Interview

Giengens OB Dieter Henle: „Ich lass mir meinen Optimismus nicht nehmen“

Auf andere warten? Nicht die Stärke von Giengens Oberbürgermeister Dieter Henle. Der kann zum Ende seiner ersten Amtszeit beeindruckende Zahlen vorweisen. Henle will mit Tempo weiterarbeiten, wenngleich die Herausforderungen nicht weniger werden.

Der Wechsel von Sommer auf Herbst 2025 steht gleichsam für Zäsur und Kontinuität: Dieter Henles erste Amtszeit geht zu Ende. Der 50-Jährige bleibt aber bekanntlich weitere acht Jahre Giengens Stadtoberhaupt und will Begonnenes abschließen und Neues anstoßen – mit dem von ihm gewohnten Tempo. Ausgebremst sieht er sich bisweilen lediglich von äußeren Faktoren.

Herr Henle, ihre erste Amtszeit ist fast vorbei. Welche Note würden Sie sich selbst dafür geben?

Ehrlicherweise meine ich, dass meine Einschätzung hier weniger zählt als die der Bürgerinnen und Bürger. Dazu kommt, dass eine Schulnote die differenzierte Leistung nur schwer abbilden kann. Deshalb bleibe ich lieber beim Wort: Ich bin zufrieden. Das Wahlergebnis spricht dafür, dass dieser Eindruck nicht aus der Luft gegriffen ist.

Wenn ich Ihnen eine „2 plus“ geben würde, wären Sie dann damit einverstanden?

Ich will mich wirklich nicht auf eine Note reduzieren lassen. Ich bin sehr zufrieden, trotzdem gibt es immer noch Luft nach oben. Stadtpolitik ist nie fertig. Aber das ist ja das Herausfordernde und Spannende dran.

Lassen Sie uns auf ihre erste Amtszeit blicken. Die Stadtpolitik war beim Antritt eher von Stillstand geprägt, bedingt auch durch das finanzielle Korsett. Sie haben ein hohes Tempo angeschlagen. Was ist aus Ihrer Sicht gelungen?

Mein Ansatz vor acht Jahren war, dass man auf die Große Kreisstadt Giengen stolz sein darf. Es war wichtig, das Ruder herumzureißen. Auf die acht Jahre geblickt ist bis jetzt vieles gelungen. Als Beispiele nenne ich den Bau von 460 neuen Wohnungen und Häusern, das Schaffen von mehr als 1.000 neuen Arbeitsplätzen ebenso wie 247 neuen Plätzen in der Kinderbetreuung. Zudem haben wir bereits 15 Spielplätze in Topform gebracht, die Fußgängerzone hat einen Erlebnispfad, der Barfüßer wird gebaut. Wir haben das Sternenkässle etabliert, das Dorfhaus Sachsenhausen gebaut und Investoren gewonnen.

Steht die von Ihnen genannte Zahl an neuen Kita-Plätzen exemplarisch für Giengens Entwicklung der vergangenen Jahre?

Schon. Die geschaffenen Plätze sind nicht, wie manche denken, der Zuwanderung geschuldet. Wir hatten mal um die 18.500 Einwohnerinnen und Einwohner. Mittlerweile sind das fast 2000 mehr. Das ist ein markanter Zuwachs und steht dafür, dass sich Familien hier wohlfühlen und wir die Rahmenbedingungen dafür schaffen.

Wir haben kein Projekt abgeschrieben

Dieter Henle

Das hört sich alles ziemlich gut an. Ich erinnere mich allerdings an einen Satz unmittelbar, nachdem Sie 2017 zum OB gewählt wurden. Sie sagten, dass in den nächsten acht Jahren die Stadtrandstraße gebaut wird. Daraus wurde nichts. Was ist noch nicht gelungen?

Als „nicht gelungen“ würde ich kein Projekt bezeichnen, wir haben ja keines abgeschrieben. Manches dauert länger als geplant, in der Regel durch äußere Einflüsse. Dazu zählen das Dienstleistungszentrum, die Breitbandversorgung, auch die neue Brücke an der BSH. Vom Tisch ist aber nichts, auch nicht die Stadtrandstraße.

Würde es Ihnen besser gehen, wenn extern Beteiligte an Vorhaben auch im sechsten Gang fahren würden wie Sie?

Bei Manchen würde ich wirklich sagen, sie müssten mal auf Automatik umstellen, dann würde das schneller funktionieren. Aber das ist einfach mein Naturell, Dinge voranzutreiben. Es ist dann ärgerlich, wenn man auf andere warten muss.

Zeitliche Verschiebungen, die es gab, sind also auf äußere Einflüsse zurückzuführen?

Ja. Ich will einfach schnell vorankommen und lass mir auch meinen Optimismus nicht nehmen. Der angesprochene Turnaround ist gelungen, weil wir manches in sehr schneller Zeit erreicht haben. Beim GIP A7 etwa – einem Großprojekt mit rund einer Viertelmilliarde Euro Investitionsvolumen – hat der Zeitplan bis auf drei Monate gepasst.

Die Entwicklung im Giengener Industriepark an der Autobahn nennt OB Dieter Henle als Paradebeispiel für das Einhalten von Zeitplänen. Geyer-Luftbild

Lassen Sie uns mal auf aktuelle Vorhaben in der Innenstadt blicken. Beim Barfüßer geht es jetzt gut voran, wie man sieht.

Ja, er soll Mitte 2026 eröffnen. Bis dahin erfolgen auch die Sanierung und Anpassung der Kirchgasse am Barfüßer entlang in die Marktstraße. Der Innenausbau beginnt Anfang 2026 und endet mit dem Küchen- und Brauereieinbau im Frühjahr 2026.

Es gibt zwei weitere große Vorhaben in der Marktstraße. Vom Müller-Vorhaben, einen zusammenhängenden Komplex zu schaffen, hat man lange nichts gehört.

Hier müssen wir uns nach den Vorgaben des Landesdenkmalamtes richten. Eine neuere Mitteilung von dort besagt, dass zwei weitere Gutachten erforderlich sind, um zu entscheiden, ob das Haus, in dem die ehemalige Müller-Filiale drin war, erhalten bleiben und baulich in einen Neubau integriert werden muss. Herr Müller hat weiterhin großes Interesse, das Areal zu entwickeln. Im Herbst führe ich die nächsten Gespräche mit ihm.

Beim geplanten Dienstleistungszentrum schräg gegenüber des Rathauses hat es zeitlich gestottert. Wie sieht es da aus? Welche Zeitachsen sind da jetzt angedacht?

Derzeit läuft die Vorbereitung einer Mehrfachbeauftragung. Spätestens im Januar 2026 werden drei Architekturbüros aufgefordert, Entwürfe für das Dienstleistungszentrum zu erstellen – ausdrücklich auch mit der Möglichkeit der Sanierung im Bestand. Im Juni 2026 möchten wir die Ergebnisse im Gemeinderat erörtern und über die gestalterische Ausführung entscheiden. Für Oktober 2026 sind die Planung der Bauabschnitte, die Zuordnung der Grundstücksbereiche und mehr vorgesehen. Ab Dezember 2026 laufen das Vergabeverfahren zur Auswahl eines Generalübernehmers sowie die Festlegung im Gemeinderat über eine Kostenobergrenze. Ende 2030 soll der Bau stehen.

Mehrfachbeauftragung hier, Gutachten um Gutachten da. Sind aus Sicht des Oberbürgermeisters die bürokratischen Hürden zu hoch?

Klares Ja. Wir müssen sicherlich entbürokratisieren. Andererseits müssen wir froh sein, dass wir in einem Rechtsstaat leben mit Grundrechten. In manchen Bereichen machen wir es in Deutschland halt besonders gründlich, ohne den Nutzen dadurch zu verbessern.

Gründlich abgerissen wurde an der Ehbachstraße. Dort klafft seit einigen Monaten eine Lücke. Geplant ist, dort eine neue Reha-Klinik zu bauen. Wie ist da der Stand?

Es ist Geduld gefragt. Der Planungsprozess ist 2024 gestartet und war von Anfang an bewusst auf drei Jahre ausgelegt. Die grundsätzliche Planung sieht 80 bis 100 Plätze vor, mit den Krankenkassen als Partnern. Im Gespräch sind zwei potenzielle Betreiber – es besteht begründeter Optimismus. Einen unterschriebenen Vertrag haben wir allerdings bisher nicht. Im Herbst ist die nächste Konferenz geplant: Dann möchten wir weiter über das mögliche Reha-Angebot und die zugehörigen Disziplinen diskutieren. Sollte allerdings eine neue Reha nicht realisierbar sein, haben wir einen Plan B und prüfen seniorengerechtes Wohnen oder sozial geförderten Wohnungsbau.

2027 soll am ehemaligen Standort der Reha an der Hirschstraße übergangsweise ein Teil der Verwaltung einziehen. Was geschieht sonst dort?

Die dort im Januar gestartete Praxis für Ergo- und Physiotherapie läuft hervorragend: Ein Praxismanager, eine Reinigungskraft und ein weiterer Physiotherapeut sind bereits hinzugekommen. Patientinnen und Patienten nehmen das geriatrische Konzept in der ambulanten Versorgung sehr gut an. Eine Tanzgruppe und ein ambulanter Pflegedienst sind ebenfalls ins Gebäude eingezogen und sorgen für Synergien.

Klingt gut. Wie sieht es bei Haus- und Fachärzten aus?

Nach intensiver Entwicklungsarbeit gibt es nun zählbare Erfolge, über die wir uns sehr freuen. Die Gewährung von Mietkostenzuschüssen an Praxisinhaberinnen und -inhaber könnte sich als Wendepunkt erweisen: Sie soll bestehende Arztpraxen und deren Kapazitätsausweitung sichern und neue Arztniederlassungen beziehungsweise die Anstellung zusätzlicher Medizinerinnen und Mediziner fördern. Im August gab es die Eröffnung einer Praxis der Kinder- und Jugendpsychiatrie in der Innenstadt. Darüber hinaus gibt es eine Praxisgemeinschaft, die im Oktober am Bahnhof eine psychotherapeutische Praxis für Erwachsene eröffnen möchte. Aufgrund des hohen Bedarfs auch in dieser großen Altersgruppe schaffen wir aktuell die Voraussetzungen für eine Unterstützung. Derzeit hospitieren darüber hinaus zwei junge Ärzte aus dem außereuropäischen Ausland in einer Hausarztpraxis. Zudem haben wir das MVZ in der ersten Jahreshälfte bei der Akquise einer Fachärztin für Allgemeinmedizin unterstützt.

Ebenso wichtig wie eine medizinische Versorgung ist eine gute Schulbildung. Der Neubau an der Bühlschule läuft, an anderen Stellen ist aber auch was zu erledigen: Eltern und jetzt auch Räte berichten von schlechten Bedingungen in der Lina-Hähnle-Schule, auch von Gestank. Ist das noch zumutbar?

Der laufende Neubau des Pavillons 6 an der Bühlschule ist die erste große Baumaßnahme unseres 2019 in der sogenannten „Phase Null“ beschlossenen Sanierungsplans. Unabhängig davon laufen immer wieder Renovierungsmaßnahmen an unseren Schulen – das darf man nicht vergessen. Gravierende Mängel, die den Schulbetrieb stören, beheben wir so schnell wie möglich – das Geruchsproblem in der Lina-Hähnle-Schule im kommenden Jahr. So erreichen wir einiges, aber nicht genug. Um wirksamer zu agieren, möchte ich dem Gemeinderat eine Kurskorrektur vorschlagen. Im Ergebnis stünden vor weiteren Neubaumaßnahmen in den kommenden beiden Jahren notwendige Sanierungen, unter anderem am Margarte-Steiff-Gymnasium und an der Lina-Hähnle-Schule.

Um wirksamer agieren zu können, möchte ich dem Gemeinderat bei den Schulen eine Kurskorrektur vorschlagen

Dieter Henle

Ist das finanziell denn machbar?

Ja, weil, wie vorhin angesprochen, die Investitionen ins neue Dienstleistungszentrum aufgrund der zweiten Ausschreibung mit Mehrfachbeauftragung später kommen, als wir ursprünglich gedacht haben.

Sind Prioritäten und Zeitpläne bei den Schulen noch richtig gesetzt?

Die Prioritäten sind richtig gesetzt. Das Ergebnis der OB-Wahl zeigt, meine ich, dass unsere Bürgerinnen und Bürger die strategische, tatsächlich gelebte und damit auf Jahre hinaus verlässliche Ausrichtung schätzen. Der Pavillon 6 der Bühlschule entsteht für 6,6 Millionen. Euro zweistöckig, barrierefrei, ohne Treppen und mit barrierefreien Sanitäranlagen. Mit Pavillon 5 mit einer Bausumme von 25 Millionen Euro ist das nächste Großprojekt bereits in Planung. Für die Lina-Hähnle-Schule stellen wir dem Gemeinderat im vierten Quartal die Machbarkeitsstudie vor.

Nicht nur bei Vorhaben in der Innenstadt und bei Schulen werden große Summen bewegt. Eine weitere Geldspritze wie die Grundstückerlöse vom GIP A7, dem neuen Industriepark an der Autobahn, ist aber nicht in Sicht. Wo kommt künftig das Geld für Neubauten bei Kindergarten, Dienstleistungszentrum und mehr her?

Geldspritzen wie die vom GIP A7 sind nicht die Regel, sondern ein Glücksfall. In den kommenden Jahren erhalten wir das nötige Geld durch konsequentes, vorausschauendes Fördermittelmanagement: Wir schöpfen alle Fördermöglichkeiten von Land, Bund und EU aus. Wir erwirtschaften in den Baugebieten Überschüsse, aus denen wir Folgeinvestitionen wie etwa einen Kindergarten im Neubaugebiet „Bruckersberg-Ost“ mitfinanzieren können. Wir nutzen weiterhin die Kraft privater Investoren, die sich von unserer Stadt etwas versprechen und die Entwicklung deshalb gerne mitgestalten.

Ich kann weiter sehr ruhig schlafen

Dieter Henle

Reicht das?

Womöglich lassen sich auch steuerliche Anpassungen nicht ganz vermeiden. Ich bin stolz, dass wir während meiner ersten Amtszeit die Hebesätze unverändert lassen konnten. Bei der Neufestsetzung der Grundsteuer haben wir lediglich eine Umschichtung im Sinne eines gleichbleibenden Steueraufkommens vorgenommen. Sofern vom Bund und dem Land nicht ausreichend Mittel an die Kommune fließen, obwohl wir mehr Aufgaben übernehmen, wird es wohl nicht für alle Zeit bei unveränderten Steuersätzen bleiben. Wir strengen uns aber an, dieses Mittel moderat einzusetzen.

Beim Thema Finanzen gibt es Stadträtinnen und Räte, die mahnend den Finger heben. Sind die zu vorsichtig?

Vorsicht ist immer geboten, wir wissen, wo wir in Giengen herkommen. Vorsicht darf uns aber nicht lähmen. Wir haben in den vergangenen acht Jahren bewiesen, wie solides Wirtschaften geht. Was aktuell in die öffentliche Diskussion gestreut wird, trägt im Übrigen nur den Mantel der Vorsicht. Ich möchte aus Gründen der Fairness hier nicht näher darauf eingehen, hoffe jedoch sehr, dass wir diese Phase des Umgangs miteinander überwinden. Ich möchte im Gemeinderat zu dem zurückkehren, was wir jahrelang erfolgreich praktiziert haben: eine überlegte, konsensbetonte, verlässliche Politik, die Entscheidungen sorgfältig vorbereitet und dann zu dem steht, was gemeinsam beschlossen wurde. Es gibt keinen Grund, an den getroffenen Entscheidungen zu zweifeln. Es werden sicherlich herausfordernde Zeiten werden. Aber im Hinblick darauf haben wir ja unsere Rücklagen aufgebaut. 13 Millionen Euro sind da schon ein Brett. Ich kann weiter sehr ruhig schlafen.

Amtseinsetzung am 7. Oktober

Der 50-jährige Dieter Henle wurde am 20. Juli zum zweiten Mal zu Giengens Oberbürgermeister gewählt. Auf ihn entfielen - ohne Gegenkandidaten - mehr als 98 Prozent der abgegebenen Stimmen. Zwei Amtszeiten eines Oberbürgermeisters in Folge gab es in Giengen bislang nicht. Obwohl es an der Spitze des Rathauses keinen Wechsel gab, gibt es dennoch eine offizielle Amtseinsetzung mit Beteiligung des Regierungspräsidiums. Die Einsetzung wird am 7. Oktober stattfinden.

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