Die Erleichterung war dem 25-Jährigen auf der Anklagebank am Heidenheimer Amtsgericht anzusehen, als das Urteil verkündet wurde: Statt einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten, die Staatsanwalt Dr. Julian Hänßler gefordert hatte, belief sich die Strafe am Ende nur auf ein Jahr und sechs Monate und wurde zudem zur Bewährung ausgesetzt. Der junge Mann bekam somit die „zweite Chance“, die er sich gewünscht hatte. Aber er bekam auch eine ausführliche, minutenlange Belehrung von Richter Rainer Feil, der mehrmals betonte, dass die Mengen an Cannabis, um die es im Prozess gegangen war, „gewaltig“ waren.
Mit einer beachtlichen Menge hatte die ganze Sache auch ihren Anfang genommen. Im November 2023 hatten Handwerker im Keller eines Heidenheimer Wohnhauses unter einem Treppenabsatz eine Tüte gefunden, in der sich mehr als zwei Kilogramm Haschisch befanden. Die hinzugerufene Polizei traf bei der anschließenden Befragung der Bewohner im Haus auf den jetzt angeklagten 25-Jährigen. Weil aus der Familien-Wohnung ein deutlicher Marihuanageruch strömte, baten die Beamten um Einlass in sein Zimmer. Dort fanden sie zwar abgesehen von geringfügigen Marihuanaresten keine weiteren Drogen, aber rund 500 Euro Bargeld, einen Elektroschocker sowie Einweghandys. Eine spätere DNA-Analyse des unter der Treppe gefundenen Stoffs ergab, dass der 25-Jährige damit hantiert haben musste.
Belastende Chats und Handyvideos
Im Juni 2024 erfolgte daraufhin eine zweite, angeordnete Durchsuchung des Zimmers, bei der zwar keine Drogen, aber erneut Bargeld und zwei Handys sichergestellt wurden. Auf einem der Handys fanden die Ermittler Chats und Videos, die darauf hindeuteten, dass der 25-Jährige in Geschäfte in großem Stil verwickelt sein könnte. Zu sehen waren Sporttaschen voll mit Cannabis-Produkten, beutelweise Marihuana und paketweise gestapeltes Haschisch. Dazu Chatnachrichten, die zwar bisweilen höchst kryptisch waren, aus Sicht von Staatsanwalt Dr. Julian Hänßler aber belegten, dass hier zwischen mehreren Personen Bestelllisten kursierten, dass sich hier eine Gruppe bandenmäßig absprach, gemeinsame Einkäufe organisierte und Vorräte lagerte. In einem der Chats war sogar von 49,5 Kilogramm die Rede, die an einem geheimen, aber scheinbar gemeinschaftlich bekannten Ort lagerten.
Doch war es wirklich eine Bande, die hier am Werk war? Und: Wie viel und welche der gefilmten Drogen waren tatsächlich Eigentum des Angeklagten? Waren es nur Kauf-Angebote, die ihn per Video erreicht hatten? Oder hatte er Stoff gefilmt, um ihn selbst zu verkaufen?
Anwalt verliest Geständnis
Die Wahrheitsfindung deutlich erleichterte, dass der Angeklagte, der sich selbst als cannabissüchtig bezeichnete, seinen Anwalt früh im Prozess ein Geständnis verlesen ließ. In diesem gab er zu, dass nicht nur die unter der Treppe gefundenen 2,1 Kilogramm, sondern weitere drei Kilogramm ihm gehörten. Außerdem räumte er ein, einige Monate später noch einmal zwei Kilogramm gekauft zu haben. Zwei Verkäufe aus dieser Menge sowie die Beteiligung bei einer Kurierfahrt, die durch Chats zu belegen waren, gab er ebenfalls zu.
Mit dem Großteil der Drogen aus den Videos habe er hingegen nichts zu tun. Diese hätten nicht ihm gehört. Auch sei er nicht Teil einer Bande gewesen. Die Personen in den Chats hätten für sich gehandelt. Er bereue, so las sein Anwalt vor, dass er so viel verkauft und selbst konsumiert habe. In einer Phase der Arbeitslosigkeit habe er den Bezug zu den Mengen verloren. Jetzt habe er einen neuen Job, sei seit Juli drogenfrei und wolle eine Therapie machen. „Ich habe einen Fehler gemacht“, sagte er, bevor sich Richter Feil und die Schöffen zur Urteilsfindung zurückzogen. „Ich hätte gerne eine zweite Chance.“
Diese sollte er bekommen. Das Urteil lautete schließlich ein Jahr und sechs Monate mit einer Bewährungsdauer von drei Jahren wegen Handelns mit Cannabis in nicht geringer Menge. Damit ging Feil zwar über das vom Verteidiger geforderte Strafmaß von einem Jahr auf Bewährung hinaus, die Kriterien für ein bandenmäßiges Vorgehen sahen Richter und Schöffen aber nicht als erfüllt an. Weder seien die für eine Bande per Definition erforderlichen zwei weiteren Personen zweifelsfrei identifiziert, noch könne aus den Chats der Wille für gemeinsame künftige Straftaten herausgelesen werden. „Selbst wenn es eine Bande gab, konnten wir nicht feststellen, dass der Angeklagte Teil davon war“, so Feil in seiner Urteilsbegründung.
„Auch haben Sie nicht kaltschnäuzig gehandelt, um auf Kosten anderer Abhängiger reich zu werden, sondern Sie waren selber abhängig“, so Feil zum Angeklagten, der zudem 4250 Euro aus den Drogengeschäften zahlen sowie 600 Euro für den gemeinnützigen Zweck überweisen muss. Als Auflage für die Bewährung legte Feil zudem fest, dass der 25-Jährige eine stationäre Therapie machen und sechs Drogenscreenings binnen 18 Monaten vorlegen muss. „Da nehmen wir Sie in die Pflicht“, so Feil. „Sie müssen uns jetzt beweisen, dass Sie es ohne Drogen schaffen.“