Leitartikel Klartext

Respektvoller Umgang: manchmal schwierig, aber machbar

Immer häufiger vergreifen sich Menschen im Ton. Redakteur Michael Brendel ist der Ansicht, dass mangelnder Anstand auf der politischen und gesellschaftlichen Bühne auch rund um Heidenheim nicht nur anderen, sondern ebenso der eigenen Sache schadet.

Die Ferienzeit geht zu Ende, und damit nähert sich das tägliche Pflichtprogramm. Zum Glück gibt’s zum Ausgleich wieder Fußball auf allen Kanälen. Zwar haben die englischen Vereine seit Beginn des Urlaubs die halbe Bundesliga leergekauft, und der 1. FC Heidenheim verlor mit Leo Scienza einen seiner Besten für etliche Millionen an einen Zweitligisten (!) von der Insel. Die deutschen Proficlubs können aber mit etwas vermeintlich viel Wichtigerem aufwarten: mit Anstand. Seit Kurzem gibt es nämlich den Handshake-Dialog. Vor dem Anpfiff trifft sich das Schiedsrichtergespann kurz mit den Trainern und Spielführern. Ziel: ein respektvoller Umgang miteinander. Allerdings scheint das ein typischer Fall von „gut gemeint, schlecht gemacht“ zu sein. Am Ende läuft es ja doch wie immer: kurzer Händedruck, und dann drauf auf die Knochen.

Gleiches gilt für die Bundespolitik. Erst beschwören die Regierungsfraktionen kameragerecht den „Würzburger Geist“, dann kanzelt Arbeitsministerin Bärbel Bas die Äußerungen von Bundeskanzler Friedrich Merz zum Zustand des Sozialstaats öffentlichkeitswirksam als „Bullshit“ ab. Anständiges Auftreten sieht anders aus.

Genügend Beispiele gibt’s auch auf lokaler Ebene. So hat sich die Altheimer Bürgermeisterin Selina Holl zum Rücktritt entschlossen, nachdem in anonymen Briefen ihr Privatleben zum Thema gemacht worden war. In einem Interview an dieser Stelle sprach die Psychologin Mercedes Mende daraufhin von Hemmungslosigkeit und abnehmender Frustrationstoleranz: „Die Zündschnur ist kürzer geworden.“ Eine Feststellung, die teilweise auch für die Bürgerspaziergänge von Heidenheims OB Michael Salomo gilt.

Manche vor Respektlosigkeit triefende Äußerung aus Reihen der Teilnehmer war schlichtweg zum Fremdschämen. Solch deplatziertes Verhalten entwertet die berechtigte Kritik an manchem Handeln des Rathauschefs von vornherein. Und wer den eigenen Standpunkt als Maß aller Dinge ansieht, verbaut jeglichen Weg zu Kompromissen.

Ach übrigens: Heute ist der offizielle „Lies-ein-Buch-Tag“. Könnte ein Anlass sein, sich in Axel Hackes „Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen“ zu vertiefen. Je mehr Menschen unter uns anschließend darüber nachdenken, ob sie bisweilen einen anderen Ton anschlagen sollten, desto besser.