Zwei Stunden und ein Bier, länger sollte eine Vorstellung im Heidenheimer Naturtheater nicht dauern. Dieses Credo, zunächst noch voller Überzeugung am Freitagabend auf der Freilichtbühne ausgesprochen, sorgte zwar für einige Lacher, wurde an jenem Abend jedoch selbst nicht so genau eingehalten – vielmehr waren es knapp eineinhalb Stunden und wohl einige Biere mehr.
Was nicht weiter verwundert, denn die Aufführung der Produktion „. . . und einig wollen wir handeln“ zum Auftakt der Festwoche fand in fast schon familiärer Atmosphäre statt – und da gehört beim Naturtheater das gesellige Beisammensein nach der Vorstellung einfach dazu. Dass am Freitagabend etliche Plätze leer geblieben waren und die restlichen zum Großteil mit Vereinsmitgliedern oder dem Verein zugetanen Besuchern belegt waren, mag wohl unter anderem auch an dem etwas sperrigen Titel liegen, den Regisseur Oliver von Fürich seiner durchaus gelungenen Mischung aus Schauspiel, Erzählung und Video gegeben hat.
„. . . und einig wollen wir handeln“: Was wie eine Parole im Programmheft steht, lässt tatsächlich erst einmal wenig Rückschlüsse auf den Inhalt zu. Und auch noch die ersten Minuten des Stückes gestalten sich als etwas sperrig; oder besser: etwas schwierig, was die Einordnung dessen anbelangt, was dort oben auf der Bühne passiert.
Video, Erzählung, Schauspiel
Ein Dieter Junginger, der per Videoeinspielung wissen lässt, dass er 1954 das Pause-Schild getragen hat; ein Oliver von Fürich, der zugibt, wegen des Naturtheaters das Abi versemmelt zu haben; ein Rudi Neidlein, der von 1960 bis 1981 mit dabei war und besonders vom schwäbischen Autor Paul Wanner inspiriert wurde – und dann plötzlich Marianne Teicher, gefühlt seit eh und je im Naturtheater, die live auf der Bühne steht und erzählt. Und wie sie erzählt: Ganz ohne Mikrofon („Wir sind die Generation, die noch gelernt hat, laut zu sprechen!“) und voller Emotionen, wenn sie an die vergangenen 67 Jahre denkt, in denen sie im Theater auf dem Schlossberg nicht nur einen Ort der Freizeitgestaltung, sondern auch eine zweite Heimat gefunden hat.
Und dann, als drittes und letztes Element, kommt der „Tell“. Beziehungsweise, es kommen sieben Darstellerinnen von der Zuschauertribüne auf die etwas kleinere Vorbühne, die extra für die Festwoche aufgestellt wurde, und versammeln sich um das mit weißen Kisten angedeutete Lagerfeuer. Wer nun die Geschichte des Naturtheaters kennt oder zumindest aufmerksam verfolgt, dem dürfte diese Szene bekannt vorkommen: Ganze sechs Mal wurde Schillers „Wilhelm Tell“ im Laufe der vergangenen 100 Jahre aufgeführt, ganze sechs Mal also ging der sogenannte „Rütli-Schwur“ schon über die Bühne.
Vereinsgeschichte auf der Bühne
„Wir sind ein Volk, und einig wollen wir handeln!“ Als Walther Fürst, Werner Stauffacher, Arnold von Melchtal und Co. gerade im Begriff sind, ihre Schwerter gemeinsam zu erheben, wird die Vorstellung jäh unterbrochen. „Moment mal, woher wissen wir denn, ob das so stimmt? Ob die das 1924 tatsächlich so aufgeführt haben?“
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Der „Tell“ kommt dabei vor allem deshalb ins Spiel, weil mit ihm 1924 die Freilichtbühne eingeweiht wurde. Schillers Schauspiel bildet also nicht nur eine Klammer um die lange Vereinsgeschichte des Naturtheaters, sondern wird auch gekonnt zwischen die Zeitzeugen-Erzählungen und Videoeinspielungen in von Fürichs Produktion gewebt.
Anekdoten und Zwischenmenschliches
Den Reaktionen des Publikums nach zu schließen haben die Verantwortlichen genau diejenigen Anekdoten herausgepickt, an die sich viele noch selbst erinnern können oder die zumindest vereinsintern überliefert wurden: Es geht um ehemalige und aktuelle Mitglieder, um witzige und dramatische Vorfälle, um Zwischenmenschliches und um Höhepunkte
Letztere bot der Freitagabend einige: Sei es der „Tell“-Song von Oliver von Fürich und Stephanie Seifert, das Zusammenspiel von Licht und Ton beim Wechsel zwischen Live-Erzählung, Video und Spiel, das charmante Soufflieren, wenn die Erzählung mal ins Stocken gerät oder die vier Pferde des Reitervereins Heidenheim, die in Anlehnung an frühere, tierreiche Zeiten vor den Zuschauern auf und ab traben.
Besonders gelungen war der Abschluss des Abends, der zeigte, dass man trotz aller Historie das Hier und Jetzt und vor allem die Zukunft nicht vergessen hat: „Wir sind hier und hören Euch, also hört auch uns!“, so der ernste Appell der Theater-Jugend, die ihre ganz eigene Interpretation des Rütli-Schwurs zum Besten gab und ganz nebenbei wohl das Patentrezept des langjährigen Vereinsbestehens verraten hat: Respekt und Verständnis.
Heidenheim
Programm der Festwoche
Die Produktion „. . . und einig wollen wir handeln“ wurde ausschließlich zum Auftakt der Festwoche im Naturtheater gezeigt.
Weiter geht es am heutigen Dienstag, 16. Juli, um 20 Uhr mit einem „Wortgewitter“: Sieben Poetry-Slammer treten auf der Freilichtbühne auf. Am Mittwoch, 17. Juli, folgt um 20 Uhr die „Musical Night“ und am Donnerstag, 18. Juli, ebenfalls um 20 Uhr die Kleinkunst-Gala. „Herr Stumpfes Zieh & Zupf Kapelle“ und „Fools Garden“ spielen am Freitag, 19. Juli, um 20 Uhr, bevor am Samstag, 20. Juli, um 20 Uhr das Tournee-Theater „Du bist in Ordnung, Charlie Brown“ gezeigt wird. Den Abschluss bilden am Sonntag, 21. Juli, um 20 Uhr die Bands „Erpfenbrass“ und „Viera Blech“.