fraktionskollegin Susanne Dandl. Die Umwandlung der Grabenstraße in eine Fußgängerzone bezeichnete sie zwar als wichtigen Schritt, gleiches gelte aber „für eine echte Beteiligung aller interessierten Menschen“. Oberbürgermeister Michael Salomo bejahte ihre gezielte Nachfrage, ob der Gemeinderat nach dem Beschluss zur Teileinziehung der Grabenstraße – diese bleibt zwar eine öffentliche Straße, darf aber nur noch für bestimmte Zwecke genutzt werden – keine weitere Entscheidungsbefugnis habe und nun nur noch Träger öffentlicher Belange und private Anlieger Einwendungen geltend machen könnten.

Was Heidenheimer Händler von der Sperrung der Grabenstraße halten
Grünen-Fraktionschefin Anamari Filipovic zeigte sich wie Dandl verwundert darüber, nach vorhergehender Beratung im Ausschuss nun kurz vor der Abstimmung im Gemeinderat viele Argumente der Stadtverwaltung zum ersten Mal zu hören.
Dr. Waltraud Bretzger (Vorsitzende der CDU/FDP-Fraktion) äußerte ebenfalls Skepsis und kündigte an: „Wir stimmen dem Antrag in der vorgestellten Form nicht zu. Man sollte erst die alte Fußgängerzone beleben, ehe eine neue dazukommt.“ Dr. Andreas Brosinger (CDU) stellte gar die gesamte Umgestaltung der Grabenstraße infrage. Möglicherweise, so seine Befürchtung, würden die geplanten begrünten Bereiche zum Schauplatz exzessiven Alkoholgenusses.

Uneingeschränkte Zustimmung signalisierte hingegen Tanja Weiße, Sprecherin der SPD/Linke-Fraktion: „Es ist gut, dass die Grabenstraße zur Fußgängerzone wird, und wir sollten jetzt möglichst schnell starten.“ Sabine Bodenmüller (SPD) verwies auf die Vergänglichkeit vieler Bedenken: „Wo Veränderung stattfindet, gibt es einen Aufschrei. Aber man wird sich wie bei der Fußgängerzone in der Hauptstraße daran gewöhnen.“
Ralf Willuth, Fraktionsvorsitzender der Freien Wähler, sprach von der „historischen Chance, im Zuge der Umgestaltung des Rathausumfelds die Grabenstraße zum Bestandteil der Fußgängerzone zu machen“. Das Verfahren jetzt in Gang zu setzen, bedeute, „dass sich unsere Bürgerinnen und Bürger mit ihren Wünschen und Bedenken einbringen können“. Der Gemeinderat könne beweisen, dass er die Steigerung der Aufenthaltsqualität nicht nur daherrede, sondern auf den Weg bringe.
OB Salomo mahnt zur Eile
Allen Vorbehalten zum Trotz trieb Salomo zur Eile. Zur Begründung verwies er darauf, dass die verkehrsrechtliche Anordnung für den Versuch am 31. Dezember 2025 auslaufe. Werde nicht zuvor der Beschluss gefasst, „dann ist die Grabenstraße ab dem 1. Januar wieder frei“. Außerdem führte in diesem Fall ein dreimonatiger Beteiligungsprozess dazu, dass währenddessen die bisherigen Behelfshaltestellen nicht behindertengerecht ausgebaut werden könnten und das Planungsbüro nicht am künftigen Gesicht der Grabenstraße arbeiten könne.
Schlussendlich sprachen sich 23 Mitglieder des Gemeinderats für den Beschlussantrag aus, zehn votierten dagegen. Hinzu kam eine Enthaltung. Es folgen jetzt die öffentliche Bekanntgabe und das Auslegen der Pläne. Betroffene können dann Stellungnahmen abgeben. Bringen Träger öffentlicher Belange oder private Anlieger Einwendungen vor, so wägt die Stadt diese ab. „Dies kann zu einer Anpassung der Planung führen“, heißt es in der Sitzungsvorlage. Anschließend trifft die Stadt den endgültigen Beschluss zur Einziehung der Grabenstraße. Rechtskräftig ist er nach einer einmonatigen Widerspruchsfrist. Die verkehrsrechtliche Anordnung, auf der der Verkehrsversuch fußt, wird bis zum 30. Juni 2026 verlängert.
Viele Fahrzeuge verbotenerweise unterwegs
Ausgangspunkt für den Versuch war die hohe Zahl an Fahrzeugen, die verbotenerweise auf der Grabenstraße unterwegs waren. Gestattet war das mit maximal 20 Kilometern pro Stunde Bussen, Fahrrädern, Taxis, Lieferfahrzeugen, Inhabern von Privatparkplätzen und Schwerbehinderten mit einem entsprechenden Vermerk in ihrem Ausweis.
Mit der Zielsetzung, die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt zu erhöhen, diese attraktiver, lebendig und zukunftsfähig zu machen, verfügte die Verwaltung ein generelles Durchfahrtsverbot. Ausnahme: Anlieger, Lieferverkehr, Radfahrer. Taxis und Busse mussten draußen bleiben. Infolgedessen wurden für den ÖPNV Ausweichrouten und Ersatzhaltestellen eingerichtet.
Unzufriedene Fahrgäste
Zahlreiche Lesebriefschreiber meldeten sich zu Wort, außerdem wandten sich 16 Bürgerinnen und Bürger mit Stellungnahmen ans Rathaus. Unterm Strich ergab sich folgendes Bild: Die Busfahrpläne konnten weitgehend eingehalten werden, allerdings verkürzten sich die Umsteigezeiten, was mehr Druck fürs Fahrpersonal bedeutet. Fahrgäste monierten, dass sie jetzt von den provisorischen Halten an der Ploucquet- und Bahnhofstraße weite Wege zu Fuß in die Altstadt zurücklegen müssten.
Beklagt wurde obendrein, im nördlichen Bereich der Grabenstraße seien zwei Behindertenstellplätze weggefallen, Taxiunternehmen könnten Personen außerhalb der Zeitspanne von 18 bis 11 Uhr nicht mehr zu Arztpraxen befördern, und die Belieferung umliegender Geschäfte sei schwieriger geworden.

Der Versuch, die betroffenen Buslinien eine Schleife durch die Straße Am Wedelgraben fahren zu lassen, um einen möglichst nahe an der Grabenstraße gelegenen Zu- und Ausstieg zu schaffen, schlug fehl, weil sich die Fahrzeiten deutlich verlängert hätten.
Salomo verwies während der Gemeinderatssitzung auf Maßnahmen, die stattdessen umgesetzt werden sollen: Die August-Lösch-Straße wird zur Einbahnstraße in Richtung Norden und erhält auf Höhe der Post-Agentur mehrere Kurzzeitparkplätze. Entstehen können solche auch am Wedelgraben, sobald der Wochenmarkt zur Grabenstraße gewechselt ist. Die bislang provisorischen Bushaltestellen an der Bahnhof-, Ploucquet- und St.-Pöltener-Straße werden ausgebaut. Taxis können Fahrgäste auf markierten Plätzen an der August-Lösch-Straße sowie auf der aktuell schraffierten und ins Nichts führenden Geradeausspur der südlichen Marienstraße aus- bzw. einsteigen lassen.
Zahlreiche Behindertenstellplätze
Behindertenparkplätze gebe es in kurzer Entfernung zur Grabenstraße bereits in größerer Zahl, betonte Salomo. Einzusehen sind sie auf einer Übersichtskarte auf der städtischen Homepage. Prof. Christoph Potzel (Freie Wähler), selbst auf einen Rollstuhl angewiesen, urteilte: „Sowohl das bestehende, als auch das geplante Angebot an solchen Plätzen ist gut.“
Tempo 30 wird getrennt bewertet
Keine Mehrheit fand der Antrag von Norbert Fandrich (Linke), den noch laufenden Verkehrsversuch zu verlängern. Vor einer Beschlussfassung wollte er die Folgen der bevorstehenden Einführung von Tempo 30 auf wichtigen innerstädtischen Verbindungen für den ÖPNV beurteilt sehen. Zu erwarten seien deutliche Fahrzeitverlängerungen und infolgedessen eine abnehmende Attraktivität des Stadtbusverkehrs. Oberbürgermeister Michael Salomo entgegnete, es handele sich um zwei unterschiedliche Themenbereiche, die getrennt voneinander zu betrachten seien. Der Fahrversuch habe belegt, dass er unter den derzeit geltenden Bedingungen funktioniere.

