Künstlergespräch

Wie bei Adi Hoesle im Heidenheimer Kunstmuseum das Verschwinden von Kunst zur Kunst wird

Im Kunstmuseum Heidenheim führte Adi Hoesle sein Publikum durch das Zwischenreich von Kunst und Wissenschaft. Es ging um verdunkelte Räume, Hirnströme und um das Weglassen, das die Fantasie beflügeln soll.

Wie bei Adi Hoesle im Heidenheimer Kunstmuseum das Verschwinden von Kunst zur Kunst wird

Wie, wenn es nicht sowieso schon schwierig wäre zu bestimmen, was Kunst ist, setzt Adi Hoesle noch eins drauf: Er lässt sie verschwinden. Was ist es aber dann, was noch bis 5. November unter seinem Namen im Heidenheimer Kunstmuseum zu sehen ist? Und dazu noch unter dem „provozierenden" Titel „Der Ursprung der Kunst", den der Heidenheimer Museumsleiter Marco Hompes dieser Ausstellung aufgeprägt hat?

In einem Künstlergespräch inmitten der Ausstellung erläuterte der 1959 geborene Künstler und Retrogradist Adi Hoesle nun einem interessierten Publikum sein Konzept von Kunst. Die Bezeichnung Retrogradist hat sich Hoesle sogar patentieren lassen. Für zwei Jahrzehnte konnte er, der vor seiner Ausbildung zum Maler in München und Nürtingen als Fachpfleger für Anästhesie und Intensivmedizin tätig war, diesen allein für sich in Anspruch nehmen. Gesprächspartner von Hoesle an diesem Abend war Dr. Wolfgang Ulrich, vormals Professor für Kunstwissenschaft an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe und heute freischaffender Publizist. Ulrich hatte während seiner Tätigkeit an der Hochschule auch die Magisterarbeit des Studenten Marco Hompes betreut.

Performance im Kernkraftwerk

Was es mit dem Verschwinden von Kunst auf sich hat, das erläuterten beide Gesprächspartner eingangs anhand einer Performance aus dem Jahr 2000 im Kernkraftwerk Gundremmingen. Sie hatten dort „nach großem bürokratischen Aufwand" Bilder und Schriften in einem Endlagerfass für verstrahlte Abfälle verschließen lassen. „Es lässt sich spekulieren, was drin ist und in welchem Zustand", so Ulrich, „aber es bleibt, so Hoesle. „für immer verschlossen." Dieser Umstand nun, dass Gegenstände der Wahrnehmung entzogen werden, beflügelt wiederum die Fantasie. „Das ist der rote Faden", so Ulrich zu Hoesles Kunst: durch Zurücknehmen (retrogradieren) Kunst unsichtbar machen, damit an die Stelle der Wahrnehmung die Einbildung im Kopf treten kann. Was dann aber die Frage aufwirft, ob es einer sichtbaren Kunst überhaupt bedarf.

Hoesle jedenfalls ist gut Freund mit immateriellem Kulturgut. So steht im Mittelpunkt von seiner Ausstellung im Kunstmuseum ein großer begehbarer, aber verdunkelter Raum. In diesen dringt kein Lichtstrahl. An einer Wand hat Hoesle ein Bild platziert, das in der Dunkelheit nicht gesehen werden kann. Doch es wird von einer Stimme im Raum detailliert beschrieben. Auch hier spielt sich die Kunst im Kopf ab. Aber auch Misstrauen. Eine Besucherin, so Hoesle, habe wohl Zweifel an der Existenz des Bilds gehabt und deswegen ihre Handytaschenlampe eingeschaltet. „Die Frau hat es bedauert" , so Hoesle, der mit ihr gesprochen hatte. Denn damit habe sie sich um ihre Phantasie gebracht.

Wegnehmen als kreativer Vorgang

Hoesle weiß, dass er, wenn er etwas verschwinden lässt, er dem gängigen Bild des Künstlers als eines Schaffenden überhaupt nicht entspricht. Doch das Wegnehmen, so seine Behauptung, sei ein ebenso kreativer Vorgang. „Es ist vielleicht sogar noch schwieriger als das Schaffen." Dass bei der Kunst entscheidend ist, „was im Kopf passiert", hat den gelernten Intensivpfleger noch auf eine weitere Frage gebracht und nach künstlerischen Antworten suchen lassen. Lässt sich am Gehirn messen, wann und wie Kunst entsteht, deren Ursprung nachvollziehen?

Oder andersherum: Lässt sich ein Kunstwerk zurück in den Kopf verfolgen. So hat Hoesle etwa die Messwerte seiner Hirnströme mit einer fünfachsigen CNC-Maschine in Holz fräsen lassen-Und ebenso die des Künstlers Jörg Immendorf, als dieser bereits von seiner ALS-Erkrankung gezeichnet war. „Ein intimes Porträt", so Hoesle, das nun als Skulptur sicht- und greifbar ist . Doch wäre so nicht auch die Untersuchung der Hirnströme durch einen Arzt bereits Kunst - so die Frage aus dem Publikum.

Im Prinzip ja, so Hoesle, wenn der Arzt bei der Umsetzung in die Sichtbarkeit einen künstlerischen Ansatz wählen würde. Grundsätzlich gelte, „Kunst ist, wenn sie als solche wahrgenommen wird." Hoesle ist auch Erfinder des Brain-Painting, bei dem Bilder direkt aus EEG- Aufnahmen gestaltet werden. „Mit Denken malen", beschreibt Hoesle den Vorgang „Ich genieße es, mich in einem Zwischenraum von Kunst und Wissenschaft zu bewegen." Doch wird es nicht schwierig, wenn man am Ende als Künstler gar nichts mehr zeigt, so eine Frage aus dem Publikum. „Man muss scheitern an der Immaterialität", bekannte Hoesle. Und deshalb ist das Kunstmuseum bis 5. November auch nicht leer.

Grenzgänger in der Kunst

TeSeit mehreren Jahrzehnten arbeitet der Künstler Adi Hoesle an der Grenze von bildender Kunst und Neurowissenschaften. Im Kunstmuseum Heidenheim steht folglich das Gehirn im Zentrum der Schau. Darüber hinaus wird in verschiedenen Werken auch das Blindsein als ästhetische Komponente hinterfragt. Die Ausstellung "Der Ursprung der Kunst" ist noch bis 5. November im Kunstmuseum zu sehen.

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