Unternehmen

So erklärte Wirtschaftsexperte Prof. Clemens Fuest beim IHK-Jahresempfang in Heidenheim die Lage

Prof. Dr. Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts, analysierte für die Gäste beim IHK-Jahresempfang in Heidenheim die komplexe Wirtschaftslage Deutschlands und nannte Ansätze zur Stärkung des Standorts.

Es ist kompliziert. Dieser Satz gilt nicht nur für den Status mancher Beziehungen, sondern für die gesamte Weltlage und insbesondere auch für die Wirtschaft in Deutschland. Um zu verstehen, welche globalen Faktoren die Lage der Unternehmen vor Ort beeinflussen, braucht man sehr viel Weitblick und einen übergeordneten Standpunkt. Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Ostwürttemberg hat zu ihrem Jahresempfang einen Experten eingeladen, der nicht nur all dies zu bieten hat, sondern die Fakten auch pointiert und anschaulich zusammenfassen kann: Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest ist Präsident des Ifo-Instituts, Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität in München und Borussia-Mönchengladbach-Fan. Der Wissenschaftler hat zuvor mehrere Jahre in Oxford gelehrt und ist einer der wichtigsten Politik-Berater auf seinem Gebiet in Deutschland.

Bevor Fuest unter dem Schlagwort „Zeitenwende“ über die wirtschaftliche Lage und langfristige Perspektiven für Deutschland und Europa sprach, begrüßte IHK-Präsident Markus Maier die Gäste im voll besetzten Saal des IHK-Gebäudes in den Seewiesen. Er wünsche sich von der neuen Regierung eine klare und verlässliche Politik sowie eine „neue Berechenbarkeit.“ Skeptisch zeigte er sich, ob der von Kanzler und Vizekanzler versprochene Vorrang für die Wirtschaft auch gewährt werde.

Sorgen um den Wirtschaftsstandort Deutschland

Maier sagte, er sorge sich um den Wirtschaftsstandort Deutschland. Diese Sorge begründet er unter anderem mit dem seiner Meinung nach vorherrschenden Mindset, bei dem Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit nicht mehr die notwendige Rolle spielen würden. „Erst in der Zeit, als die sicherheitspolitischen zu den ökonomischen Bedrohungen hinzugekommen sind, ebbten gewisse Diskussionen ab. Diskussionen um die Vier-Tage-Woche, um Work-Life-Balance, um bedingungsloses Grundeinkommen, alles eben, was nicht nach Arbeit, Leistung und Anstrengung ruft“, so Maier.

Der IHK-Präsident hob aber auch hervor, wie erfolgreich die Region Ostwürttemberg mit 16 Weltmarktführern, einer Reihe höchst erfolgreicher Mittelständler, Rang drei bei der Patentdichte und einer lebendigen Hochschullandschaft sei.

Eine außergewöhnliche Lage

Wie außergewöhnlich die Lage ist, in der sich die deutsche Wirtschaft befindet, machte Clemens Fuest gleich zu Beginn seines Vortrags deutlich: „Die Wirtschaft stagniert seit drei Jahren und das ist seit dem Zweiten Weltkrieg noch nie passiert“, sagte er. Jedoch zeige sich auch eine Stabilisierung, was er positiv bewertete, „auch wenn noch nicht die Sonne aufgeht.“ Das Geschäftsklima sei im Mai leicht gestiegen. Einem bescheidenen Wachstum stehe aber eine immer noch relativ hohe Inflationsrate gegenüber, und bei den Wachstumsaussichten der G7-Industriestaaten ist Deutschland das Schlusslicht. „Es läuft nicht so gut“, kommentiert das Fuest in seiner trockenen und sachlichen Art.

Auch auf die Zollpolitik des US-Präsidenten Donald Trump ging Fuest dezidiert ein. Er konnte klar aufzeigen, dass die Zollerhöhungen für die USA „selbstschädigend“ seien und dem Land finanzpolitisch nichts bringen würden. Für die anderen Industrieländer seien die steigenden Zölle zwar unwillkommen, aber keine Katastrophe: „Die Verhandlungsposition der Europäer ist nicht so schlecht“, sagte er. Gleichwohl wies er aber auch auf mögliche katastrophale Konsequenzen einer radikalen amerikanischen Zollpolitik hin: Der Weg in die Weltwirtschaftskrise in den 1920er-Jahren habe auch mit Protektionismus begonnen.

Ansätze zur Stärkung des Standorts

Ansatzpunkte für eine Stärkung des Standorts Deutschland nannte der Wirtschaftsexperte auch. Zwar stimmte er mit IHK-Präsident Maier darin überein, dass Wohlstand durch Arbeit entstehe. Auch Fuest verwies auf die in den vergangenen 50 Jahren stark gesunkene Zahl der Arbeitsstunden pro Erwerbstätigem in Deutschland mit einem gleichzeitigen starken Anstieg der Zahl der Erwerbstätigen insgesamt. „Niemand arbeitet so wenig wie die Deutschen“, so Fuest, die individuellen Arbeitszeiten müssten erhöht werden. Er zeigte aber auch, woraus die geringen Arbeitszeiten resultieren: Die Zahl der vollbeschäftigten Frauen sei seit dem Jahr 2000 gesunken, so Fuest. „Die Aufgaben, sich um Kindererziehung und die Pflege von Angehörigen zu kümmern, liegt immer noch vornehmlich bei Frauen, deshalb gibt es hier einen hohen Anteil von Teilzeitbeschäftigung.“ Wolle man also die Arbeitsstunden erhöhen, müsse man die Kinderbetreuung und Situation in der Pflege verbessern und die Familienbesteuerung ändern.

Wirtschaftsprofessor Clemens Fuest erläuterte beim IHK-Jahresempfang die aktuelle wirtschaftliche Situation. Rudi Penk

Als weitere Handlungsfelder nannte Fuest die zurückgehenden Unternehmensinvestitionen. Vor allem in gewerbliche Bauten und Anlagen werde weniger investiert: „Die Produktion wandert ab“, so der Wirtschaftsprofessor. Diese Entwicklung sei bereits vor der Ampel-Regierung da gewesen, man könne ihr höchstens vorwerfen, sie nicht gestoppt zu haben, so Fuest.

Politische Handlungsfelder und gesellschaftliche Verantwortung

Politischen Handlungsbedarf sieht er auch im Bereich von Start-ups: In Deutschland und Europa gebe es vor allem Mitteltechnologie wie die Automobilbranche oder den Maschinenbau mit nur langsamem Wachstum. In den USA hingegen würden Unternehmen im Bereich der Hochtechnologie schnell und stark wachsen, was sich in Global Playern wie Amazon oder Meta zeige. „Die Aufmerksamkeit der Politik ist hier an der falschen Stelle“, so Fuest. Start-ups müssten systematisch gefördert und entwickelt werden.

Abschließend sagte IHK-Hauptgeschäftsführer Thilo Rentschler, man müsse als Gesellschaft wieder „vor die Lage kommen“ und nicht nur permanentes Krisenmanagement betreiben. Er beschwor „deutsche Tugenden“ und den Ruck, der durch die Gesellschaft gehen müsse. Die Zukunftsoffensive Ostwürttemberg sei ein vollkommen richtiges Projekt, mit dem man „das Schicksal der Region selbst in die Hand“ nehme.

Bevor es zum Austausch unter den vielen Anwesenden aus Wirtschaft und Politik bei Essen und Getränken kam, spielte Bundesverdienstkreuzträger Siggi Schwarz zusammen mit Sänger Tom Croel und Keyboarder Max Hunt Rockhits aus den 1980-Jahren.

Wichtige Prognosen zur Konjunktur

Der Referent Prof. Dr. Dr. h.c. Clemens Fuest ist Präsident des Ifo-Instituts in München. Die Abkürzung Ifo steht für Information und Forschung, die komplette Bezeichnung lautet Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an der Universität München. Das Institut ist ein eingetragener Verein und forscht zu aktuellen ökonomischen Fragestellungen. Bekannt ist die monatliche Ermittlung des ifo-Geschäftsklimaindex und die Konjunkturprognosen des Instituts.

Jetzt einfach weiterlesen
Jetzt einfach weiterlesen mit HZ
- Alle HZ+ Artikel lesen und hören
- Exklusive Bilder und Videos aus der Region
- Volle Flexibilität: monatlich kündbar