Hohes Tempo

Mordsspaß in Sumpf und Moor: Das Stück „39 Stufen“ beim Theaterring Heidenheim

Mit der Inszenierung „Die 39 Stufen“ startete der Theaterring Heidenheim turbulent und urkomisch in die neue Saison. Bisweilen fordert das hohe Tempo der Inszenierung allerdings seinen Tribut.

Um die 50 Treppenstufen sollte man täglich gehen, um Herz und Kreislauf zu fördern. Lediglich 39 Stufen hatten die Zuschauer am Dienstagabend im Konzerthaus im gleichnamigen Theaterstück zu erklimmen, aber die hatten es wahrlich in sich: Nicht nur an Geschwindigkeit überboten sie jeden alltäglichen Treppenanstieg, auch an Zusatzaufgaben hatte die Inszenierung des Theaters der Altmark aus Stendal im Rahmen des Theaterrings einiges in petto.

Die Handlung der mit rasant nur unzulänglich beschriebenen Komödie orientiert sich an Alfred Hitchcocks „39 Stufen“, die es ja auch schon in sich haben. Hier aber wird die Handlung gewissermaßen wie eine Explosion im Comic zerfetzt und wieder ausgebreitet, und zwar eine Explosion mit vielfacher und immer wieder neu überraschender Zündung. Denn lediglich ein Ensemble aus zwei Schauspielerinnen und zwei Schauspielern bewältigte die ganze Mordszenerie. Und das bedeutet, dass die einzelnen Spielenden nicht nur Geschlecht und Rollen wechseln, also von Hotelier zu Hausfrau, von Professor zu Polizistin, Geheimagentin zu Ganoven, um nur einige der rund hundert Rollen zu nennen.

Und warten dabei auch mit immer neuen Sprachvariationen auf. Das ist schon eine ganze Menge, aber noch lange nicht alles: Nein, sie schlüpfen auch in die Rollen von Sumpf und Moor und Dornbusch, schleppen, stürzen, stellen, schwingen Requisiten zu immer neuen Bühnenbildbestandteilen und sprechen auch notfalls noch Regieanweisungen.

Tempo fordert Tribut

Und das alles geht Schlag auf Schlag, zack, zack folgen Orts- und Szenenwechsel, vor allem Rollen- und Maskenwechsel, dass einem schon beim Zuschauen ganz schwindlig werden konnte. Dieses Tempo fordert freilich Tribut: Da kam es schon vor, dass manche Pointen ein wenig verhaspelt wurden und mancher Text schludrig geriet, was besonders für übereifrig auf weiblich getrimmte Fispelstimmen gilt. Und zuweilen konnte die Hektik auf der Bühne schon auch an den Nerven zehren. Unterm Strich allerdings konnte es dem Vergnügen an der Inszenierung nichts anhaben, ein Vergnügen, das sich nicht selten in kreischendem Gelächter im Publikum äußerte.

Das vierköpfige Ensemble schlüpft im Laufe der Inszenierung in eine Vielzahl von Rollen.
Das vierköpfige Ensemble schlüpft im Laufe der Inszenierung in eine Vielzahl von Rollen. Foto: Natascha Schröm

Dabei musste man sich als Zuschauer gar nicht damit aufhalten, das Geschehen zu verfolgen. Die Handlung trat bei dieser Inszenierung in den Hintergrund. Was zählte, war die Leistung der vier Spielenden, die mit Verve die verschiedensten Figuren der Verfolgungsjagd verkörperten und dabei ganz enormen körperlichen Einsatz zeigten, nicht nur, weil sie in Windeseile in die unterschiedlichen Körperhaltungen verfielen, sondern auch weil mit Finessen wie Freeze und Zeitlupe ebenso lustvoll wie gekonnt gespielt wurde. Schauspielerisch wurden also alle Register gezogen.

Harry Potter und FCH

Und an Ideen geizt die Inszenierung ebenfalls nicht. Das turbulente Sammelsurium an Vogel in Peer-Gynt-Morgenstimmung, ein wenig Harry Potter mit Slytherin und Gryffindor, ein bisschen „Vom Winde verweht“ für angedeutete Liebesszenen plus Zitate aus Hitchcock-Filmen wie „Der unsichtbare Dritte“ und ein Dialog aus Hitchcock-Filmtiteln, dazu immer wieder Albernheiten und Absurditäten rund um Mord und Mördersuche, und das alles unter Beimischung übersprühender Spielfreude, das überzeugte die Zuschauer. Und dazuhin bekam das Heidenheimer Publikum auch noch eine Laudatio auf den Fußball im Allgemeinen und den FCH im Besonderen in der Inszenierung serviert, die den Anschein erwecken konnte, die Inszenierung könne nur in Städten mit Erstliga-Clubs aufgeführt werden. Das Publikum verwöhnte das Ensemble für die Gesamtleistung mit langem Beifall und wollte es kaum von der Bühne lassen. Mit dieser Inszenierung ist der Theaterring köstlich in die neue Saison gestartet. Und gesundheitsfördernd obendrein: für Herz und Kreislauf und Zwerchfell.

Mit Satire geht’s weiter

Nach dem komödiantischen Auftakt des Theaterrings verspricht auch die nächste Veranstaltung einiges zum Lachen. Am 12. November zeigt die Württembergische Landesbühne Esslingen den „Reichskanzler von Atlantis“, eine Satire, in der absurde Komik auf die wahnhafte Abschottung der Reichsbürger trifft und altdeutscher Apfelkuchen eine nicht ganz unwesentliche Rolle spielt.

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