Angezüchtetes Leid

Qualzucht bei Hund und Katze verbieten? Das sagt die Heidenheimer Tierärztin Stephanie Grath

Röcheln, tränende Augen, kaputte Gelenke – manche Haustiere leiden ihr Leben lang. Agrarminister Cem Özdemir will gegen Qualzucht vorgehen. Die Heidenheimer Tierärztin Stephanie Grath erläutert, was darunter zu verstehen ist.

Mops, Französische Bulldogge und Co. sind für ihre extrem kurze Schnauze und ihre großen Augen bekannt – genau diese angezüchteten Merkmale bereiten ihnen aber Schmerzen und gesundheitliche Probleme. In den Niederlanden ist die Zucht kurzköpfiger Rassen deshalb seit vergangenem Jahr vollständig verboten. Soweit möchte der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir nicht gehen, aber er plant ein Ausstellungs- und Werbeverbot mit Tieren, die unter Qualzuchtmerkmalen leiden. Eine Liste, was als Qualzucht gilt, soll noch vorgelegt werden. Tierärztin Stephanie Grath erklärt die aktuelle Situation.

Laut Stephanie Grath können besonders Hunde wie der Mops durch die angezüchtete kurze Nase kaum atmen. Symbolfoto: stock.adobe.com/vrymmnt

Frau Grath, was versteht man unter Qualzucht?

Das Tierschutzgesetz verbietet die Zucht von Tieren, die aufgrund ihrer Merkmale unter Schmerzen leiden oder mit körperlichen Schäden leben müssen. Genau definiert wurde das bislang aber nicht, deshalb ist es noch eine Einzelfallentscheidung, was unter Qualzucht fällt.

Die Bundesregierung plant, Tiere mit Qualzuchtmerkmalen bei Rassehundeausstellungen zu verbieten, um die Nachfrage nach solchen Tieren zu senken. Welche Hunderassen wären davon betroffen und worunter leiden die Tiere?

Die französische Bulldogge leidet laut der Tierärztin von Geburt an unter der kurzen Schnauze. Symbolbild: stock.adobe.com/tienuskin

Insbesondere Hunde mit kurzen Nasen, wie die Französische Bulldogge oder der Mops, können von Geburt an nicht richtig atmen. Ein Klassiker wäre auch der Cavalier King Charles Spaniel, der Herzprobleme hat und dessen Kopf zu klein für sein Gehirn ist. Das Hirnwasser kann nicht abfließen und der starke Druck im Kopf führt zu Nervenreizungen, Ausfallerscheinungen und Schmerzen. Viele Tiere der kurznasigen Rassen haben auch übertretende Augen, weil die Schädel immer kleiner gezüchtet wurden und die Augen immer weiter aus dem Schädel herausragen.

Ein anderes Leiden hat der Cavalier King Charles Spaniel: Da sein Kopf für dasGehirn zu klein ist, kann das Hirnwasser kann nicht abfließen und verursacht Nervenreizungen und Schmerzen. Symbolbild: stock.adobe.com/Anna

Viele Menschen finden das süß.

Ja, das Kindchenschema macht unterbewusst was mit den Menschen. Die Stupsnase und die großen Augen, das löst Muttergefühle aus und Oxytocin wird ausgestoßen. Das wollten die Züchter auch bedienen. Aber da wir Menschen ja schon etwas Hirn haben, müsste man eben gegen seine Hormone ankämpfen und sagen: Ich nehme keinen Hund, der zwar süß aussieht, aber leidet.

Viele werden sagen, die Hunde leiden gar nicht.

Das Thema ist ein sehr emotionales. Und ja, manchen Menschen ist es egal, dass der Hund schnarchend atmet oder sie finden das sogar noch süß. Dass der Hund um Luft ringt und nie genug Luft bekommt, ist ihnen offenbar nicht klar.

Oft hilft dagegen nur eine Operation.

Und es bleibt häufig nicht bei einer. Zunächst operiere ich bei einer Französischen Bulldogge die Nasenlöcher, um die Atmung zu verbessern. Sie schnarcht aber weiter und röchelt beim Atmen und jeder leichten Anstrengung. Also muss man das Gaumensegel kürzen. Dann liegen vielleicht noch Herzprobleme vor, oder die Luftröhre klappt zusammen. Solche Tiere sind Sparkassen, da kommen im ersten Jahr leicht 10.000 Euro für Tierarztkosten zusammen.

Stimmt es, dass die hervortretenden Augen bei Stress, etwa bei einer Behandlung beim Tierarzt, bei Möpsen oder Bulldoggen sogar aus den Höhlen springen können?

Ja, weil die Augenhöhle den Augapfel nicht richtig schützen kann. Dadurch springt bei solchen Rassen das Auge leichter aus der Fassung. Die Tiere können die Augen manchmal nicht richtig schließen. Das kann zu Trockenheit und Reizungen führen. Die Züchter haben es über Jahre einfach übertrieben.

Es ging ihnen nur um die Optik?

Genau. Große Probleme haben auch sogenannte Tea-Cup-Hunde, die noch kleiner sind, als die kleinsten ihrer Rasse und in eine Teetasse passen sollen. Dazu zählen Zwergspitz oder Zwergdackel.

Besonders bei den sogenannten "Tea-Cup"-Rassen wie dem Zwergspitz kommt das Kindchenschema zum Ausdruck, das den Tieren gesundheitlich zu schaffen macht. Symbolbild: stock.adobe.com/samantha

Was ist das Problem daran, dass sie klein sind?

Weil sie so winzig sind, können sich die Organe nicht richtig ausbilden. Manche haben zu wenige oder zu viele Zähne oder der Zahnwechsel findet nicht statt.

Wie lang sollte die Nase bzw. die Schnauze eines Hundes sein, damit er normal leben kann und Luft bekommt?

Je wolfsähnlicher das Aussehen, desto besser kann der Hund leben und atmen.

Agrarminister Cem Özdemir will gegen Qualzucht bei Haustieren vorgehen. Tiere mit Qualzuchtmerkmalen sollen nicht mehr ausgestellt werden. Die Bild-Zeitung machte daraus gleich ein Rasseverbot und schrieb vor ein paar Wochen eine „Dackel-Angst der Deutschen“ herbei.

Ja, es soll für verschiedene Rassen ein Ausstellungsverbot geben bzw. brauchen Tiere bestimmter Rassen ein tierärztliches Attest, dass sie keine Qualzuchtmerkmale haben, und weiter mit ihnen gezüchtet werden kann.

Das Problem beim Zwergdackel ist seine Größe: Organe können sich nicht ausbilden und das Tier leidet unter zu vielen oder zu wenigen Zähnen. Symbolbild: stock.adobe.com/Masarik

Die Zucht ist also trotzdem noch möglich?

Wenn ein Hund Qualzuchtmerkmale hat, wird es schwieriger, eine Erlaubnis für die Zucht zu bekommen. Wir haben kein Zuchtverbot, wie in den Niederlanden, aber wenn man nicht auf Ausstellungen darf, kann man auch nicht in einem Zuchtverband züchten. Und das könnte insofern ein Problem werden, als dass sich dann einfach Lieschen Müller zwei Bulldoggen kauft und sie verpaart. Die möchte ja gar nicht auf Ausstellungen, sondern nur 2.000 Euro für ein Tier.

Sollte man also bestimmte Rassen doch einfach verbieten?

Bei dem Thema gehen auch bei den Tierschützern die Meinungen auseinander. Die einen sind für ein Verbot, die anderen sagen: Es gibt ja auch einen Retromops, bei dem man versucht, wieder längere Nasen bzw. Schnauzen anzuzüchten, damit die Hunde wieder aussehen wie vor 80 Jahren. Das Problem ist auch, als Erbsenzähler findet man bei jeder Rasse Qualzuchtmerkmale. Ein neuer Trend ist ein silberfarbener Labrador, der aber zu Haarausfall und Allergien neigt und deshalb auch als Qualzucht bezeichnet werden könnte.

Wie ist Ihre Meinung?

Ich stehe etwas dazwischen und fände es schade, wenn es historische Rassen nicht mehr gibt. Und ich mag die Vielfalt. Aber gerade beim Mops oder der Französischen Bulldogge, die kommen wirklich schon gequält auf die Welt. Es wäre wichtig, Extremauswüchse einzuschränken. Und warum man noch einen silberfarbenen Labrador braucht, erschließt sich mir auch nicht.

Nochmal zu den Nasen: Warum kreuzt man sie nicht einfach mit Tieren, die längere haben?

Ganz schnell geht das nicht und man muss über die Genetik der Tiere genau Bescheid wissen. Wenn man einfach nur drauflos züchtet, wird das nicht funktionieren.

Dann wäre es sinnvoll, Züchter besser zu kontrollieren und ein Auge darauf zu haben, was die da vermehren?

In Bezug auf die Gesundheit der Tiere sind die Züchter zu 100 Prozent in der Pflicht. Und auch die Zuchtverbände.

Die legen die Rassestandards fest?

Eine Rasse wird von den Züchtern quasi entwickelt und irgendwann wird sie als Standard definiert. Dafür zuständig ist der VDH, der Verband für das Deutsche Hundewesen. Das ist der größte Dachverband für Hundezucht und Hundesport in Deutschland. Er ist der deutsche Mitgliedsverband der Fédération Cynologique Internationale, des größten internationalen Dachverbands.

Das Fell beim Australian Shepherd soll durch die sogenannte „Merle-Färbung“ entweder gesprenkelt oder marmoriert aussehen. Laut Grath hat auch das Auswirkungen auf die Gesundheit des Hundes. Symbolbild: stock.adobe.com/otsphoto

Wer ist dann schuld an der Qualzucht?

Der Wettbewerb auf den Ausstellungen hat nicht dazu geführt, dass sich einzelne Rassen zu ihrem Vorteil verändert haben. Die Wettbewerber versuchen, sich gegenseitig zu übertrumpfen. Die Doggen sollen noch größer, die Shar-Pei noch faltiger oder eben die Bulldoggen noch kurznasiger werden. Oder die Farben müssen noch verrückter werden. Wie bei der sogenannten Merle-Färbung, die das Fell gesprenkelt oder marmoriert aussehen lässt. Das gibt es mittlerweile bei vielen Rassen, beispielsweise beim Dackel, beim Collie oder beim Australian Shepherd. Weil die Gefahr besteht, dass einige der Tiere blind oder taub auf die Welt kommen, könnte auch das als Qualzucht bezeichnet werden. Das macht alles der Mensch, weil man es noch extravaganter und herausstechender will. Dann macht man noch die Beine kürzer, weil das so lustig aussieht und die Ohren runder und alles andere ist zweitrangig. Natürlich ist es auch ein Problem, wenn solche Qualzuchtmerkmale bei Haltern beliebt sind und bestimmte Rassen auf Postkarten oder in der Werbung abgebildet werden.

Neben Doggen, die größer und kurznasiger sein sollen, muss auch der Shar-Pei noch faltiger sein. Symbolbild: stock.adobe.com/Waldemar Dąbrow

Wie kann man das in den Griff kriegen? Sollte sich jeder Züchter beim Veterinäramt anmelden müssen?

Wer Mitglied beim VDH ist, wird vom Verband überprüft. Aber man kann ja immer sagen: Oh, hoppla, unser Hund ist schwanger geworden. Ein Problem ist die sogenannte Hobbyzucht. Schon allein der Begriff ist eigentlich eine Beleidigung, weil er impliziert – zumindest mir -, dass man nicht kann, was man macht. Die potentiellen Käufer haben im Moment aber im Kopf, dass Hobbyzüchter besser sind, als Züchter von Zuchtverbänden, obwohl die sich teilweise gerade wirklich Gedanken darüber machen, wie sie ihre Rasse wieder gesünder bekommen.

Man vermutet eben, dass die Hündinnen bei Hobbyzüchtern nicht als Gebärmaschinen missbraucht werden.

Ja, aber eigentlich ist das Gegenteil der Fall. In den Zuchtverbänden haben sie Vorgaben. Bei größeren Rassen gilt zum Beispiel ein zweijähriges Zuchtverbot, wenn die einen Wurf hatten. Die Hobbyzüchter könnten theoretisch bei jeder Läufigkeit der Hündin einen neuen Wurf produzieren. Und sie machen vielleicht nicht mal Gesundheitsuntersuchungen oder Röntgenbilder von ihren Elterntieren. Ich will gar nicht alle schlecht reden, aber als Hundekäufer, der sich für eine Rasse interessiert, macht es wirklich Sinn, sich bei einem vernünftigen Züchter umzuschauen. Ich hatte mal einen besonders krassen Fall mit einem Mops, der überhaupt keine Nase hatte. Ich habe die Halter darauf angesprochen und gesagt, dass das sehr schlimm ist. Sie meinten, die Züchterin hätte ihnen gesagt, dass die Nase noch wächst.

Wie ist es denn bei Katzen?

Auch da gibt es Qualzuchten. Etwa die Dackelkatze. Sie hat extrem kurze Beine, weil das süß aussehen soll, aber das sind ganz arme Tiere. Sie können weder springen, noch klettern noch jagen. Arthrose, Arthritis und Bandscheibenvorfälle kommen sehr häufig vor. Oder bei der Scottish-Fold-Katze. Durch eine Genmutation wird der Knorpel der Ohrmuschel zerstört und die Ohren falten sich. Leider macht die Mutation nicht beim Ohr halt. Sie führt zu schmerzhaften Deformationen des Skeletts. Manche Tiere haben ihr Leben lang Schmerzen bei jeder Bewegung und die Halter hatten oft beim Kauf keine Ahnung, was sie tun.

Auch die kurzen Beine der Munchkin- oder Dackelkatze (links) und die Ohren der Scottish-Fold sind an- bzw. weggezüchtet. Symbolbilder: stock.adobe.com/otsphoto (links), stock.adobe.com/GolubaPhoto (rechts)
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