Nach dem Theaterring und der Kulturschiene startete nun auch die Reihe der Meisterkonzerte in die neue Saison – und dieser Auftakt gelang ebenso furios wie den beiden vorangegangenen.
„Traumgestalten“ versprach das „Marmen Quartet“ am Sonntag in der Waldorfschule mit seinem Konzert, das Streichquartette beinhaltete, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Von elegant bis hin zu exzentrisch reichte das Spektrum an diesem Abend. Eines aber hatten alle drei Werke gemeinsam: Sie wurden in meisterlicher Virtuosität und Präzision präsentiert.
Haydn bildete den Auftakt: Sein Streichquartett F-Dur op. 50 mit dem Beinamen „Ein Traum“ stand wohl auch Pate bei der Titelgebung des Konzertabends. In jedem Fall stand es für klassische Eleganz, die anmutig, schwungvoll und im Vivace auch äußerst temporeich daher kam und sehr leicht zu genießen war, wenn auch beim Genuss schon klar war, dass all dies nicht ebenso leicht herzustellen war.
Die Violinisten Johannes Marmen und Laia Valentin Braun sowie Bryony Gibson-Cornish an der Viola und Sinéad O’Halloran am Violoncello zeigten ebenso sicheres Gespür für die verführerische Leichtigkeit wie auch für das beflügelnde Tempo. Kein Wunder, gelten doch die aus Schweden, Schweiz, Neuseeland und Irland stammenden Musizierenden, die 2013 sich am Royal College of Music London zusammengefunden haben, als ausgesprochene Haydn-Experten, die mittlerweile international gefragt und ausgezeichnet sind.
Freud und Leid, Wut und Aggression
Mit der Interpretation von Béla Bartóks Streichquartett Nr. 2 a-Moll op. 17 bewiesen sie auch eindrucksvoll, dass sie jede Auszeichnung mehr als verdient haben. Freilich ist dieses Werk geradezu gegensätzlich zum vorangegangenen Haydn: Schroff und eckig, sperrig und voller unerwarteter Wendungen war dies weder leicht zu konsumieren, geschweige denn zu spielen. „Ruhiges Leben“, „Freud“ und „Leid“ sind die Sätze beschrieben. Allerdings steckt auch im ruhigen Leben und in der Freude jede Menge Melancholie, wenn nicht gar Wut und Aggression.
Die Freude freilich kam auch nicht zu kurz: Überschäumend und quirlig gar zeigte sie sich zuweilen, auch das in völlig überraschenden Wechseln. Das „Leid“ insbesondere fordert große Sicherheit an Dynamik, denn es äußert sich sowohl in leisem Wehklagen als auch in lauten, Aufschreien gleichkommenden Passagen. Überhaupt steckt das Werk voller Herausforderungen für Interpreten wie Zuhörer gleichermaßen. Das „Marmen Quartet“ nahm alle diese Hürden spielend, und das Publikum, für das der Zugang zu diesem Werk in der für Bartók typischen Kombination aus folkloristischen Motiven und Kontrapunkt-Komposition nicht ganz leicht war, wusste die Leistung mit großem Respekt zu würdigen.
Berührende Süße, treibende Jagd
Claude Debussys Streichquartett g-Moll op. 10 überforderte dessen Zeitgenossen, die kaum ein gutes Haar an dieser Komposition gelassen hatten. Mit dem Ergebnis, dass Debussy nie wieder ein Streichquartett schrieb. Sein einziges also bildete den Abschluss des Konzerts. Von Überforderung kann allerdings keine Rede sein, nicht beim Publikum, schon gar nicht bei den Interpreten.
Das hohe Tempo im ersten Satz, flirrend und fließend, der quecksilbrig dahinperlende zweite Satz, die sehr berührende Süße im dritten Satz ließen buchstäblich in andere Sphären gleiten, so strahlend schön offerierte das Ensemble die unterschiedlichen Stimmungs- und Tempolagen. Im vierten Satz steigerten sich diese gar zu einem Tempo, das mit treibender Jagd nur unzureichend beschrieben wäre. Chapeau, wie auch das souverän bewältigt wurde.
Die im Titel des Konzerts genannten „Traumgestalten“, das waren wohl die vier Musizierenden selbst, die in geradezu traumwandlerischer Sicherheit die unterschiedlichen Anforderungen in diesem Programm von höchstem Niveau parierten und umsetzten. Dafür gab es langen Applaus des Publikums, für den sich das Ensemble wiederum mit zwei Zugaben bedankte: Ein traumhaft schönes Arrangement von „Over the Rainbow“ bezauberte das Publikum. Und dann gab’s noch ein Menuett von Haydn. Was sonst.