Schläge auf den Kopf mit einem Holzschläger, ein Sturz zu Boden, blutende Platzwunden am Kopf, die teure Gucci-Cap gestohlen: Was sich in der Nacht im April dieses Jahres vor einer Heidenheimer Bar abgespielt haben soll, war nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft ein besonders schwerer gemeinschaftlicher Raub. Fünf Jahre Freiheitsstrafe ist bei einer Verurteilung das Mindestmaß. Am Ende aber bleibt die Tat ungesühnt.
Das Landgericht Ellwangen sprach zwei Angeklagte (22 und 27 Jahre) nach mehreren Verhandlungstagen und Zeugenbefragungen frei, weil ihre Täterschaft nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden konnte. Bernhard Fritsch, Vorsitzender Richter der 1. Großen Strafkammer, sagte: „Am Ende können wir nicht mit der erforderlichen Sicherheit sagen, wer die Tat begangen hat. Deshalb endet der Prozess mit einem Freispruch.“
Schon zu Beginn des Verhandlungstags hatte die Kammer ihre Einschätzung mitgeteilt, dass es auf einen Freispruch hinauslaufen werde. Auf der Anklagebank war in diesem Moment ein tiefes, hörbares Durchatmen zu vernehmen. Die Angeklagten wirkten erleichtert, gar euphorisch und hatten ab diesem Zeitpunkt ständig ein zufriedenes Lächeln auf dem Gesicht. Nach dem Freispruch wurde die Verteidigerin umarmt, später auch die Familienmitglieder. Das Opfer war nicht im Saal.
Schläge vor Heidenheimer Kneipe: So wird die Gewalttat beschrieben
Dass in der Nacht eine Straftat geschehen war, das bleibt unbestritten: Laut Erkenntnissen aus dem Verfahren verließ der 24-jährige Geschädigte gegen 2.30 Uhr die Bar. Zwei Männer sollen ihm gefolgt sein. Sie sollen ihn nach Geld und Drogen gefragt haben. Als er sage, er habe nichts, eskalierte die Situation: Einer der Angreifer habe ihm unvermittelt mit einem Schlagstock von hinten auf den Kopf geschlagen, so die Schilderung des Opfers. Während er bereits verletzt am Boden lag, sollen weitere Schläge mit Fäusten und erneut mit dem Schlagstock erfolgt sein. Der Geschädigte erlitt blutende Kopfplatzwunden und eine Schädelprellung. Inmitten der Gewalt verlor er seine Gucci-Mütze im Wert von rund 200 Euro – sie soll ihm vom Kopf geschlagen und anschließend von einem der Angeklagten entwendet worden sein.
Erst Stunden später suchte der 24-Jährige einen Arzt auf, anschließend erstattete er Anzeige bei der Polizei. Seine Aussage blieb im gesamten Verfahren das zentrale und letztlich einzige Beweismittel zur Frage, wer ihn in dieser Nacht angegriffen hatte.
Warum die Beweislage schwierig ist
Die beiden Angeklagten schwiegen. Zwar war unstrittig, dass sie sich zur Tatzeit in derselben Bar aufgehalten hatten wie der Geschädigte und diese nahezu zeitgleich verließen. Für das eigentliche Geschehen vor der Bar aber gab es keine Zeugen, keine Videoaufnahmen, keine Spuren. Entscheidend wurde daher die Identifizierung der mutmaßlichen Täter – und genau daran hatte das Gericht Zweifel.
Der Vorsitzende Richter Bernhard Fritsch machte deutlich, dass es nicht um die Frage gehe, ob die Schilderung der Gewalt als solche glaubhaft sei. Zweifel bestünden vielmehr an der Entstehung der Täterbenennung. Wie die Namen der Angeklagten ins Spiel kamen, ließ sich nicht widerspruchsfrei klären. Angaben zu Hinweisen aus dem Freundeskreis oder aus sozialen Netzwerken änderten sich, ließen sich nicht bestätigen oder blieben unerklärlich. Damit fehle der Aussage jene Qualität, die erforderlich sei, um allein darauf eine Verurteilung zu stützen.
Staatsanwältin Nina May von der Täterschaft überzeugt
In ihrem Plädoyer zeichnete Staatsanwältin Nina May ein anderes Bild. Sie war von der Täterschaft überzeugt und forderte jeweils sechseinhalb Jahre Freiheitsstrafe. Die Staatsanwältin schilderte den Angriff als äußerst brutal und gefährlich, sprach von roher Gewalt und erheblichem Gefährdungspotenzial. Sie zeigte sich überzeugt, dass die Angeklagten dem Opfer gefolgt seien, gemeinsam gehandelt und gezielt zugeschlagen hätten. Auch die Alkoholisierung des Geschädigten entwerte dessen Aussage nicht automatisch. Gewalterfahrungen führten häufig zu Erinnerungslücken bei Nebenumständen, nicht aber beim Kerngeschehen.
Die Angeklagten zeigen ein hartnäckiges rechtsverachtendes Verhalten und sind nicht gewillt, unsere Rechtsordnung zu respektieren.
Nina May, Staatsanwältin
Bei der Strafzumessung verwies die Staatsanwältin zudem auf die Biografien der Angeklagten. Beide sind mehrfach, teils einschlägig vorbestraft – unter anderem wegen Körperverletzungs-, Raub- und Eigentumsdelikten. Einer der Angeklagten habe bereits mehrere Jugend- und Haftstrafen verbüßt, der andere sei ebenfalls wiederholt durch Gewalt- und Eigentumsdelikte aufgefallen. Die Staatsanwältin sprach von einer hohen Rückfallgefahr. Die Angeklagten zeigten ein „hartnäckiges rechtsverachtendes Verhalten und sind nicht gewillt, unsere Rechtsordnung zu respektieren“. Dass sie sich falsche Alibis verschaffen wollten, zeige, dass auch die Angeklagten selbst eine Verurteilung für möglich gehalten hätten.
Ganz anders sah das die Seite der Verteidiger: „Es geht nicht um die philosophische Wahrheit, sondern um strafprozessuale Wahrheit“, so Anwältin Sümeyra Oz, eine von drei Verteidigern. Ein einziger Zeuge, der sich zudem in Widersprüche verhedderte, sei nicht ausreichend für eine Verurteilung. Auch die anderen Verteidiger betonten die nicht ausreichenden Beweise.
Der Vorsitzende Richter Fritsch stellte klar, dass Vorstrafen keine Beweise für eine neue Tat ersetzen können. Auch wenn die Angeklagten „einiges auf dem Kerbholz“ hätten, dürften sie nicht für eine Tat verurteilt werden, bei der ihre Täterschaft nicht mit hinreichender Sicherheit feststehe. Die Möglichkeit einer Falschidentifizierung – etwa aufgrund der nächtlichen Situation, der Alkoholisierung und der schnellen Zuordnung am Folgetag – könne nicht ausgeschlossen werden.
Angeklagte werden entschädigt für Zeit in U-Haft
Am Ende blieb damit eine Gewalttat, die nach Überzeugung des Gerichts nicht sicher aufgeklärt werden konnte. Die Kammer sprach beide Angeklagten frei, hob die Haftbefehle auf und entschied, dass sie für ihre Zeit in Untersuchungshaft zu entschädigen sind und die Verfahrenskosten die Staatskasse trägt.
Für den Geschädigten bedeutet das: Die Schläge, die blutende Kopfwunde, die Gewalt dieser Nacht – all das bleibt ohne strafrechtliche Sühne. Wer ihn tatsächlich angegriffen hat, bleibt ungeklärt. Die Täter, wer immer sie waren, kommen ungestraft davon.
Revision gegen das Urteil ist möglich
Die Staatsanwaltschaft hat nach dem Urteil eine Woche Zeit, um Revision einzulegen. Mit der Revision wird der Fall nicht neu verhandelt. Stattdessen prüft ein höheres Gericht, ob im Verfahren Rechtsfehler gemacht wurden, etwa bei der Beweiswürdigung oder der Anwendung des Strafrechts. Neue Zeugen oder Beweise werden dabei nicht erhoben. Wird einer Revision stattgegeben, kann das Urteil aufgehoben und der Fall zur erneuten Verhandlung an eine andere Kammer zurückverwiesen werden.
Unmittelbar nach der Urteilsverkündung konnte Staatsanwältin Nina May noch nicht sagen, ob die Staatsanwaltschaft von diesem Rechtsmittel Gebrauch machen wird.

