Symbolische Klatsche im Parlament für Boris Johnson
Das britische Parlament hält den ehemaligen Premierminister Boris Johnson für einen Lügner. Das Unterhaus stimmte in London mit überwältigender Mehrheit dafür, entsprechende Schlussfolgerungen eines Parlamentsausschusses zu den Aussagen des damaligen Regierungschefs in der «Partygate»-Affäre anzuerkennen. Nur sieben Abgeordnete von Johnsons konservativer Partei votierten gegen den Entschluss, aber 118 dafür. Die Mehrheit der 352 Abgeordneten starken Tory-Fraktion enthielt sich – darunter Premier Rishi Sunak und die meisten prominenten Kabinettsmitglieder.
Insgesamt stimmten 354 Abgeordnete zu, das House of Commons hat 650 Sitze. Das Votum gilt als symbolisch und hat kaum direkte Auswirkungen, weil Johnson sein Mandat bereits zuvor niedergelegt hatte.
Die Opposition warf Regierungschef Sunak, der von Johnsons Anhängern für dessen Aus verantwortlich gemacht wird, Führungsschwäche vor. «Sunak hat Integrität versprochen, doch als es hart auf hart kam, war er zu schwach, um überhaupt aufzutauchen», kritisierte die Vize-Fraktionschefin der Liberaldemokraten, Daisy Cooper. Sunak hatte sich öffentlich nicht auf eine Entscheidung festlegen wollen und dies damit entschuldigt, er wolle das Votum nicht beeinflussen.
Johnson ist in der Partei weiterhin beliebt
Der mehrheitlich konservativ besetzte Parlamentsausschuss war in seinem Bericht zu dem Schluss gekommen, dass der damalige Premier das Unterhaus in der «Partygate»-Affäre über verbotene Feiern während der Corona-Pandemie wiederholt belogen habe. Der empfohlenen 90-tägigen Suspendierung aus dem Parlament kam Johnson, der am Tag der Debatte 59 Jahre alt wurde, zuvor, indem er sein Mandat niederlegte. Das Unterhaus entzog ihm mit der Abstimmung aber den Parlamentspass, der ehemaligen Abgeordneten eigentlich zusteht. Johnson hatte den Bericht kritisiert und die Ausschuss-Mitglieder beleidigt.
Umfragen zufolge ist Johnson an der konservativen Parteibasis weiterhin beliebter als Sunak. Viele Tory-Mitglieder halten den Populisten für einen begnadeten Wahlkämpfer, ohne den die Partei bei der für 2024 geplanten Parlamentswahl keine Chance habe. Wegen des Rücktritts von Johnson und drei anderen Tories aus dem Unterhaus kommt es bereits in wenigen Wochen in diesen Wahlkreisen zu Nachwahlen. Sollten die Konservativen – wie Umfragen nahelegen – die Mandate verlieren, dürfte der Druck auf Sunak weiter steigen.
Johnson hat bereits deutlich gemacht, dass er seine politische Karriere nicht für beendet hält. «Winston Churchill ist erst mit 65 Jahren Premierminister geworden», soll er Vertrauten nach Informationen der Zeitung «Sunday Times» mit Verweis auf sein großes Vorbild wiederholt gesagt haben. Spekuliert wird, dass Johnson versuchen könnte, sich in einem anderen Wahlkreis für 2024 aufstellen zu lassen – gegen Sunaks Willen. Würde er dann erneut ins Unterhaus gewählt, erhielte er auch seinen Parlamentspass zurück.
Sunak hat mit anderen Problemen zu kämpfen
Zunächst dürfte der Ex-Premier den amtierenden Regierungschef mit lautstarken Wortmeldungen von der Seitenlinie piesacken. Nur kurz nach seinem Rückzug aus dem Parlament teilte die konservative Boulevardzeitung «Daily Mail» mit, dass Johnson künftig als Kolumnist schreiben werde. Berichten zufolge kassiert der Politiker dafür eine Million Pfund (1,17 Mio Euro) im Jahr. In seinem ersten Beitrag am vergangenen Samstag diskutierte Johnson die Wirkung eines «Wundermittels» zum Gewichtsverlust, das seinen Angaben zufolge auch von Kabinettsmitgliedern genutzt werde.
Premier Sunak dürfte nach Ansicht von Beobachtern nun darauf hoffen, dass mit der Abstimmung ein Schlussstrich unter die langwierige «Partygate»-Debatte gezogen wird. Angesichts des maroden Gesundheitsdiensts NHS und der Krise um wachsende Lebenskosten wegen hoher Inflation und steigender Hypothekenzinsen warten zahlreiche Probleme auf den Regierungschef.
Doch die Folgen der skandalumwitterten Johnson-Jahre dürften Sunak weiter verfolgen. So kamen zuletzt Forderungen auf, er solle zwei Vorschläge Johnsons für Beförderungen nachträglich ablehnen. Ein am Wochenende veröffentlichtes Video zeigt, wie Mitarbeiter von Shaun Bailey, dem damaligen konservativen Bürgermeister-Kandidaten für London, bei einer Lockdown-Party die Corona-Regeln brachen. Bailey soll auf Johnsons Wunsch hin Mitglied im Oberhaus werden. Ein Mann, der auf dem Video zu sehen ist, soll einen prestigeträchtigen Ehrentitel erhalten.