Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat zwei Wochen nach Beginn der ukrainischen Offensive Fortschritte an der Front gelobt. «Im Süden sind wir in der Vorwärtsbewegung», sagte er gestern in seiner täglichen Videoansprache. Er räumte zwar schwere Kämpfe ein, doch überall – auch im Osten, wo die ukrainischen Truppen in der Defensive seien – werde der Feind vernichtet, meinte er. Erst kurz zuvor hatte der ukrainische Staatschef die Erwartungen der Öffentlichkeit an die Offensive noch gedämpft.
So räumte er in einem gestern ausgestrahlten Interview der BBC ein, dass die Offensive «langsamer als gewünscht» vorankomme. Die geringen Geländegewinne führte Selenskyj auch auf die weiträumige Verminung des Geländes durch russische Truppen zurück. Daher sei ein vorsichtiges Vorgehen notwendig, um das Leben der Soldaten nicht unnötig zu gefährden.
In seiner abendlichen Videobotschaft verkündete Selenskyj hingegen vor allem positive Nachrichten. Neben den nicht näher benannten Fortschritten an der Front ging der Präsident auch auf die Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine in London und das neue Sanktionspaket der EU gegen Russland ein. Bei der Konferenz habe die Ukraine nicht nur staatliche Hilfe bekommen, sondern auch Zusagen der Privatwirtschaft, sich an einem Aufbau des Landes zu beteiligen.
Das Sanktionspaket der EU lobte Selenskyj als wichtig, um Russland weiter zu isolieren, «so lange das Hauptexportgut Russlands Bosheit und Tod sind». Es gehe nun vor allem darum, Wege zur Umgehung der bisherigen Sanktionen abzuschneiden.
Kiewer Geheimdienst räumt russischen Angriff ein
Der ukrainische Militärgeheimdienst HUR bestätigte derweil Berichte über einen russischen Raketenschlag gegen seine Zentrale. Die Angriffe hätten Ende Mai stattgefunden, aber «weder das gewünschte noch das verkündete Ziel erreicht», sagte der Sprecher der Behörde, Andrij Jussow gestern im ukrainischen Fernsehen. Über den Raketenschlag hatte unter anderem Russlands Präsident Wladimir Putin berichtet.
Die russische Führung hat immer wieder damit gedroht, Schläge gegen die «Entscheidungszentren» der Ukraine zu führen. Erste Informationen über einen Angriff auf die HUR-Zentrale tauchten am 29. Mai auf. Offiziell gab es damals keine Stellungnahme aus Kiew. Zu den Folgen des Angriffs wollte sich Jussow weiter nicht äußern. Das werde er erst nach dem Krieg tun.
Opferzahl nach Flutkatastrophe auf über 60 gestiegen
Mindestens 62 Menschen kamen in der südukrainischen Region Cherson nach der Zerstörung des Kachowka-Staudammes vor rund zwei Wochen ums Leben. Russische Besatzungsbehörden sprachen gestern auf Telegram von 41 Toten an dem von Russland okkupierten Südufer des Dnipros. Die ukrainischen Behörden gaben die Anzahl der Toten auf der anderen Seite des Flusses mit mindestens 21 an. Vermutet wird, dass die tatsächlichen Opferzahlen höher sind.
Von der Leyen: Russisches Vermögen soll Ukraine zugutekommen
Die EU will eingefrorenes russisches Vermögen für die Unterstützung der Ukraine einsetzen. Dafür werde die EU-Kommission noch vor der Sommerpause einen Plan vorlegen, sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen bei einer Wiederaufbaukonferenz für die Ukraine gestern in London. Sie fügte hinzu: «Der Täter muss zur Verantwortung gezogen werden».
Ähnlich äußerte sich Bundesaußenministerin Annalena Baerbock am Rande der Konferenz. Für den Wiederaufbau der Ukraine sei es essenziell, dass Moskau mittelfristig in die Pflicht genommen werde, sagte die Ministerin. Russland habe die Schäden in der Ukraine verursacht.
Putin bekräftigt Ausbau von Russlands Nuklearstreitkräften
Russland zeigt derweil keine Anzeichen, in dem Konflikt zurückzustecken. Im Gegenteil: Rund 16 Monate nach Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine bekräftigte Präsident Putin die geplante Stärkung der eigenen Nuklearstreitkräfte. Bei einer Veranstaltung mit Absolventen von Universitäten der Streitkräfte stellte Putin laut der Nachrichtenagentur Interfax gestern einmal mehr die baldige Indienststellung der neuen, mit Atomsprengköpfen bestückbaren Interkontinentalrakete vom Typ Sarmat in Aussicht. Ursprünglich war das allerdings schon für 2022 geplant gewesen.
Seit dem von ihm angeordneten Einmarsch in die Ukraine am 24. Februar 2022 rief Putin mit nuklearen Drohungen international mehrfach Kritik hervor. Für besondere Empörung sorgte etwa seine Ankündigung, taktische Atomwaffen im verbündeten Nachbarland Belarus zu stationieren. Dem Kreml zufolge soll die Verlegung Ende des Jahres abgeschlossen sein.
Was heute wichtig wird
Neben der Wiederaufbau-Konferenz geht auch die ukrainische Offensive zur Befreiung der von Russland besetzten Gebiete weiter. Trotz der von Selenskyj verkündeten Fortschritte ist bisher kein Durchbruch für Kiew in Sicht. Die russischen Verteidigungslinien an der 815 Kilometer langen Front gelten als massiv gesichert.