Kulturschiene

Mitbruddeln und Klangbaden: Patrick Bopp verwandelt im Lokschuppen Heidenheim das Publikum in einen Chor

Patrick Bopp im Lokschuppen: Furios startete die Kulturschiene „Aus voller Kehle für die Seele“ in die neue Saison. Und beantwortet die Frage, warum man für einen Abend zahlt, an dem man selbst das Ereignis ist.

„Das klingt wunderschön“, attestierte Patrick Bopp seinem Chor am Donnerstagabend im Lokschuppen. Und sein Chor war nichts anderes als das Publikum, das sich den Titel des Abends „Aus voller Kehle für die Seele“ nicht zweimal sagen ließ, sondern ebenso von Anfang bis Ende exakt so mitsang.

Was der Musiklehrer, Chorleiter und Sänger beim A-cappella-Ensemble „Füenf“, wunderschön fand, klang zuweilen so: Dengengengengeng, shalalala, nanananana, dipdipdip, bambambabambadada, uhuhuh und ahahah. Und das in der ersten Stimme. Oder der zweiten. Oder halt der, die man trifft. Wunderschön? Das war vollkommen egal. Eine Lust war es geradezu, buchstäblich aus voller Kehle laufen zu lassen, laut, ungezügelt, ganz ohne das Ziel, perfekt zu sein, den Ton zu treffen, die Stimme zu halten. Und den Spaß dabei zu entdecken, wie gut das tut, wie geradezu entgiftend solche zwei Stunden Gesang aus vollem Herzen wirken und wie schön sich die fremden Besucher singend zu einer Gemeinschaft formten.

Schlumpf mit Schnute

Patrick Bopp ist aber auch ein guter Anleiter, Motivator und dabei auch noch Schelm mit großem Herzen. Schon allein das, was in anderen Chören unter „Einsingen“ verstanden wird, läuft bei ihm als großer Spaß leichtfüßig durch und verführt zum Mitmachen. So sah sich das Publikum in schönster Heiterkeit vereint bei spanischen Stimmübungen, beim Singen à la Schlumpf mit Schnute, beim Beatboxen mit der bösen Katze ohne Vokale, beim tief empfundenen und synchron gebellten schwäbischen „Awa!“ – Mitbruddeln als Variante zum Gesang war ja schließlich ausdrücklich zugelassen.

Bopp ließ sein nur allzu mitmachbereites Publikum also Saxofon imitieren genauso wie französischen Akzent, ließ es rotzig bekennen, ein echter Italiener zu sein, und das auch noch auf Italienisch: „Das Ziel ist es, mindestens eine Silbe richtig auszusprechen“. Und auch das ohne jede Kontrolle, allenfalls darüber, ob auch wirklich die Kontrolle bei seinem singenden Publikum nach und nach abhanden kam und es einfach laufen ließ.

Mitsingen ausdrücklich erwünscht: „Aus voller Kehle für die Seele“ lautete das Motto des Abends.
Mitsingen ausdrücklich erwünscht: „Aus voller Kehle für die Seele“ lautete das Motto des Abends. Foto: Rudi Penk

Das tat es nur zu gerne: Es stellte den imaginären Kragen in der Stimme wie Elvis, es variierte zwischen „a bissle sauer und a bissle weich“ auf den Spuren von Leonard Cohen, es lustwandelte in höchster Energie auf Sonnenschein und träumte wie weiland John Lennon von einer vereinten Welt. Und das entweder mit der bekannten Melodie, der ersten, zweiten oder dritten Stimme, oder auch als Background-Chor: „Singt doch einfach, was ihr wollt“, nahm Bopp jede vielleicht noch verbliebene restliche Hemmschwelle im Nu.

Ton für Ton zusammengeschweißt

Man zahlt also für einen Abend, an dem man selbst das Ereignis ist? Warum? Zunächst natürlich, weil es eine Leitung wie Patrick Bopp zum Gelingen braucht. Einer, für den Musik genauso Ernst wie Spaß ist, einer, der genießt, wenn das Gefühl der Zusammengehörigkeit entsteht, und der ebenso einfühlsam wie einfallsreich mit seinem Publikum umgeht. Und der zweite Grund: Weil man es sonst nicht macht.

Warum eigentlich nicht? Gerade dieser Abend zeigte doch, wie herrlich sich Zeit miteinander verbringen lässt, wenn man gemeinsam singt – ohne je an Perfektion oder Auftrittsreife denken zu müssen. Wie tatsächlich Ton für Ton zusammenschweißt. Viel häufiger sollten Abende wie diese sein, an denen ausnahmslos alle leichten Herzens und lächelnden Gesichts den Lokschuppen verließen. Nach einer gehörigen Portion von Zugaben, versteht sich, denn der neue Lokschuppen-Chor hatte längst Feuer gefangen an dieser unerhört lässigen und beflügelnden Art des Zeit- und Aggressionsvertreibs. Besser als mit diesem Klangbaden hätte die Kulturschiene nicht in die neue Saison starten können.

Mandoline mit der Zunge

Der wunderschöne Klang breitete sich vor allem innerlich aus, wo der Abend noch für lange Zeit nachklingen wird. Und die Lust auf mehr Gesang im Alltag gesteigert oder gar geweckt hat. Wenn auch der gemeinsame Gesang nicht voller Harmonie war, die Gemeinschaft war es in jedem Fall. Eine Erkenntnis, die genutzt werden könnte: Vielleicht sollten Konferenzen, Gemeinderatssitzungen, Mitgliederversammlungen, Meetings aller Art zum guten Gelingen grundsätzlich mit gemeinsamem Gesang begonnen werden, um erst einmal alles Negative auszustoßen und ein neues Zuhören zu entdecken. Bei besonders kniffligen Situationen: Zungenmandoline. Die wird jetzt hier nicht erklärt, die erlebt man am besten selbst. Wenn Patrick Bopp das nächste Mal kommt. Und bis dahin: schön weitersingen.

Bunte Tüte Jazz

Musikalisch geht es in der Kulturschiene weiter: Am 14. November tritt das Joo-Kraus-Quintett im Lokschuppen auf. Das Urgestein des Jazz stellt sein Album „No Excuse“ vor, eine bunte Tüte aus Alternative Rock, Soul, Funk und Pop. Das Konzert wird in Kooperation mit dem Verein Jazz Heidenheim veranstaltet.

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