Anfang dieser Woche feierte Manfred Ahrendts seinen 75. Geburtstag. Ende des Monats beendet er ein Kapitel, das sein Leben geprägt hat: Sein Optikergeschäft in der Heidenheimer Innenstadt schließt nach 44 Jahren. Es liegt etwas versteckt an der Grabenstraße 24, am Durchgang vom Türmle in die Hauptstraße. Die Werkstatt, die Beratung, der tägliche Kontakt mit der Kundschaft – all das bestimmte seinen Alltag. „Ich bin dankbar, diesen für mich schönsten Beruf ausgeübt zu haben“, sagt er. Die Verbundenheit zu seinen Kunden war tief, ganze Familien begleiteten ihn über Jahrzehnte.
Der Weg dorthin begann in seiner Heimatstadt Künzelsau, wo Ahrendts die Ausbildung zum Augenoptiker absolvierte. Nach Bundeswehr und Gesellenjahren, unter anderem an der Augenklinik in Ulm, führte ihn sein Wunsch nach Weiterbildung zum staatlich geprüften Augenoptiker und Augenoptikermeister nach Berlin zur Fachschule für Optik und Fototechnik – eine Entscheidung, die auch von der Familie geprägt war. „Drei Fachschulen gab es damals, und meine Schwester lebte schon lange in Berlin. Das hat ein bisschen Ausschlag gegeben.“
Wie Heidenheim zu Heimat und Berufsstandbein wurde
Heimat war für ihn zunächst kein Thema. Die Eltern kamen nicht von hier, zu Hause wurde daher auch kein Schwäbisch gesprochen. Erst in Heidenheim beziehungsweise in Bolheim habe er das Gefühl gefunden, wirklich angekommen zu sein. Dass er hierher kam, war dann eher Zufall.
Ganz naiv habe ich geschaut, wie viele Optiker es gibt und den Laden eröffnet. Das würde heute so nicht mehr funktionieren.
Manfred Ahrendts, Augenoptikermeister
1981 verließ er Berlin. „In Berlin war mir irgendwann mal alles zu dreckig. Ich habe das Kulturangebot nicht genutzt und wollte einfach wieder weg – eine kleinere Einheit.“ Über Schwäbisch Gmünd kam er nach Heidenheim, wo die Zahl der Optiker damals überschaubar war. „Ganz naiv habe ich geschaut, wie viele Optiker es gibt und den Laden eröffnet. Das würde heute so nicht mehr funktionieren.“
Von „Die Brille“ zu Manfred Ahrendts GmbH
Sein Geschäft gründete er unter dem Namen „Die Brille“. 1993 folgte eine grundlegende Neugestaltung – eine Investition wie bei einer Wiedereröffnung. Damals entschied er sich auch für eine Umbenennung: Aus „Die Brille“ wurde die Manfred Ahrendts GmbH. „Die Leute haben sich immer gefragt: Wie heißt denn der Mensch, der da drin steht? Dann wusste wenigstens jeder, wer ich bin.“
Technik spielte für ihn stets eine zentrale Rolle. Früh investierte er in moderne Zentriersysteme. „Ich war einer der Ersten, damals gab es 50 in Deutschland. Und das wollte ich einfach haben.“ Gute Ausrüstung sei für ihn stets essenziell gewesen: „Es ist immer wichtig, dass man ein gutes Werkzeug hat.“
Brillentrends kommen und gehen, Technik bleibt
Sein Betrieb blieb klein. Ganz bewusst. Fünf Auszubildende haben bei ihm eine Lehre gemacht, manchmal hatte er auch Mitarbeiter an seiner Seite. „Doch meistens war ich alleine. In den letzten zehn Jahren komplett.“ Viel Werbung machte er nie. „Es war viel Mund-zu-Mund. Da staunst du, wer wen kennt, und wie sich die Kreise schließen.“
Auch modische Trends gingen an ihm nicht vorbei. „Es gab riesengroße, untragbare Brillen – da ist die Industrie übers Ziel hinausgeschossen. Und dann wieder nur ganz kleine Brillen. Fünf Jahre lang gab es nur schwarz. Furchtbar.“ Technisch tat sich viel: leichtere Gläser, flexiblere Fassungen, immer präzisere Vermessung. Ahrendts blieb auf dem Stand der Zeit, blieb offen für neue Technik – blieb aber immer seinem Standort treu.
Wie aus Laufrunden in Bolheim lange Ultraläufe wurden
Doch sein Leben bestand nicht nur aus Arbeit. Vor mehr als 30 Jahren entdeckte der zweifache Vater den Laufsport für sich – eine Leidenschaft, die ihn ebenso geprägt hat wie sein Beruf. Aus einer schwierigen Phase heraus wurde das Laufen zum Ausgleich. 1987 begann er, in Bolheim um einen Häuserblock zu laufen, jedes Mal ein bisschen weiter, irgendwann mal durchs Eselsburger Tal.
Dann habe er in der Zeitung gelesen, dass der Heidenheimer Läufer Paul Knobelsdorf, der zehn Jahre älter war als er, den New-York-Marathon gelaufen sei. „Ich dachte mir, wenn der das kann, dann kann ich das auch.“ 1990 absolvierte er seinen ersten Marathon in München. „Wenn München gelingt, gehe ich nach New York“, hatte er sich damals gesagt – und tat es. Insgesamt folgten 39 Marathons und 18 Ultraläufe über 50 Kilometer – die Langstrecke bis zu 100 Kilometer wurde seine Leidenschaft. Das sei weniger anstrengend als ein "Zehner", denn da müsse man nicht so schnell laufen.
Engagiert in der Laufszene im Landkreis Heidenheim
Auch in der Laufszene engagierte er sich und ist heute darin eine feste Größe: ab 1991/92 beim Lauftreff Herbrechtingen, wo er bis heute bei der Organisation des Eselsburger-Tal-Laufs am Start ist, später lange im Heidenheimer Stadtlauf-Team, wo er die Website betreute und organisatorisch unterstützte. „Es ist schön, dass man Teil eines Teams ist, das mit Energie und neuen Ideen arbeitet.“ Nun sei eine neue Generation am Werk, mit ebenfalls neuen Ideen und viel Elan. Obwohl er selbst heute nicht mehr läuft, bleibt er über Fotografie und Kontakte mit der Lauffamilie im Landkreis verbunden. Auf vielen Laufveranstaltungen sieht man Ahrendts mit der Kamera an der Laufstrecke.
In einem zweiten Leben würde ich es wieder so machen.
Manfred Ahrendts, Augenoptikmeister
Der Abschiedsbrief an die Kunden ist verschickt, viele reagieren bestürzt, kommen aber vorbei, um sich noch einmal von Ahrendts eine Brille anpassen zu lassen. Deshalb sind Ahrendts` Arbeitstage in Laden und Werkstatt derzeit sehr vollgepackt. Bis Ende des Monats läuft der Ausverkauf, im Dezember wird geräumt. Für ihn persönlich aber ist es jetzt der richtige Zeitpunkt. Zur Entwicklung der Innenstadt äußert Ahrendts klare Worte: „Ich finde es total schrecklich, was man jetzt mit der Grabenstraße macht. Die Leute aussperren.“ Die Kundenfrequenz leide darunter, auch wenn er selbst nie von der Laufkundschaft gelebt habe.
Nach 44 Jahren schließt das kleine Geschäft in der Weise, die Ahrendts Art war: leise, ausdauernd und ohne großes Aufhebens: „Die Abwechslung, das Handwerkliche, die Kunden – das war das Faszinierende. In einem zweiten Leben würde ich es wieder so machen.“