Bis zur Mittagszeit am Montag verhüllte ein Banner den Driventic-Schriftzug am Firmengebäude an der Heidenheimer Erchenstraße. Das neue Logo wie von Geisterhand zu enthüllen, klappte dann aber nicht, ein paar Mitarbeiter mussten nachhelfen.
„Wenn das alles ist, was schiefgeht, sind wir zufrieden“, sagte CEO Dr. Gregor Wiche lachend. Den über Monate vorbereiteten Start des aus der Voith-Gruppe ausgegliederten Unternehmens sollte der kleine Fauxpas jedenfalls nicht trüben.

Driventic hat seine Zentrale in Heidenheim, insgesamt umfasst das Unternehmen 26 Standorte in 14 Ländern, davon vier in Deutschland. Alle Standorte mit ihren rund 1400 Mitarbeitenden wurden am Montag zu einem gemeinsamen Livestream zusammengeschaltet, um den offiziell zum 1. November erfolgten Start zu feiern. In Shanghai war es früher Abend, die Kolleginnen und Kollegen in den USA sahen sich morgens um 6 mit der deutschen Ostalb verbunden. Wo am Standort im Katzental sonst die Testfahrzeuge in ihren Garagen stehen, standen Biergarnituren bereit.
Einzige Sparte mit Serienfertigung
Im Sommer war bekannt geworden, dass Voith Turbo, einer der drei Konzernbereiche von Voith, die Sparte Commercial Vehicles (CV), verkaufen möchte. CV produzierte vor allem Automatikgetriebe für Busse, quasi ein Massenprodukt, auch wenn die Nachfrage nach Komponenten für Verbrennerfahrzeuge zurückging. „In der Voith-Gruppe waren wir die einzige Sparte mit einer Serienfertigung“, sagt Wiche. Im Vergleich zum Projektgeschäft mit Papiermaschinen oder Wasserkraftturbinen hatte die Automotive-Sparte seit jeher andere Prozesse und Abläufe, auf die man sich nun konzentrieren wolle. Zugleich, so der Driventic-Chef, werde der Fokus darauf liegen, im Bereich der E-Mobilität stärker Fuß zu fassen und sich Marktanteile in diesem Bereich zu sichern. „Als eigenständiges Unternehmen mit hundertprozentigem Fokus auf die Nutzfahrzeugbranche kann Driventic schneller auf Markt- und Kundenanforderungen reagieren und autonome Investitions- und Geschäftsentscheidungen treffen“, heißt es in einer zum Start verbreiteten Pressemitteilung.
Ziel sei also, durch die Ausgliederung Mehrwert für das Unternehmen zu schaffen. „Es geht nicht ums Trennen um des Trennens willen“, sagt Wiche. Die Bande zur Konzernmutter auf der anderen Seite der Erchenstraße sind nicht durchtrennt. Die Driventic-Mitarbeitenden dürfen wie gewohnt die Voith-Kantine nutzen, und ohnehin gehört Driventic vorläufig zu einhundert Prozent zu Voith. Einen Interessenten für die Übernahme gibt es offenbar, aber der Verkaufsprozess ist noch im Gange.
1400 Mitarbeitende an 26 Standorten
Wie vorher schon CV, ist Driventic kein rein Heidenheimer Unternehmen. An der Erchenstraße ist zwar die Zentrale angesiedelt, hier finden Entwicklung und Tests statt, auch die IT ist hier stationiert. Der Hauptteil der Produktion läuft hingegen in Garching sowie in Shanghai und São Paulo (Brasilien). Von den weltweit rund 1400 Mitarbeitenden sind 280 in Heidenheim tätig. Das sind sogar etwas mehr Köpfe als zuvor bei CV beschäftigt waren, weil weitere Personen aus den sogenannten Zentralbereichen hinzukamen, also etwa Fachleute für die Buchhaltung oder den Einkauf.
In diesen Bereichen grummelte es in den vergangenen Monaten auch etwas. Der Konzernbetriebsrat und die IG Metall berichten, bei der Belegschaft von Commercial Vehicles sei die Bereitschaft zum Übertritt ins neue Unternehmen groß gewesen. Dagegen waren in den Zentralbereichen nicht alle zuvor mit CV befassten Beschäftigten zum Wechsel, bzw. zur „Ausleihe“ an Driventic bereit. Hier sei durchaus Druck aufgebaut worden, heißt es seitens der Arbeitnehmervertreter. Diese „Gangart“ habe es zuvor nicht gegeben.
Betriebsrat: Ende einer Hängepartie
Dennoch sieht man etwa bei der IG Metall Vorteile in der Ausgliederung. „Das neue Unternehmen wird agiler“, glaubt Tobias Bucher, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Heidenheim. Die neue Struktur werde Driventic auch finanziell entlasten, weil Umlagen an den Konzern entfallen würden.
Dass die Mitarbeitenden relativ geschlossen mitgegangen sind, wertet Bucher auch als Erfolg gemeinsamer Anstrengungen von Gewerkschaft und Betriebsrat. Über Monate hinweg habe man einen Überleitungstarifvertrag für die vier deutschen Standorte in Heidenheim, Garching, Crailsheim und Zschopau verhandelt, der den Beschäftigten über vier Jahre hinweg tarifliche Konditionen sichere. Zudem werde man die Driventic-Belegschaft bei der Gründung eines eigenen Betriebsrats unterstützen.
Auch aus Sicht von Alexander Schlotz, Vorsitzender des Konzernbetriebsrats, geht mit der Ausgliederung eine längere „Hängepartie“ zu Ende. Er gehe davon aus, dass Driventic als eigenständiges Unternehmen bessere Chancen haben werde. Dennoch sehe er den Wandel auch mit einem weinenden Auge: „Das ist die DNA von Voith.“ Der Fokus der Arbeitnehmervertretung sei gewesen, die Veränderung für die Menschen gut zu gestalten.
Bei Driventic geht „der Fokus nach vorn“, wie es Gregor Wiche ausdrückt. Am heutigen Mittwoch werden die von der Konzernmutter abgekoppelten IT-Systeme hochgefahren, dann beginnt die praktische Arbeit nach dem Neustart.
Ein Carve-out für den Neustart
Mit der Ausgliederung der Sparte Commercial Vehicles zu Driventic wurde ein sogenannter Carve-out vollzogen. Wörtlich übersetzt bedeutet dies „Herausschnitzen“. In der Wirtschaft wird damit der Vorgang bezeichnet, einen Unternehmensbereich oder eine Tochtergesellschaft aus einer größeren Einheit als eigenständiges Unternehmen auszugliedern und rechtlich auf eigene Beine zu stellen.