Auf dem Bildschirm erscheint das freundliche Gesicht einer Ärztin oder eines Arztes, die sich per Videochat zuschalten. „Guten Tag, wie geht es Ihnen?“ Die Patientin sitzt nicht in einer Praxis, sondern in einem Sprechzimmer eines Gesundheitszentrums auf dem Land oder auch zu Hause – betreut von medizinischem Fachpersonal. Blutdruck, Temperatur, Hautveränderungen: Alles wird vor Ort geprüft, die Ärztin oder der Arzt liefert per Bildschirm die Diagnose und gibt Behandlungsanweisungen. Ein Modell, das noch Zukunftsmusik im Landkreis Heidenheim ist, aber genau solche Szenarien werden im Masterplan „Gesundheitsversorgung 2035“ diskutiert.
Öffentlich gestartet wurde der Prozess mit einer großen Gesundheitskonferenz Ende 2024, mittlerweile waren Arbeitsgruppen intensiv im Austausch. Im Verwaltungsausschuss des Heidenheimer Kreistags wurde der Zwischenstand vorgestellt. Ziel des breit angelegten Strategieprozesses ist es, eine tragfähige ambulante und stationäre Versorgung im Landkreis langfristig zu sichern.
Breit aufgestellter Beteiligungsprozess
Dr. Dorothee Thierer-Graß, Ärztin und seit zwei Jahren beim Landratsamt tätig, koordiniert den Prozess. In mehreren thematischen Arbeitsgruppen – etwa zu Versorgungslandschaft, Effizienzsteigerung, Schnittstellen, Nachwuchsförderung und Öffentlichkeitsarbeit – arbeiten Expertinnen und Experten aus Gesundheitsamt, Kommunen, Ärzteschaft, Pflege, Krankenkassen, Klinikum, Hochschulen und weiteren Einrichtungen mit.
„Der Grundgedanke ist datenbasiertes Handeln“, betonte Thierer-Graß. So wurden bereits kleinräumige Analysen durchgeführt, etwa Interviews mit Hausärztinnen und -ärzten zu deren Versorgungssituation, Zukunftsplänen und Praxisformen. Ergänzt wurde dies durch Angaben zur Versorgungslage aus den Kommunen sowie durch Umfragen unter jungen Ärztinnen und Ärzten unter anderem mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen sie in den Landkreis Heidenheim kommen würden.
Wir sehen jetzt schon, wo es prekär ist – und wo es künftig prekär werden kann.
Dr. Dorothee Thierer-Graß, Koordinatorin
Die AG Versorgungslandschaft analysiert Voraussetzungen für eine zukunftsfähige Versorgung. Erste Ergebnisse zeigen, wie groß die Bandbreite der Themen ist: von Digitalisierung über Standortfaktoren bis hin zur Altersstruktur der Ärzteschaft und Nachfolgeaussichten. „Wir sehen jetzt schon, wo es prekär ist – und wo es künftig prekär werden kann“, so Thierer-Graß.
Weitere Themen sind eine gute Patientensteuerung für mehr Effektivität sowie vor allem mobile Strukturen. So wurde etwa das Modell diskutiert, medizinisches Fachpersonal mit digitalen Zuschaltungen von Ärztinnen und Ärzten zu unterstützen – vergleichbar mit einer mobilen Praxis. Dr. Thierer-Graß beschrieb die Idee von einem Mobil, das mit einer Pflegefachkraft ausgestattet ist, einen Arzt oder eine Ärztin kann man vor Ort auf digitalem Weg dazuschalten. „Unter den vielen Inputs waren viele solcher innovativer Ideen dabei.“
In einer der Arbeitsgruppen geht es gezielt um die Frage, wie der Landkreis für junge Medizinerinnen und Mediziner attraktiver werden kann. Thierer-Graß berichtete von einem Auftritt auf der Weiterbildungsmesse der Uni Ulm, bei dem sich der Landkreis als Weiterbildungsstandort präsentierte.
Wann werden die ersten Ideen im Landkreis Heidenheim umgesetzt?
Der Prozess ist gestartet, doch wann profitieren die Menschen im Landkreis Heidenheim? Bernhard Ilg (Fraktionsvorsitzender CDU/FDP) lobte die Struktur des Prozesses, äußerte aber auch Bedenken an der Zeitschiene, zumal in einigen Gemeinden schon jetzt die Versorgung schlecht sei: „Jetzt schreiben wir das Jahr 2025 – der Masterplan zielt auf 2035. Da stellt sich schon die Frage: Wann wird etwas sichtbar?“ Es dürfe nicht passieren, dass die Erwartungen der Beteiligten enttäuscht werden.
Jetzt schreiben wir das Jahr 2025 – der Masterplan zielt auf 2035. Da stellt sich schon die Frage: Wann wird etwas sichtbar?
Bernhard Ilg, Fraktionsvorsitzender CDU/FDP
Thierer-Graß versicherte, dass die Erhebungen nicht nur Grundlage für ein Papier seien, sondern konkrete Versorgungsmaßnahmen nach sich ziehen könnten. „In den Daten steckt sehr viel Potenzial.“
Fördermöglichkeiten und Modellprojekte
Dieter Henle (Freie Wähler) regte an, neben der Analyse schon jetzt gezielt Maßnahmen abzuleiten und nannte die Dringlichkeit, schnell Ärzte und medizinisches Fachpersonal für den Landkreis zu gewinnen: „In manchen Kommunen ist es so, dass man lange Wartelisten für einen Arzttermin hat oder man erst gar nicht aufgenommen wird als Patient oder man weit fahren muss für einen Arztbesuch.“ Zudem wünschte er sich Modelle für gemeinschaftliche ärztliche Dienste – etwa zur Versorgung immobiler älterer Menschen. Thierer-Graß verwies auf bestehende Förderprogramme für solche Pilotansätze, die auch im Landkreis Heidenheim gelten könnten. So unterstütze die Kassenärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW) über das Programm „Ziel und Zukunft“ innovative Versorgungsmodelle mit bis zu 20.000 Euro. Auch das Sozialministerium fördert ärztliche Versorgung in unterversorgten Gebieten über das Landarztprogramm.
Martin Grath (Grüne) unterstrich die Bedeutung sektorübergreifender Ansätze. „Wir werden nicht mehr überall alles vorhalten können – deshalb wird das Klinikum eine zentrale Rolle spielen.“ Effizienzsteigerung und Digitalisierung seien dabei die Schlüsselthemen.
Landrat Peter Polta: Kein Papier, das in der Schublade verschwindet
Landrat Polta kündigte an, dass die Klinikstrategie 2030 noch vor der Sommerpause verabschiedet werden solle. Deren Inhalte würden wiederum in den Masterplan für die ambulante Versorgung einfließen. „Wir werden nachsteuern müssen – der Plan liegt nicht wie Blei auf dem Tisch“, so Polta.
Die Beteiligten betonten, dass der Austausch mit anderen Landkreisen bereits laufe – etwa zur Kinder- und Jugendpsychiatrie mit dem Ostalbkreis oder zur ärztlichen Weiterbildung mit dem Landkreis Göppingen. „Wir müssen uns präsentieren und gleichzeitig vernetzen“, so Thierer-Graß.
Ein Arzt betreut immer mehr Patienten
Wie ist es um die hausärztliche Versorgung im Landkreis bestellt? Das Landratsamt verweist für die Antwort auf den Atlas der hausärztlichen Versorgung im Landkreis Heidenheim – Zwischenbericht 2019. Dort ist ein Worst-Case-Szenario abgebildet, das jedoch zum Glück nicht so eingetroffen ist, weil früh gegengesteuert wurde. Deshalb gebe es noch in jeder Gemeinde einen Arzt, berichtet Gesundheitsamtsleiter Christoph Bauer.
Dennoch ist die Richtung eindeutig. „Wir sehen, dass der Versorgungsgrad schlechter wird. Das heißt, ein Arzt muss mehr Patienten versorgen“, sagt Bauer. Der Versorgungsgrad im Landkreis Heidenheim sei von mehr als 100 auf 80 Prozent gefallen, was aber nicht als Unterversorgung gelte.
Beim Blick auf die Altersstruktur der Ärzte werde deutlich, dass es Handlungsbedarf gebe. Nicht für alle werde es möglicherweise eine Nachfolge geben. Deshalb sei absehbar, dass sich die Praxisstruktur ändern werde hin zu größeren Einheiten.