Gesundheit

Weniger Todesfälle bei Behandlungen nur in Spezialkliniken

Bei komplizierten Eingriffen und bedrohlichen Fällen sind Patienten und Patientinnen auf eine möglichst gute Versorgung im Krankenhaus angewiesen - aber ist das nächstgelegene dafür auch das beste?

Weniger Todesfälle bei Behandlungen nur in Spezialkliniken

Tausende Todesfälle wegen Schlaganfällen und Krebs könnten laut einer Analyse vermeidbar sein, wenn die komplexen Behandlungen dafür nur in spezialisierten Kliniken gemacht werden. Eine Konzentration mit Mindestvoraussetzungen bei der Qualität biete «erhebliche Potenziale» für bessere Ergebnisse, heißt es in einem am Donnerstag vorgelegten Bericht einer Regierungskommission, die das Bundesgesundheitsministerium berät.

Wegen der hohen Krankenhausdichte seien auch «keine wesentlichen Einschränkungen» der Erreichbarkeit in Kauf zu nehmen. Minister Karl Lauterbach (SPD) warb für eine Reform, die auf mehr Spezialisierung zielt. Von den Kliniken kam Kritik.

Kern der Krankenhausreform

«Qualität rettet Leben», sagte Lauterbach in Berlin. Die Ergebnisse der Analyse bestätigten damit den Kern der vorgesehenen Krankenhausreform. «Wir brauchen eine gute und schnell erreichbare Grundversorgung. Aber nicht jedes Haus muss auch jede medizinische Behandlung anbieten.» Komplizierte Eingriffe sollten ausschließlich in spezialisierten Kliniken durch sehr gut qualifizierte Mediziner vorgenommen werden. Im Gegenzug müssten die Kliniken gut bezahlt werden. Die Reform könne so zehntausende Leben pro Jahr retten, besonders bei der Versorgung von Krebs- und Herz-Kreislauf-Patienten.

Konkret gebe es das Potenzial, bei elf untersuchten Krebsarten jährlich mehr als 20.000 Lebensjahre zu retten, wenn alle Patienten in zertifizierten Krebszentren behandelt würden, heißt es in dem Kommissionsbericht. Bisher würden je nach Krebsart zwischen 35 und 84 Prozent der Patientinnen und Patienten in Zentren mit besonders viel Erfahrung behandelt. Wären nur noch diese zur Krebsbehandlung zugelassen, würde bei Darm-, Brust- und Prostatakrebs die mittlere Erreichbarkeit unter oder um 20 Minuten liegen. Das wäre «unverändert exzellent» im Vergleich zu europäischen Nachbarländern, heißt es in der Analyse, über die zunächst die «Süddeutsche Zeitung» berichtete.

Bei Schlaganfällen besteht demnach das Potenzial, dass jährlich knapp 5000 Menschen mehr im ersten Jahr nach einem Schlaganfall überleben können – wenn alle Patienten in Kliniken mit Spezialabteilungen für eine schnelle Versorgung (Stroke Unit) kämen. Im Jahr 2021 gab es bundesweit 328 Standorte mit Spezialstationen, aber auch 1049 andere Kliniken behandelten Schlaganfälle. Dabei ist anders als bei Krebs eine schnelle Erreichbarkeit wichtig, wie die Experten erläutern. Bezogen auf alle 1377 Schlaganfall-Standorte lag die Anfahrtszeit nun im Schnitt bei 21,6 Minuten – bei einer Konzentration nur auf die 328 Spezialstandorte würde sie sich auf 23,4 Minuten verlängern.

Abgeschätzt wurden auch die wahrscheinlichen Erfolgsaussichten beim Einsatz künstlicher Gelenke. Würden nur Spezialkliniken Hüften ersetzen, könnten demnach pro Jahr 397 erneute Operationen unnötig werden. Die Berechnungen beruhen den Angaben zufolge auf Daten der gesetzlichen Krankenkassen, Qualitätsberichten der Krankenhäuser, medizinischen Registern und Fachgesellschaften. Auch Analysen der Kassen zeigten schon Vorteile von Spezialisierungen.

Der Leiter der Expertenkommission, Tom Bschor, erläuterte, dass im jetzigen System Patienten mit Schlaganfall und Krebs «früher sterben als nötig, weil zu viele Krankenhäuser diese Behandlungen durchführen». Deutschland habe mit seiner «einzigartig hohe Dichte an Krankenhäusern» ideale Voraussetzungen, auch mit einer Konzentration auf erfahrene Kliniken engmaschig exzellente Versorgung anzubieten.

Lauterbach strebt über den Sommer konkretere Vorschläge für die Reform an. Die auch auf Empfehlungen der Kommission zurückgehenden Gesetzespläne sehen bundeseinheitliche Qualitätskriterien und genauer definierte Leistungsbereiche der Krankenhäuser mit entsprechender Finanzierung vor. Zudem soll das Vergütungssystem mit Pauschalen für Behandlungsfälle geändert werden, um den Finanzdruck zu verringern.

Kritik von der Deutschen Krankenhausgesellschaft

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft kritisierte die Berechnungen scharf. Die «bestellte» und «wissenschaftlich zweifelhafte» Analyse auf Basis von Kassen-Abrechnungsdaten verunsichere die Bevölkerung. Bei älteren Patienten würden Schlaganfälle oft nicht früh als solche erkannt. Leider hätten gerade diese Patienten dann eine schlechtere Prognose und eine höhere Sterblichkeit. Daraus einen Zusammenhang zur Behandlungsqualität der Krankenhäuser zu ziehen, sei «völlig absurd».

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) nannte die Studie einseitig. Er fürchte, dass sie als Vorwand genutzt werde, kleinere Krankenhäuser über einen Kamm zu scheren, um sie im Leistungsspektrum zu beschneiden oder zur Schließung zu veranlassen. Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte, hinter der Statistik versteckten sich viele Einzelschicksale. Die Zahlen ließen Menschen zweifeln, ob Ort und Behandlung für den Verlauf einer Krankheit und einer Lebenskrise ursächlich gewesen seien. Es müsse schon heute gesichert sein, dass leitliniengerecht behandelt werde.

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen erklärte: «Schlechte Gelegenheitsversorgung hilft niemandem, sondern kann das Leben kranker Menschen noch gefährden.» Daher seien bundesweite Qualitätsvorgaben der richtige Weg, um mehr spezialisierte Kliniken in die Versorgung zu bekommen. Der Sozialverband VdK teilte mit, für Notfälle, Geburten und einfache Operationen müsse es weiter ein schnell erreichbares Krankenhaus geben. Für planbare und komplizierte Eingriffe sei ein spezialisiertes Krankenhaus aber besser. «Die nächst gelegene Klinik sollte dann nur die zweite Wahl sein.»