Krieg gegen die Ukraine: So ist die Lage
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sieht die heute in London beginnende Wiederaufbau-Konferenz als neue Stärkung für sein vom russischen Angriffskrieg gezeichnetes Land. «Eine wiederaufgebaute Ukraine, eine transformierte Ukraine, eine stärkere Ukraine ist (…) ein Sicherheitsgarant, ein Schutz gegen jedwede Form von russischem Terror», sagte Selenskyj in seiner gestern in Kiew verbreiteten abendlichen Videobotschaft. Bei dem Treffen, das bis morgen andauert, wollen Staaten und große Konzerne Hilfen für den Wiederaufbau der Ukraine ankündigen.
«Die ersten Treffen haben bereits begonnen in London», sagte Selenskyj. Es habe schon Gespräche für die Wiederaufbau-Hilfen in Deutschland, in der Schweiz, in Frankreich und Italien gegeben. Es gehe dabei nicht nur um Bauprojekte, sondern auch um einen Schutz für die Ukraine, sagte der Präsident. Er selbst wolle heute per Video seine Philosophie von einer ukrainischen Transformation vorstellen, noch Ende des Monats solle dann im Land selbst die «komplette Vision» präsentiert werden.
Stromausfälle in der ukrainischen Hauptstadt Kiew
In der ukrainischen Hauptstadt Kiew kam es zu größeren Stromausfällen. Laut Angaben der Militärverwaltung der Dreimillionenstadt waren rund 100.000 Haushalte von Abschaltungen betroffen. Bilder zeigten zudem stillstehende Straßenbahnen. Als Ursache für den ausgefallenen Strom in fünf Stadtbezirken wurde ein «Systemausfall im Stromnetz» genannt. Dem Stromversorger DTEK zufolge sei auch das Kiewer Umland betroffen.
Baerbock und Schulze bei Wiederaufbaukonferenz in London
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) wird zu der zweitägigen Ukraine Recovery Conference erwartet. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie private Unternehmen zu Investitionen in das Land ermutigt werden können. Auch US-Außenminister Antony Blinken und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) nehmen teil. Erwartet wird auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Wie die britische Regierung mitteilte, signalisierten bereits Hunderte internationale Unternehmen, sich am Wiederaufbau der Ukraine beteiligen zu wollen. Um den Firmen mehr Sicherheit zu bieten, werde der Rahmen für Kriegsrisikoversicherungen geschaffen, die von den G7-Staaten gedeckt seien. Auf der Tagesordnung steht etwa das Thema Investitionsgarantien, mit denen das Risiko für Unternehmen von staatlicher Seite reduziert werden kann. Kiew soll aber auch in die Pflicht genommen werden, Reformen umzusetzen, um beispielsweise die Korruption in dem Land in den Griff zu bekommen.
Blinken mahnte Kiew gestern bei einem Treffen mit seinem britischen Kollegen James Cleverly in London, die demokratischen Institutionen zu stärken. Er sagte dafür auch die Unterstützung der USA und weiterer Verbündeter zu. Im kommenden Jahr will Deutschland die Ukraine Recovery Conference ausrichten.
Kiew: Ukrainische Armee aktiv gegen Feind im Süden und Osten
In seiner Videobotschaft sagte Selenskyj einmal mehr, dass die ukrainischen Kämpfer aktiv gegen die russischen Besatzer vorgingen. «Jetzt zerstören unsere Kämpfer den Feind sehr aktiv im Süden und im Osten und reinigen die Ukraine physisch», sagte Selenskyj. «Das wird in der Zukunft weitergehen.»
Die ukrainische Vize-Verteidigungsministerin Hanna Maljar teilte am Abend mit, dass die russischen Truppen teils heftigen Widerstand leisteten und Gebiete verminten. Im Süden laufe die Offensive nach Plan, sagte sie. Mit keinen großen, aber überzeugten Schritten gehe es voran. Zuletzt hatte die Ukraine Geländegewinne verzeichnet und mehrere Dörfer befreit. Maljar sagte, dass einige ukrainischen Kräfte auch in der Defensive und die Russen wiederum in der Offensive seien. Sie betonte erneut, der Hauptschlag der Offensive stehe noch bevor.
London: Russland verstärkt Verteidigungsanlagen an der Krim
Russland baut seine Verteidigungsanlagen in den besetzten Gebieten in der Ukraine nach Informationen britischer Geheimdienste weiter aus. Vor allem in der Nähe der bereits 2014 völkerrechtswidrig annektierten Halbinsel Krim seien erhebliche Anstrengungen unternommen worden, teilte das Verteidigungsministerium in London mit. «Dazu gehört eine ausgedehnte Verteidigungszone von 9 Kilometern Länge, 3,5 km nördlich der Stadt Armjansk, auf der schmalen Landbrücke, die die Krim mit dem Gebiet Cherson verbindet», betonte die Behörde.
Die ausgeklügelten Verteidigungsstellungen unterstreichen London zufolge die russische Einschätzung, dass die ukrainischen Streitkräfte in der Lage sind, die Krim direkt anzugreifen. «Für Russland hat die Aufrechterhaltung der Kontrolle über die Halbinsel weiterhin höchste politische Priorität», hieß es weiter. An mehreren Frontabschnitten in der Südukraine werde weiter heftig gekämpft.
Stoltenberg: Nato unterstützt Ukraine bei Modernisierung des Militärs
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg stellte der Ukraine weitere Hilfen für die Modernisierung des Militärs des Landes in Aussicht. «Im Zuge des Gipfels werden die Alliierten ein mehrjähriges Hilfspaket verabschieden, das die Ukraine an Nato-Standards heranführen wird», sagte Stoltenberg dem «Tagesspiegel» mit Blick auf das Treffen der Staats- und Regierungschefs der 31 Mitgliedstaaten im Juli in der litauischen Hauptstadt Vilnius.
«Mit unserer Hilfe soll das ukrainische Militär den Übergang schaffen von einer Armee nach altem sowjetischen Muster hin zu einer modernen Streitmacht, die nach Nato-Standards arbeitet.»
US-Regierung setzt Kosten zu hoch an
Wegen falsch berechneter Kosten bei der Militärhilfe für die Ukraine hat die US-Regierung mehr als 6 Milliarden Dollar zusätzlich zur Unterstützung Kiews zur Verfügung. «In einer erheblichen Anzahl von Fällen wurden bei den Dienstleistungen Wiederbeschaffungskosten anstelle des Nettobuchwerts zugrunde gelegt, wodurch der Wert der aus US-Beständen entnommenen und der Ukraine bereitgestellten Ausrüstung überschätzt wurde», sagte Pentagon-Sprecherin Sabrina Singh.
Dadurch hat Washington nun 6,2 Milliarden Dollar (rund 5,7 Milliarden Euro) zusätzlich zur Verfügung. Das Verteidigungsministerium hat eigenen Angaben zufolge die Befugnis, das Geld für Militärhilfe zu verwenden und betonte, es gebe keine Auswirkungen auf weitere Hilfspakete.
UN-Generalsekretär enttäuscht über Umsetzung des Getreideabkommens
Derweil droht der Ukraine ein Stopp ihrer Getreideexporte über das Schwarze Meer. UN-Generalsekretär António Guterres zeigte sich «enttäuscht» vom derzeitigen Zustand der Umsetzung des Getreideabkommens zwischen Russland und der Ukraine. Unter anderem würden die Schiffe mittlerweile langsamer inspiziert, sodass weniger Frachter ukrainische Häfen erreichten und verließen und deshalb weniger Getreide bei den Empfängern ankomme, sagte Guterres laut einem Sprecher gestern in New York. Die durch das Abkommen ermöglichten Lebensmittel-Exporte seien im Mai im Vergleich zum vergangenen Oktober um rund drei Viertel gesunken.
Der Getreidedeal zwischen Russland und der Ukraine war im vergangenen Sommer unter Vermittlung der UN und der Türkei geschlossen worden und beendete Moskaus Seeblockade ukrainischer Häfen. Das Abkommen wurde bereits mehrfach verlängert, zuletzt aber nur noch um jeweils zwei Monate. Die aktuelle Verlängerung gilt bis etwa Mitte Juli.