Frankreich rüstet sich für dritte Krawallnacht
Im Großraum Paris und weiteren französischen Städten hat die Polizei in der Nacht mit einem massiven Aufgebot versucht, erneute Krawalle nach dem Tod eines Jugendlichen bei einer Polizeikontrolle zu verhindern. In etlichen Städten kam es dennoch erneut zu Auseinandersetzungen, wie die Zeitung «Le Parisien» und der Sender BFMTV berichteten. Wie Innenminister Gérald Darmanin in der Nacht mitteilte, gab es über 100 Festnahmen.
In Nanterre bei Paris, wo der 17-Jährige am Dienstag ums Leben gekommen war, wurde gestern Abend eine Bankfiliale in Brand gesetzt, wobei die Flammen auf ein darübergelegenes Wohngebäude übergriffen. Die Feuerwehr löschte den Brand, ohne dass Menschen zu Schaden kam.
Im Anschluss an einen Trauermarsch für den erschossenen Jugendlichen in Nanterre gab es dort gestern Abend bereits Auseinandersetzungen zwischen Protestierenden und der Polizei. Die Beamten wurden mit Molotow-Cocktails beworfen, die Polizei überwachte die Lage mit Hubschraubern und zog Spezialkräfte zusammen, 19 Menschen wurden festgenommen. In der Hafenstadt Marseille gerieten Hunderte Protestierende mit der Polizei aneinander, Geschäfte wurden geplündert und 14 Menschen festgenommen.
In Lille, Lyon und in Bordeaux kamen Spezialeinheiten der Polizei zum Einsatz. In Grenoble wurde ein Bus mit Feuerwerkskörpern beschossen und die Beschäftigten der Verkehrsbetriebe legten daraufhin die Arbeit nieder.
Auseinandersetzungen in Brüssel
Auch in der belgischen Hauptstadt Brüssel kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und Ordnungskräften. Nach Angaben der belgischen Nachrichtenagentur Belga wurden etwa 30 Menschen festgenommen, ein Großteil davon waren Minderjährige. Jugendliche hätten sich ein Katz-und-Maus-Spiel mit den Ordnungskräften geliefert und es habe mehrere Brände gegeben, erklärte die Polizei. Wie die Brüsseler Verkehrsgesellschaft auf Twitter mitteilte, wurde ein Teil des öffentlichen Personennahverkehrs eingestellt.
Belgische Medien zeigten Bilder eines brennenden Autos und von Polizisten in Kampfmontur. Laut Polizei hatten Jugendliche am Donnerstag in sozialen Netzwerken dazu aufgerufen, sich als Reaktion auf den Tod des 17-Jährigen in Frankreich zu versammeln. Spannungen gab es laut Belga vor allem rund um das zentral gelegene Stadtviertel Anneessens.
Tödlicher Schuss aus der Dienstwaffe
Eine Motorradstreife hatte den 17-Jährigen am Dienstagmorgen in Nanterre am Steuer eines Autos gestoppt. Als der junge Mann plötzlich anfuhr, fiel der tödliche Schuss aus der Dienstwaffe des Polizisten. Mit Bildern der Videoüberwachung, Amateurvideos und Zeugenaussagen hätten sich die Umstände der Kontrolle rekonstruieren lassen, teilte die Staatsanwaltschaft am Donnerstag mit.
Der 17-Jährige sei demnach mit zwei Beifahrern mit hohem Tempo in Nanterre unterwegs gewesen und dabei über eine Busspur gefahren. Ein erster Versuch der zwei Polizisten, ihn an einer Ampel zu stoppen, sei gescheitert. Der junge Mann sei bei Rot davongefahren und habe seine Flucht auch über Gehwege fortgesetzt. Als die Beamten ihn etwas später einholen und stoppen konnten, richteten demnach beide auf Höhe der Fahrertür ihre Waffen auf den 17-Jährigen und forderten ihn zum Abschalten des Motors auf. Als der Verdächtige plötzlich losfuhr, gab ein Beamter einen Schuss ab, wie es weiter hieß.
Opfer war nur mit Verkehrsdelikten auffällig geworden
Die Staatsanwaltschaft stellte klar: Bei der Polizei aufgefallen war der Fahrer bisher nur mit Verkehrsdelikten, in dem sportlichen Wagen wurden keine Drogen oder anderen verbotenen Gegenstände gefunden.
Nicht nur aus dem linken Spektrum kam der Vorwurf, die Polizei trete repressiv und mit übermäßiger Gewalt auf. Innenminister Darmanin und andere Politiker betonten indes, der Respekt für die Beamten sei in vielen Vierteln miserabel, zugleich setzten die Polizisten bei Kontrollen ihr Leben aufs Spiel.
Eine grundlegende Polizeireform forderte nicht nur der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon, sondern auch die Polizeigewerkschaft CGT Intérieur, wie die Zeitung «Le Parisien» am Donnerstag berichtete. Der Einsatz der Staatsmacht und das Funktionieren der Polizei müssten reformiert werden, meinte die Gewerkschaft. «Es ist eine andere Polizei, die wir benötigen.»
Dabei war den Beamten der Griff zur Waffe zuletzt noch erleichtert worden. Ein Gesetz von 2017 regelt, dass diese schießen dürfen, wenn Menschen sich einer Verkehrskontrolle widersetzen und die Beamten aus Notwehr zur Waffe greifen. 13 Tote gab es 2022 in solchen Situationen, bei denen allerdings Kriminelle teils direkt auf die Polizisten zurasten.