Bereits seit über zwei Jahren ist die Dampflok 75 1118, aufgrund ihrer Herkunft auch liebevoll „die Badnerin“ genannt, auf der Lokalbahn Amstetten–Gerstetten aus dem Verkehr gezogen. Undichtigkeiten und Materialschäden am Kessel machten eine Pause nötig. Doch nächstes Frühjahr soll sie wieder fahren. Und die Chancen dafür stehen gut. Die Heidenheimer Zeitung hat die historische Lok während ihrer Auszeit in Amstetten besucht.
Doch von Anfang an: Aus den entdeckten Undichtigkeiten resultierte schließlich eine komplette Kesselaufarbeitung. Hierzu wurde der Kessel zu einer Spezialfirma nach Polen gebracht. Auch die Rohre, die dank guter Pflege bereits 17 Jahre gehalten hatten, wurden zur Erneuerung ausgebaut – ihre normale Lebensdauer liegt bei etwa acht bis zehn Jahren.
Jede Menge Technik und Geschichte hinter der Dampflok
So steht die „die Badnerin“, 1921 in Karlsruhe gebaut, mit über 100 Jahren auf dem Buckel und einer Menge Geschichte unter den Rädern, nun im Lokschuppen eines ehemaligen Bundeswehrdepots. Nahezu jeden Samstag wurde und wird hier noch immer daran gearbeitet, sie wieder fit zu machen, während ihr „Bräutigam“, der Kessel, in Polen aufgearbeitet wurde.
Die Menschen dahinter: Hans-Karl Kunhäuser und sein Team. Die Gruppe besteht aus völlig unterschiedlichen Mitgliedern, die alle dieselbe Leidenschaft für historische Eisenbahnen teilen. Manche sind in Rente, andere im Studium und wieder andere kommen aus der Metallverarbeitung. Viele haben auch eine Ausbildung zum Heizer oder Schaffner gemacht. Teilweise stammen sie nicht direkt aus der Region, sondern nehmen wöchentlich Anfahrten von bis zu 250 Kilometern in Kauf.

Kunhäuser selbst ist Vorstandsmitglied des Vereins und seit 1977 leidenschaftlicher Eisenbahnliebhaber. Erst fotografierte er Züge, später absolvierte er die Ausbildungen zum Dampflokheizer und -führer, und irgendwann gab er sein Wissen an andere Kollegen weiter. Mit inzwischen mehr als 40 Jahren Vereinszugehörigkeit ist er der dienstälteste Eisenbahnfan in der Runde.
„Für die Eisenbahn muss man ein Gefühl haben“, sagt er, „entweder man hat es oder man hat es nicht.“
„Eigentlich bin ich zweimal verheiratet“, lacht der gelernte Messerschmied. „Einmal mit meiner Frau natürlich und einmal mit der Leidenschaft für Dampfloks. Besonders in unser ‚badisches Mädchen‘ habe ich mich sofort verliebt.“ Im Team der ehrenamtlichen Eisenbahnfans weiß jeder genau, was zu tun ist. Saisonkräfte helfen zwar gelegentlich aus, aber im eingespielten Kernteam läuft vieles fast blind – und immer mit spürbarem Herzblut.
Eigentlich bin ich zweimal verheiratet. Einmal mit meiner Frau und einmal mit der Leidenschaft für Dampfloks.
Hans-Karl Kunhäuser, seit 1977 Eisenbahnfan aus Passion
Nach ihrer Inbetriebnahme war 75 1118 viele Jahre im badischen Schienennetz unterwegs. Ganze 90 km/h bringt sie auf den Tacho. Nachdem sie später einige Zeit betriebsunfähig als Museumsbahn gedient hatte, kam sie in den 1980er-Jahren schließlich zur Lokalbahn Amstetten-Gerstetten. Seit 1994 darf sie unter bestimmten Voraussetzungen, wie für Sonder- und Museumsfahrten, auch auf Strecken der Deutschen Bahn fahren.
So wird die „alte Dame“, wie die Museumsbahn ebenfalls genannt wird, beispielsweise zu Dampfloktagen auch über die Stammstrecke hinaus ausgefahren. Das sei das Schönste an der „Droge Dampf“, wie Kunhäuser sie nennt: Sie bestehe zu 80 Prozent aus „Herumschrauben“. Die anderen 20 Prozent, das Fahren auf wunderschönen Strecken, seien der verdiente Lohn für all die harte Arbeit.
Die UEF Lokalbahn Amstetten-Gerstetten ist eine von vier Sektionen der Ulmer Eisenbahnfreunde, die sich seit ihrer Gründung 1971 der betriebsfähigen Erhaltung historischen Eisenbahnmaterials verschrieben haben. Der Museumsbahnverkehr zwischen Amstetten und Gerstetten wurde 1982 aufgenommen, auch als eine Reaktion auf das Dampflok-Verbot der Deutschen Bundesbahn 1977. Eine eigenständige UEF-Sektion für die Lokalbahn Amstetten-Gerstetten entstand dann 1999.
Der Verein kümmert sich um die gesamte, 20 Kilometer lange Strecke und die dazugehörigen Fahrzeuge. Alle Aufgaben, vom Zugbegleiter über den geprüften Lokführer bis zu Reparatur-, Wartungs- und Restaurierungsarbeiten, werden komplett ehrenamtlich gestemmt.

Die sogenannte „Hochzeit“, also die Wiedervereinigung des Kessels mit dem Fahrgestell, wurde bereits am 2. September dieses Jahres gefeiert. Damit ist die Lok zumindest wieder fast komplett. Ein Großteil wurde also erneuert, während der Kessel zur Reparatur war. Nun muss demnächst noch das Führerhaus repariert, verladen und wieder montiert sowie die Rohrleitungen und Armaturen angebracht werden.
Beim Zerlegen der Dampflok musste penibel darauf geachtet werden, dass das „Puzzle“ später wieder exakt so zusammengesetzt werden kann und jedes Teil wieder an seinen Platz findet. „Ich kenne jede Schraube, wenn’s sein muss mit Vornamen, von unserem ‚badischen Mädchen‘“, sagt Kunhäuser. Trotzdem war ein akribisches Beschriften jedes noch so kleinen Teils beim Auseinanderbau unumgänglich.

Auch das Gelände selbst in Amstetten hat eine besondere Geschichte. Das ehemalige Bundeswehrdepot ist seit rund zehn Jahren im Besitz des Eisenbahnvereins, doch im Lokschuppen wird schon seit den 1980er-Jahren getüftelt. Kein Wunder, dass die Lok damals scherzhaft als „die Bestbewachteste in Deutschland“ galt. Zugang gab es nur nach Anmeldung und unter Kontrolle. Die Halle war seit jeher als Lokschuppen vorgesehen, wie die Schienen zeigen, die direkt hineinführen. Auf dem Gelände steht zudem ein alter Begleitwagen aus den 1920er-Jahren, in dem die Vereinsmitglieder gemeinsam vespern, sich aufhalten und bei Bedarf übernachten können.
Vom Lokführer bis zur Reparatur passiert alles ehrenamtlich
Die Kosten für die Aufarbeitung der Museumsbahn sind enorm. Für Kessel und „Hochzeit“ fielen rund 150.000 Euro an, hinzu kommt die Aufarbeitung der Rohre. Würde man zusätzlich die Eigenleistung der Ehrenamtlichen mit einem Stundenlohn bewerten, läge der Wert bei geschätzt 170.000 bis 180.000 Euro. Dabei wäre dieser noch unter dem gesetzlichen Mindestlohn angesetzt. Ein neuer Dampfkessel würde heute bis zu einer halben Million Euro kosten, erklärt Kunhäuser.
Fördermittel oder Unterstützung gibt es kaum. Das Projekt lebt von den Einnahmen der Fahrkarten, von Spenden und vom freiwilligen Einsatz des engagierten Teams. Im Jahr 2026 feiert die Lokalbahn ihr 120-jähriges Jubiläum. Ein idealer Anlass, dass die 75 1118 im Frühling nächsten Jahres endlich wieder Fahrt aufnehmen kann.
Die Lokalbahn Amstetten-Gerstetten
Die Lokalbahn Amstetten-Gerstetten ist eine rund 20 Kilometer lange Nebenbahn, auf der historische Züge wie die Museumsbahn noch heute von Ehrenamtlichen betrieben werden. In den Monaten Mai bis Oktober können Besucher und Besucherinnen hier eine Fahrt mit den historischen Bahnen unternehmen. Mehr Informationen, Termine und Preise gibt es auch unter lokalbahn-lag.de.

