Das Büro des Voith-Chef im fünften Stock des Verwaltungsgebäudes an der St. Pöltener-Straße ist nicht sehr groß, es gibt einen Schreibtisch, der auf Stehhöhe fixiert ist, und einen Besprechungstisch, an dem das Interview stattfindet. Auf dem Tisch stehen Gummibärchen und Pralinen, Dirk Hoke ist konzentriert und spricht schnell. Das Gespräch fand am Montagabend statt, am Dienstag wurden die Voith-Mitarbeitenden über die Pläne des Stellenabbaus informiert.
Herr Hoke, Sie haben angekündigt, dass Voith in den kommenden zwei Jahren 2500 Stellen abbauen will, schwerpunktmäßig in Deutschland und vor allem in den Führungsebenen. Warum ist das notwendig?
Dirk Hoke: Das kommt nicht überraschend. Wir haben in den vergangenen sechs Monaten sehr gründlich analysiert und immer offen gesagt, dass wir daraus auch konkrete Maßnahmen ableiten müssen. Ohne strukturelle Veränderungen werden wir unsere Wettbewerbsfähigkeit nicht sichern können. Gleichzeitig müssen wir weiter investieren. Beides zusammen ist nur möglich, wenn wir unsere Organisation anpassen. Diese Veränderungen werden auch Auswirkungen auf Arbeitsplätze haben.

Betroffenheit, Solidarität und Unterstützung: diese Reaktionen hat die Ankündigung des Stellenabbaus bei Voith in Heidenheim ausgelöst
In welchen Bereichen ist das notwendig?
Zum Beispiel bei der Modernisierung unseres Maschinenparks, der deutlich überaltert ist. Hier haben wir einen erheblichen Investitionsstau. Um diesen aufzulösen, brauchen wir finanziellen und organisatorischen Spielraum, und den können wir in der aktuellen Struktur nicht herstellen.
Sie brauchen finanziellen Spielraum, und der wird über den Abbau von Personal geschaffen?
Wir müssen in den nächsten zwei Jahren auch an unsere Personalkapazitäten herangehen, weil sich über die Zeit ein ungünstiges Verhältnis zwischen direkten und indirekten Mitarbeitern entwickelt hat. Unser Overhead ist zu groß geworden. Andere Unternehmen passen solche Strukturen regelmäßig an; bei uns wurde das lange nicht konsequent genug getan. Das müssen wir jetzt einmal bereinigen, damit wir wieder zukunftsfähig werden.
Um welche Teile des Personals geht es dabei?
Es geht vor allem um Führungskräfte und indirekte Funktionen, nicht um die Mitarbeitenden in den Werken.
Sie sagen, es sei ein Überbau entstanden. Ist das eine Folge daraus, dass es an der Spitze von Voith in relativ kurzer Zeit mehrere Wechsel gab? Kam dabei die Analyse zu kurz?
Ich urteile nicht über frühere Entscheidungen. Jede Führung trifft ihre im jeweiligen Kontext. Faktisch hat sich der Wettbewerb über die letzten fünf bis zehn Jahre strukturell verändert. Viele unserer Mitbewerber haben deutlich stärker in Niedriglohnländer verlagert und gleichzeitig ihre Belegschaft in Hochlohnländern reduziert. Wir haben diesen Schritt nicht in gleichem Maße vollzogen, und das macht sich heute bemerkbar.
Wie sieht die Verteilung bei Voith aus?
Heute arbeiten bei Voith noch rund 60 Prozent unserer Mitarbeitenden in High-Cost-Countries und weniger als 40 Prozent in Best-Cost-Countries. Das führt dazu, dass wir in der Mischkalkulation unserer Stundensätze zunehmend schlechter dastehen als der Wettbewerb. In Projektausschreibungen und Angeboten entsteht dadurch oft eine Preisabweichung von zehn bis 20 Prozent zwischen dem besten Marktpreis und unserem.
Warum wird der Stellenabbau Deutschland überproportional treffen?
Deutschland wird überproportional betroffen sein, weil wir hier auch einen überproportional hohen Kostenanteil haben. Wichtig ist mir: Das liegt nicht an der Leistung der Mitarbeitenden. Sie arbeiten sehr hart und sehr loyal. Aber wir haben nicht früh genug mit wirksamen Gegenmaßnahmen begonnen. Jetzt stehen wir an einem Punkt, an dem wir schneller handeln müssen, um unsere Wettbewerbsfähigkeit zurückzugewinnen. Gleichzeitig sehen wir eine unzureichende Auslastung unserer Maschinen. Wir müssen sicherstellen, dass wir diese Kapazitäten wieder effizient füllen können. In der Vergangenheit wurden Projekte teilweise zu Preisen angenommen, die nicht wettbewerbsfähig waren. Die Folgen davon zeigen sich oft erst Jahre später. Und das können wir uns heute nicht mehr leisten.

Hat Voith denn überhaupt noch eine Chance am Markt?
Wir wollen unser Unternehmen wieder zukunftsfähig machen und wir wollen unseren Mitarbeitenden zeigen, dass die Anstrengungen der nächsten zwei Jahre zwar hart sein werden, aber den Weg zu einer stabilen Zukunft ebnen. Wir haben in unseren Märkten und Geschäftsfeldern genügend Wachstumspotenzial. Wir haben genug Ideen, um Innovationen voranzutreiben und auch neue Geschäftsfelder zu erschließen. Wichtig ist: Wir verfügen über technische Kompetenzen, die von unseren Kunden klar anerkannt werden. Wenn uns diese technische Stärke fehlen würde, hätte ich mehr Sorgen.
Was bedeutet das konkret für den Standort Heidenheim? Hier gibt es ja den Standortsicherungspakt. Innerhalb dessen haben Sie noch einen Spielraum von 500 Stellen. Reicht das?
Erstens wollen wir gern einvernehmliche Lösungen finden; gemeinsam mit dem Betriebsrat und der IG Metall. Können wir heute alles ausschließen? Nein. Wir sind in laufenden Verhandlungen und müssen uns bestimmte Optionen offenhalten, je nachdem, wie diese Gespräche verlaufen. Wir haben sehr gute Betriebsräte und sehr gute IG-Metall-Vertreter, mit denen wir vernünftige Lösungen im Dialog erarbeiten können. Damit hoffen wir, auf betriebsbedingte Kündigungen und Betriebsschließungen vollständig verzichten zu können. Garantieren können wir das nicht, aber wir werden alles daran setzen.

Führungskräfte und indirekte Mitarbeitende: Voith will weltweit bis zu 2500 Stellen abbauen - So kommt die Nachricht in Heidenheim an
Warum bleiben die Aussagen darüber, wo genau der Stellenabbau stattfinden soll, noch so vage?
Wir gehen jetzt erst in die Verhandlungen, und da müssen wir fair sein. Wir können nicht einfach sagen: Das ist unsere Analyse, bitte unterschreiben. Wir haben die Themen mit den Führungskräften bestmöglich vorbereitet, aber natürlich können wir nicht ausschließen, dass dabei auch Annahmen oder Bewertungen korrigiert werden müssen. Das klären wir jetzt im gemeinsamen Prozess.
Wie kommen Sie dann zu der konkreten Zahl der Stellen, die abgebaut werden sollen?
Wir müssen diese Zahl aus unserer Wettbewerbssituation herleiten. Unsere Kostenlücke zum Wettbewerb liegt bei zehn bis 20 Prozent bei gleichzeitig hohem Personalkostenanteil. Der zweite große Kostenblock sind die Materialkosten, und auch dort arbeiten wir an Verbesserungen. Aus dieser Gesamtsituation ergibt sich die Größenordnung von etwa 2000 bis 2500 Stellen, um die Lücke systematisch zu schließen und eine solide Ausgangsbasis zu schaffen, mit der wir wieder wachsen können. Gleichzeitig sehen wir, dass die Märkte sehr unterschiedlich wachsen. Nordamerika, Asien und die Pazifikregion entwickeln sich deutlich stärker als Europa und insbesondere die DACH-Region. Wenn wir in diesen Regionen schneller wachsen, werden wir dort natürlich auch mehr Personal aufbauen.
Also wird es personelles Wachstum nur noch im Ausland geben?
Wir können in Deutschland erst dann wieder wachsen, wenn wir unsere Hausaufgaben bei Innovation und Technologie machen. Gleichzeitig ist klar: Unsere Wachstumsdynamik wird im Ausland schneller sein.
Sind für so eine tiefgreifende Veränderung zwei Jahre ausreichend?
Ja, das glaube ich. Voith hat sehr viel Substanz, sonst wären wir bis heute nicht so stark im Markt. Aber wir müssen die Ineffizienzen aus unserer Struktur herausnehmen. Wir haben drei Divisionen - Paper, Hydro und Turbo - plus den Konzernbereich, und wir haben viele Dinge viermal gemacht. Nicht einmal, sondern viermal. Kommunikation ist ein Beispiel, ebenso Human Resources, Cybersecurity oder IT. Viele Themen waren nicht optimal strukturiert und nicht effizient organisiert. Wenn wir diese Ineffizienzen herausnehmen, sprechen wir über Einsparpotenziale in dreistelliger Millionenhöhe. Und wenn wir Verantwortlichkeiten stärker in die Regionen geben, schaffen wir auch wieder Spielraum für Investitionen: in Innovation und in unsere Werke. Denn wir haben in allen Werken einen erheblichen Investitionsstau.
Stichwort: Vierfach-Strukturen. Wie soll das künftig aussehen? Gibt es da nur noch eine?
Wir haben zum 1. Juli bereits verschiedene Änderungen eingeführt. Ich würde das als eine „Organisationsänderung light“ bezeichnen. Das heißt: Wir haben Themen wie One Voith Communications beschlossen: Wir haben nicht mehr vier Abteilungen, sondern eine. Gleiches gilt für One Voith Finance, One Voith IT und One Voith Human Resources (Personal). Dort ziehen wir die Kolleginnen und Kollegen zusammen und richten Prozesse und Regeln klar aus, mit dem Ziel, effizienter und kosteneffektiver zu arbeiten. Dieser One-Voith-Gedanke muss auch im Vorstand verankert sein. Die Zusammenarbeit über Divisionen hinweg muss täglich gelebt werden. Sonderthemen haben wir gezielt verschiedenen Vorstandskollegen übertragen, die diese nicht nur für ihre eigene Division, sondern für den gesamten Konzern verantworten.
Wie vermitteln Sie das den Menschen, die bei Voith arbeiten? Aktuell wird wahrscheinlich jeder Mitarbeitende Angst um seinen Arbeitsplatz haben.
In anderen Ländern wäre ein solcher Prozess oft sehr schnell umzusetzen: Man diskutiert und entscheidet und jeder hätte rasch Klarheit. Hier ist der Prozess komplexer. Wir müssen sicherstellen, dass wir zügig und gradlinig vorgehen, damit wir den Mitarbeitenden möglichst schnell Klarheit geben können. Trotzdem wird dieser Prozess im besten Fall einige Monate dauern. Diese Unsicherheit kann ich nicht vollständig nehmen, alles andere wären Illusionen. Ich hoffe, dass wir spätestens Mitte 2026 durch sind. Garantieren kann ich es nicht, denn der Prozess hängt nicht allein von uns ab.
Zunächst kostet der Stellenabbau, der auch mit Abfindungen einhergehen wird, das Unternehmen aber einmal viel Geld.
Es kostet Nerven und auch Effizienz, weil sich die Menschen damit beschäftigen, oft auch gedanklich, selbst wenn man es nicht sofort sieht. Aber wir haben in Deutschland keine andere Möglichkeit, solche Veränderungen umzusetzen.
Sie haben Innovationen angesprochen. Gibt es denn Felder, wo Sie denken, da könnte Voith sich noch stärker engagieren?
Wir sehen Wachstumspotential in allen drei Geschäftsbereichen. Wir haben alles auf den Prüfstand gestellt. Ja, wir müssen in einigen Bereichen noch Portfolio-Bereinigungen vornehmen, aber insgesamt sehen wir, dass wir die drei Sektoren auch in den kommenden Jahrzehnten weiterentwickeln können. Hydro entwickelt sich derzeit besser als geplant, vor allem wegen des steigenden Bedarfs an Pumpspeicherkraftwerken. Dieser wird maßgeblich durch den stark wachsenden Energiebedarf von Rechenzentren getrieben, die weltweit entstehen. KI beschleunigt diese Entwicklung zusätzlich. Gleichzeitig wird es immer anspruchsvoller, Nachhaltigkeit glaubwürdig nachzuweisen. Deshalb suchen auch Unternehmen wie Google oder Microsoft aktiv nach Lösungen zur Energiespeicherung. Batteriespeicher reichen hier nicht aus. Pumpspeicherkraftwerke bleiben die mit Abstand nachhaltigste Option. Und wir gehen davon aus, dass diese Entwicklung weiter an Dynamik gewinnen wird.
In welche Bereiche orientiert sich Voith besonders?
Wir schauen nicht nur auf die nächsten fünf Jahre, sondern zehn, 20, 30 oder sogar 40 Jahre voraus. Dafür haben wir zunächst die großen Megatrends analysiert und geprüft, wie sie zu unseren Fähigkeiten passen. Daraus wurden rund 350 Handlungsfelder identifiziert und priorisiert und wir haben uns zunächst für drei entschieden. Wichtig ist dabei: Wir gehen diesen Prozess bewusst anders an, als Voith es in der Vergangenheit getan hat.
Wie meinen Sie das?
In der Vergangenheit wurde oft ein Thema ausgewählt, dann viel Geld investiert - in der Hoffnung, dass es aufgeht. Und wenn es nicht funktioniert hat, waren erhebliche Mittel verloren. Heute gehen wir anders vor: Wir nehmen unsere bestehenden Fähigkeiten und prüfen systematisch, wie wir sie in anderen Industrien einsetzen und skalieren können.
Inwiefern unterscheidet sich das davon, wie man sich früher bei Voith um Innovationen gekümmert hat?
Wir testen neue Themen zunächst mit kleinen Budgets. Wenn etwas funktioniert, gehen wir in eine größere Investition, und erst wenn auch das erfolgreich ist, denken wir über Akquisitionen nach. Das ist ein deutlich agilerer Ansatz als früher. Der Unterschied ist: Wir arbeiten nach dem Prinzip "fail fast", also früh testen, schnell lernen und konsequent entscheiden.
Was bedeutet das?
Wenn wir feststellen, dass wir bei einem Thema nicht weiterkommen oder nicht gut genug sind, dann stoppen wir es. Das ist ein Unterschied zu früher: Einmal gestartete Projekte liefen oft weiter, ohne konsequent hinterfragt zu werden. Das machen wir nicht mehr.
Wer macht diese Untersuchungen?
Dafür setzen wir Taskforces und Projektteams auf, die wir bei Bedarf auch extern verstärken. So stellen wir sicher, dass wir das spezifische Know-how aus anderen Industrien einbeziehen. Gemeinsam mit unseren eigenen Fachleuten werden dann Kundenbesuche durchgeführt und klare Fragenkataloge definiert, um zu prüfen, ob wir wirklich geeignet sind. Parallel stoßen wir eigene Themen an, die sehr nah an dem liegen, was wir heute schon können.
Ist das auch ein Schritt weg vom Großanlagengeschäft, das sehr zeitintensiv ist?
Nein. Einer unserer zentralen Kompetenzkerne, neben dem Rotating Equipment, ist genau das Anlagen-Know-how. Wir sind kein reiner Komponentenanbieter, wir sind ein Lösungsanbieter. Komponenten können wir auch dann zu wettbewerbsfähigen Preisen verkaufen, wenn sie in eine Gesamtlösung eingebettet sind. Genau dort liegen die hohen Eintrittsbarrieren, und nicht jeder kann in dieses Geschäft einsteigen. Kunden sind bereit, für überzeugendes Lösungs-Know-how zu zahlen. Und mit den Erfahrungen, die wir in den vergangenen Jahrzehnten gesammelt haben, gehören wir ganz klar zu den Unternehmen, die das können.
Sie haben vorhin die Strategie angesprochen. Wie soll die denn aussehen?
Wir wollen in allen drei Sektoren organisch deutlich schneller wachsen als der Markt. Die zusätzlichen Themen, die wir identifiziert haben, werden wir jetzt verifizieren und systematisch aufbauen. Gleichzeitig machen wir unsere Hausaufgaben: die Organisation entschlacken und stabilisieren. Unser Ziel ist, ab 2027 oder 2028 zweistellige Profitabilität zu erreichen. Damit schaffen wir die Grundlage, wieder stärker in Innovationen, in Unternehmen und in unsere Mitarbeitenden zu investieren, die strategisch zu unserem Portfolio passen.
Wie sieht es denn mit der Bilanz für das jetzt abgeschlossene Geschäftsjahr aus?
Wir werden Indikatoren geben, aber keinen vollständigen Geschäftsbericht veröffentlichen. So viel kann ich sagen: Das Ergebnis ist besser als im Vorjahr, aber nicht so gut, dass wir auf die geplanten Maßnahmen verzichten könnten. Also, es ist auch kein positives Ergebnis. Besser, aber vom Ziel noch klar entfernt.
Zur Person
Der Maschinenbauingenieur Dirk Hoke hat an der TU Braunschweig studiert. Er begann seine
berufliche Karriere beim Beratungsunternehmen Mc Kinsey und arbeitete dann beim Automobilkonzern Renault als Forschungs- und Entwicklungsingenieur. Nach zwei Jahren wechselte er zu Siemens nach Erlangen. Dort war er zehn Jahre lang - auch im Ausland - in verschiedenen Managementpositionen tätig. Hoke ging danach als CEO zu Airbus Defence and Space. Letzte berufliche Station vor Voith war das Flugtaxi-Startup Volocopter in Bruchsaal, das Ende 2024 Insolvenz anmeldete. Volocopter wurde 2025 vom österreichischen Flugzeughersteller Diamond Aircraft aufgekauft, der wiederum dem chinesischen Unternehmen Wanfeng gehört.

