Erst nach zehn Stunden Verhandlung fiel die Entscheidung: Die drei Angeklagten aus Giengen sind nicht schuldig. Ein Zeuge, dessen Aussage bislang niemand gehört hatte, brachte die Wende – und machte aus einem Fall mutmaßlicher gefährlicher Körperverletzung eine Geschichte voller offener Fragen.
Vor dem Schöffengericht am Amtsgericht Heidenheim ging es in dieser Woche um eine Auseinandersetzung in der Silvesternacht 2023/24. Angeklagt waren drei Männer aus Giengen und Heidenheim, die laut Anklageschrift zwei Menschen mit einer Axt und einer Taschenlampe attackiert haben sollten. Der Vorfall ereignete sich in der Memminger Wanne in Giengen, wo in zwei benachbarten Häusern gefeiert wurde: in einer Wohnung die späteren Geschädigten, im Haus nebenan die drei Angeklagten mit Freunden, Partnerinnen und Kindern.
Als die Stimmung kippte
Zwei Mal wurde in dieser Nacht die Polizei gerufen. Beim ersten Einsatz habe in der Straße noch eine „normale Stimmung“ geherrscht, sagte ein als Zeuge geladener Polizist aus, beim zweiten sei alles „komplett umgeschwenkt und aggressiv“ gewesen. Niemand habe Angaben machen wollen, weder Verletzte noch andere Anwesende. Während seiner Aussage wurden im Gericht Bilder der Verletzungen begutachtet, Skizzen der Häuser und Straßenlagen erstellt; der genaue Tatort konnte jedoch nicht eindeutig festgelegt werden.
Widersprüche und fehlende Beweise
Einer der Geschädigten sagte aus, sie hätten entspannt gefeiert, als sein Freund kurz nach draußen ging und angeblich geschlagen wurde. Weil es sich beim mutmaßlichen Angreifer um einen der Nachbarn gehandelt habe, seien sie gemeinsam hinübergegangen, um die Sache zu klären. Dort habe einer der Angeklagten mit einer Axt in der Hand die Tür geöffnet und aggressiv reagiert. Im Hausflur kam es zur Schlägerei. Der Zeuge berichtete, er sei zu Boden gegangen, ein weiterer Geschädigter berichtete, einer der Angeklagten habe ihn mit einer Taschenlampe geschlagen. Beide trugen blutende Wunden davon.
Ein weiterer Geschädigter wollte sich an die Ereignisse nicht erinnern und tat sich schwer, die Bilder seiner Verletzungen anzusehen. „Ich versuche so etwas immer zu vergessen, es ist zwei Jahre her“, sagte er und entschuldigte sich bei Richter Rainer Feil. Damit fiel aber ausgerechnet derjenige, der als Erster geschlagen worden sein soll, als Zeuge nahezu vollständig aus.
Der Wendepunkt in der Verhandlung
Entscheidend war die Aussage eines Zeugen, der damals den ersten Notruf abgesetzt hatte. Der Mann, der aus einer Haftanstalt vorgeführt wurde, war ein Freund der Angeklagten und befand sich in der Silvesternacht ebenfalls in deren Wohnung. Sein Bericht brachte einen Aspekt ans Licht, der vor der eigentlichen Schlägerei im Hausgang passiert sein sollte: Er berichtete von einer Auseinandersetzung um eine entwendete Musikbox und von einem möglichen Raub durch die später Geschädigten, der dem mutmaßlichen Angriff vorausgegangen sei. Dass die Angeklagten womöglich reagierten, um ihre Freunde zu schützen, war somit ein neuer Blickwinkel in der Verhandlung und ein Wendepunkt im gesamten Fall.
Richter Feil fasste dies mit den Worten zusammen: „Was wir mit diesen Infos machen, müssen wir sehen. Aber es war mehr, als ich erwartet hatte.“ Diese Informationen seien in zwei Jahren Ermittlungsarbeit nie aufgetaucht, betonte er.
Ein weiterer Zeuge aus dem Umfeld der Angeklagten bestätigte: „Es hat alles wegen mir angefangen.“ Er erklärte, er sei mit dem vorherigen Zeugen auf dem Heimweg von der Party der später Angeklagten überfallen worden, habe sich dann zurück in deren Wohnung geflüchtet und dort eingeschlossen. Er habe Schreie aus dem Hausgang gehört, aber nichts gesehen. „Meine Freunde haben mich in Schutz genommen, sie sind nicht schuld“, sagte er.
Bei der Polizei hatten die beiden Freunde der Angeklagten keine Aussagen gemacht. Richter Feil kritisierte, dass eben diese Verweigerung das Verfahren erheblich verzögert habe: „Die Polizei kann nichts machen, wenn sie nichts weiß.“ Die Geschädigten hätten von Beginn an bei der Polizei „gemauert“ und keinen Notruf abgesetzt, obwohl die Verletzungen deutlich waren. Auch ihre Schilderungen passten nicht zu den Blutspuren. Die neuen Aussagen über den möglichen Raub ließen eine Notwehrlage der Angeklagten als zumindest denkbar erscheinen.
Am Ende des langen Verhandlungstages herrschte Einigkeit zwischen Verteidigung, Staatsanwaltschaft und Schöffengericht– eine seltene Situation, wie auch die Verteidigung betonte. Die Beweislast sei zu gering, ein weiterer Prozesstag würde keine neuen Erkenntnisse bringen. Ursprünglich waren drei Verhandlungstage angesetzt gewesen.
Freispruch nach langer Verhandlung
Die Staatsanwaltschaft beantragte den Freispruch aller drei Angeklagten. Auch die Verteidigung schloss sich an. Das Gericht sprach die drei Männer frei. In seiner Begründung nannte Richter Feil drei Punkte: Erstens seien die Angaben der verletzten Zeugen widersprüchlich und lückenhaft gewesen: „Von der ersten Sekunde an war das Verfahren mit einer Schwierigkeit behaftet, die die Geschädigten sich selbst zuzuschreiben haben.“ Zweitens passten ihre Darstellungen nicht zu den Spuren am Tatort. Und drittens: „Ich habe den ganzen Tag überlegt und kein Motiv der Angeklagten finden können, das für solche Gewaltanwendungen ausschlaggebend hätte sein können.“ Letztlich seien die Geschädigten in Haus der Angeklagten gegangen.
Die Aussagen über den möglichen Raub seien dagegen schlüssig gewesen – ein „Gamechanger“, wie Feil es nannte. „Wenn es eine Notwehrlage war, haben sie heute Gerechtigkeit erfahren“, sagte er abschließend.