«Stoß in den Rücken» - Putin bricht mit Wagner-Chef Putin
Mitten in seinem chaotischen Krieg gegen die Ukraine muss sich Russlands Präsident Wladimir Putin nun auch im eigenen Land einem beispiellosen Machtkampf stellen. Nach mehr als 23 Jahren an der Macht spricht er von «Verrat» und einem «Stoß in den Rücken» durch den Aufstand der Privatarmee Wagner von Jewgeni Prigoschin.
Putin nannte in einer Fernsehansprache keine Namen. Auch so weiß jeder, wer gemeint ist: der Ex-Vertraute Prigoschin, dessen Söldner einst in Afrika, Syrien und eben auch in der Ukraine wichtige Erfolge für den Kreml verbuchten. Diese Zeiten dürften vorbei sein.
Der mit einer vollwertigen Armee samt Panzern und Flugzeugen ausgestattete Prigoschin ist nach langer, scharfer Kritik an der Militärführung nun offen zum Kampf übergegangen. Mit seinen Leuten hat er nach eigenen Angaben Militäreinrichtungen in der Millionenstadt Rostow am Don besetzt, auch einen Flugplatz. Sein Ziel sei Moskau, sagt er selbstbewusst. Aber auch öffentlich bricht er nun erstmals mit Putin, dem er unlängst erst noch die Treue schwor und «meinen Oberbefehlshaber» nannte.
Prigoschin galt stets als unantastbar
Nun aber wirft der 62-Jährige dem Kremlchef eine grobe Fehleinschätzung der Lage vor. Der Präsident irre sich schwer, wenn er Wagner-Leute, die bei den Kämpfen ihr Leben geben, als «Verräter» bezeichne. «Wir wollen nicht, dass das Land weiter in Korruption, Betrug und Bürokratie lebt», sagt Prigoschin zu seinen Motiven. Allerdings hat er selbst seit Jahrzehnten gerade von diesem System profitiert und vom Kreml Milliardenaufträge erhalten. Prigoschin galt stets als der Unantastbare – auch wegen seiner Nähe zu Putin.
Zwar zog er sich zuletzt öffentliche Kritik wegen seiner Schmähreden gegen Verteidigungsminister Sergej Schoigu und Generalstabschef Waleri Gerassimow zu. All das blieb ohne Folgen. Bis jetzt. Schoigu will derzeit die rund 40 Freiwilligenverbände in Russland unter seinen Befehl bringen. Prigoschin lehnt das ab – und kündigte Widerstand an. «Jetzt läuft eine Demontage von Wagner», schrieb die Politologin Tatjana Stanowaja am Samstag in ihrem Telegram-Kanal. «Das Ende von Prigoschin ist auch das Ende von Wagner.»
Prigoschin selbst hatte sich immer wieder beklagt, dass seine Kämpfer nicht genug Munition und Ausrüstung vom Verteidigungsministerium erhielten. Er erklärte sich das selbst damit, dass die Militärführung Angst habe, dass er damit am Ende auch die Macht in Moskau übernehmen wolle. Das bestritt er stets. Aber Putins Rede, die Militärfahrzeuge im Zentrum der Hauptstadt und die Ausrufung des Anti-Terror-Notstands in Moskau und Umgebung zeigen, wie groß die Angst im Kreml vor einem Umsturz oder einer gewaltsamen Machtübernahme ist.
August-Putsch 1991 unvergessen
Unvergessen ist in Moskau der August-Putsch 1991, als sich Teile der Militärs auflehnten. Die Bilder des damaligen Präsidenten Boris Jelzin auf einem Panzer gingen um die Welt. Es gehört zu den Reflexen des Kremls, solch eine Gefahr nicht wieder zuzulassen. Zu Gerüchten, wonach Putin die Stadt schon verlassen haben soll, möglicherweise Richtung St. Petersburg, sagte sein Sprecher Dmitri Peskow am Samstag, der Präsident arbeite im Kreml.
Politische Beobachter sehen trotz der durch den Krieg gegen die Ukraine geschwächten Armee keine Chancen für Prigoschin, Putin die Macht zu entreißen. Zwar hieß es in einigen Kommentaren – etwa auch aus Kiew -, die russische Elite werde sich jetzt für die eine oder andere Seite entscheiden müssen. Allerdings hat Prigoschin nach allem, was bekannt ist, im Machtapparat selbst keine einflussreichen Verbündeten. Auch die meisten seiner Initiativen von Strafanzeigen gegen Vertreter des Machtapparats blieben unberücksichtigt.
Auch der von ihm sehr geschätzte Vize-Generalstabschef Sergej Surowikin wandte sich per Videobotschaft von ihm ab. Prigoschin genießt vor allem Ansehen in Kreisen von Ultranationalisten und Kriegspropagandisten. Er hat einen guten Draht zu Kriegsreportern, die wie er selbst stets deutlich mehr Einsatz Russlands im Krieg fordern. Doch beklagte er sich zuletzt auch, dass die Staatsmedien ihn nicht mehr erwähnten. Der Kreml kontrolliert auch die Medien in Russland.
Präsidentenamt in Moskau und Verteidigungsministerium lehnen solche Forderungen etwa nach Verhängung des Kriegsrechts oder neuen Mobilmachungen bisher ab. Die Ressourcen für den Kampf gegen die Ukraine seien ausreichend, auch so. Doch vor allem verliert Putin nun einen seinen wichtigsten Trümpfe im Krieg, weil Wagner nicht zuletzt doch größere Gebiete erobert hatte. Auch auf dem afrikanischen Kontinent galt der Wagner-Chef als Putins «Mann fürs Grobe», stets bei Machtkämpfen in einzelnen Ländern vorn mit dabei.
Prigoschin lehnte Legalisierung Wagners ab
Viele im Machtapparat störten sich zunehmend daran, dass Prigoschin immer wieder Interna auspackte, darüber klagte, dass im Verteidigungsministerium gestohlen werde, das Geld nicht bei den Soldaten ankomme. Auch Putin sah sich genötigt, sich mit den sonst Prigoschin gewogenen Kriegsreportern selbst zu treffen und sich zu erklären. Dabei zeichnete sich ab, was den Wagner-Chef nun zum Aufstand getrieben haben dürfte. Der Kremlchef forderte eine Initiative, die privaten russischen Militärfirmen und damit auch Wagner zu legalisieren. Auch das lehnte Prigoschin stets ab – weil er meinte, es sei gut, sich in einem rechtsfreien Raum zu bewegen.
In seiner Rede legte Putin nun nach und verlangte, dass die Drahtzieher des Aufstandes ihrer «unausweichlichen Strafe» zugeführt werden sollten. Dafür habe er den Streitkräften den Befehl gegeben. Die Staatsagentur Ria Nowosti schrieb von einem Befehl zur «Neutralisierung», also zur Ausschaltung der aufständischen Wagner-Leute. Das war aber eine Interpretation. Putin selbst benutzte das Wort «Neutralisierung» nicht.