Polen fordert bei EU-Gipfel Überarbeitung der Asylreform
Polen hat beim EU-Gipfel eine Überarbeitung der Pläne für eine Asylreform gefordert. Das Land verlangte damit in Brüssel, eine Entscheidung der EU-Innenminister von Anfang Juni rückgängig zu machen. Diese sieht vor, dass die Aufnahme von Flüchtlingen künftig nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein soll. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, würden zu Ausgleichszahlungen gezwungen.
Polen forderte nun, dass jedes EU-Land selbst darüber entscheiden sollte, wie es Länder mit besonders hohen Migrationszahlen unterstützt. Die Aufnahme von Schutzsuchenden sollte freiwillig sein, heißt es in einem Textvorschlag für die Abschlusserklärung des EU-Gipfels, der der Deutschen Presse-Agentur vorlag.
Die polnische Regierung stellte sich zudem auf den Standpunkt, dass in der Migrationspolitik nur noch nach dem Konsensprinzip entschieden werden sollte. Dies würde bedeuten, dass Beschlüsse nicht mehr per Mehrheitsentscheidung getroffen werden könnten, sondern nur noch dann, wenn es keine Gegenstimmen gibt.
Scholz gibt sich unbeeindruckt
Bundeskanzler Olaf Scholz hatte sich zuvor unbeeindruckt von der polnischen und ungarischen Kritik an den Plänen für eine weitreichende Asylreform gezeigt. Der von den Innenministerinnen und Innenministern vor knapp drei Wochen vereinbarte Solidaritätsmechanismus sei ein großer Durchbruch und etwas, das man schon lange zuvor gebraucht hätte, sagte der SPD-Politiker am Donnerstag am Rande der Beratungen.
Er bedeute, dass die Staaten an den Außengrenzen der EU einen Beitrag leisten müssten, indem sie die Ankommenden registrierten und ihnen die Möglichkeit gäben, Asylanträge zu stellen. Gleichzeitig müssten andere Staaten für einen Teil der Flüchtlinge Verantwortung übernehmen, damit die Last nicht allein bei den Grenzstaaten bleibe.
Den Plänen zufolge soll die Aufnahme von Flüchtlingen künftig nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein. Länder, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, würden zu Ausgleichszahlungen gezwungen. Zugleich sind zahlreiche Ergänzungen und Verschärfungen der aktuellen Regeln geplant, um illegale Migration zu begrenzen.
Dazu gehört insbesondere ein deutlich härterer Umgang mit Menschen aus Ländern, die als relativ sicher gelten. Sie sollen künftig nach einem Grenzübertritt unter haftähnlichen Bedingungen in streng kontrollierte Aufnahmeeinrichtungen kommen. Dort würde dann im Normalfall innerhalb von zwölf Wochen geprüft, ob sie Chancen auf Asyl haben. Wenn nicht, sollen sie umgehend zurückgeschickt werden.
Polen kündigt Veto an
Polen und Ungarn äußerten scharfe Kritik an dem Vorhaben. Vor seiner Abreise nach Brüssel kündigte der polnische Regierungschef Mateusz Morawiecki an, dass er ein Veto gegen den Solidaritätsmechanismus einlegen werde. «Die PiS-Regierung wird mit Sicherheit keinen Experimenten und keiner Erpressung in Bezug auf die Aufnahme illegaler Einwanderer zustimmen», sagte er.
Die Grenzen nicht wirksam zu schützen sei ein Fehler, der das Überleben der EU bedrohe. «Unser Volk, unsere Bürger, die Europäer werden für diesen Fehler bezahlen», sagte er. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hatte sich zuletzt mehrfach ähnlich geäußert.
Wie Polen ein Veto gegen die Asyl-Pläne einlegen will, blieb zunächst unklar, da Entscheidungen im Bereich der EU-Migrationspolitik nach EU-Rechtsauffassung nicht einstimmig getroffen werden müssen. Denkbar wäre allerdings, dass Ungarn und Polen aus Protest andere Entscheidungen oder Erklärungen blockieren, bei denen einstimmige Beschlüsse erforderlich sind. Bei EU-Gipfeln zum Beispiel ist Einstimmigkeit immer erforderlich.
Zu den Plänen für die Asylreform sollen in Kürze Verhandlungen mit dem Europaparlament beginnen. Ziel ist es, sie noch vor der Europawahl im kommenden Juni zu beschließen.
Appell an die Menschlichkeit
Die Präsidentin des Europaparlaments, Roberta Metsola, appellierte mit Blick auf die anhaltende generelle Debatte zur Migration in der EU an die Menschlichkeit. Kein Mann, keine Frau und kein Kind solle bei dem Versuch, Europa zu erreichen in europäischen Gewässern sterben. «Das muss der absolute Punkt sein, den wir nie vergessen, wenn wir über Zahlen sprechen, denn wir neigen dazu, desensibilisiert zu werden, wenn die Zahlen größer werden», sagte sie. Metsola antworte damit auf eine Frage, wo angesichts zahlreicher verheerender Bootsunglücke und Gewalt, denen Migranten teils ausgesetzt seien, das Menschenrecht bleibe.
Der Internationalen Organisation für Migration (IOM) zufolge starben beim Weg über das Mittelmeer 2022 knapp 2400 Menschen auf der Flucht. Zuletzt erschütterte vor rund zwei Wochen ein Schiffsunglück vor der Küste Griechenlands. Bei ihm etranken Hunderte Migranten, die von Libyen nach Italien übersetzen wollten.
Schwierige Gespräche wurden auf dem zweitägigen EU-Gipfel auch zur geplanten stärkeren Zusammenarbeit mit Tunesien in der Migrationspolitik erwartet. Es gibt nach Angaben von Diplomaten vor allem in Italien Unmut darüber, dass Länder wie Deutschland geplante Finanzhilfen für den Staat in Nordafrika an strenge Bedingungen knüpfen wollen. Rom befürchtet demnach, dass Tunesien bei zu strengen Auflagen nicht zu mehr Hilfe im Kampf gegen illegale Migration bereit sein könnte. Relevant ist die Zusammenarbeit mit Tunesien, weil der Staat derzeit sowohl ein bedeutendes Herkunfts- als auch ein bedeutendes Transitland für unerwünschte Migration über das Mittelmeer in die EU ist.