Extremismus

Expertenbericht: Muslimfeindlichkeit weit verbreitet

Das Kopftuch und andere Merkmale können bei manchen für Vorbehalte und Feindseligkeit sorgen. Viele Muslime und Migranten erfahren regelmäßig Diskriminierungen - nicht nur von ganz rechts.

Expertenbericht: Muslimfeindlichkeit weit verbreitet

Feindlichkeit gegenüber Muslimen und dem Islam ist nach dem Abschlussbericht des Unabhängigen Expertenkreises Muslimfeindlichkeit (UEM) weit verbreitet. «Muslimfeindlichkeit ist eine Alltagserfahrung für sehr viele Menschen in diesem Land», betonte der Koordinator des Expertenkreises, Mathias Rohe.

Die neun Mitglieder des Gremiums stellten das 400-seitige Papier mit dem Titel «Muslimfeindlichkeit - Eine deutsche Bilanz» am Donnerstag gemeinsam in Berlin vor. Der damalige Innenminister Horst Seehofer (CSU) hatte das Gremium im September 2020 unter dem Eindruck der rassistischen Anschläge von Hanau einberufen.

Etwa ein Drittel der muslimischen Bevölkerung erfahre regelmäßig Diskriminierung, sagte UEM-Mitglied Yasemin El-Menouar. Rohes Stellvertreterin Karima Benbrahim erklärte: «Es betrifft alle in dieser Gesellschaft, und nicht nur die Betroffenen.»

«Wir müssen nachlegen im Kampf gegen antimuslimischen Rassismus»

Der Kreis definiert Muslimfeindlichkeit als «die Zuschreibung pauschaler, weitestgehend unveränderbarer, rückständiger und bedrohlicher Eigenschaften» gegenüber Muslimen und Musliminnen und als solche wahrgenommenen Menschen. «Dadurch wird bewusst oder unbewusst eine «Fremdheit» oder sogar Feindlichkeit konstruiert.» Für Betroffene seien das keine Einzelereignisse, sondern wiederkehrende und mitunter sehr belastende Erfahrungen. «Das bewirkt etwas für die Betroffenen, es trifft sie hart», sagte Rohe. Sie wüssten allerdings oft nicht von Beratungsangeboten und zeigten Übergriffe auch selten an, schreiben die Autoren des Berichts.

Das Phänomen sei weit verbreitet, schreiben die Fachleute aus Wissenschaft und Verbänden. So stimme laut Untersuchungen etwa jeder beziehungsweise jeder Zweite muslimfeindlichen Aussagen zu. Vorurteile gegen Zuwanderer und Muslime als Anhänger einer angeblich besonders rückständigen Religion überschnitten sich, Betroffene würden gleich doppelt stigmatisiert. Unterstellt werden demnach mangelnde Integrationsfähigkeit, der Islam werde pauschal mit Gewalt, Extremismus und Rückständigkeit verknüpft. Praktische Auswirkungen gebe es besonders bei Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, etwa für Frauen mit Kopftuch.

Die Antirassismus-Beauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan (SPD), erklärte: «Wir müssen nachlegen im Kampf gegen antimuslimischen Rassismus! Antimuslimische Einstellungen und Diskriminierungen haben ein erschreckendes Ausmaß in unserer Gesellschaft angenommen, sie sind zum Teil regelrecht «normal».» Die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, verlangte: «Wir brauchen mehr Beratungsstellen und einen besseren Diskriminierungsschutz für Menschen, die von antimuslimischem Rassismus betroffen sind.»

Muslimische Frauen: Werden nicht selbstbestimmt wahrgenommen

Muslimfeindlichkeit hänge mit anderen Formen der Menschenfeindlichkeit zusammen, schreibt der UEM, etwa mit einer Tendenz zu antisemitischen Haltungen.

Betroffene erführen Ausgrenzung und Diskriminierung bis hin zu Gewalt, so die Experten. Muslimische Frauen berichteten, dass sie als nicht selbstbestimmt wahrgenommen würden; muslimische Männer wiederum erzählten, sie würden als aggressiv und gewalttätig wahrgenommen. Kinder und Jugendliche erführen diese Wahrnehmungen bereits in der Schule. Bei Tests würden Jugendliche mit arabischen oder türkischen Namen negativer beurteilt, als es ihrem Leistungsvermögen entspreche. Es brauche mehr entsprechende Weiterbildungsangebote für Lehrkräfte.

In großen deutschen Medien werden der Islam sowie Musliminnen und Muslime nach einer repräsentativen UEM-Studie häufig in einem negativen Kontext behandelt. Es gehe oft um von ihnen ausgeübte Gewalt, die Debatte sei auf religiöse Faktoren verengt - gegen sie gerichtete, in der Regel rechtsextreme Gewalt sei hingegen ein Randthema. Es fehlten Darstellungen ihrer täglichen Lebenswelt.

Ähnliches habe eine Analyse deutscher Filme ergeben. Knapp 90 Prozent der untersuchten Werke wiesen einen «thematischen Negativbezug» auf: Geschichten drehten sich um Terroranschläge, Radikalisierung, Kriege und die Unterdrückung von Frauen.

Soziale Medien bilden «toxischen Diskursraum»

Die Expertenbewertung von Diskussionen in sozialen Netzwerken fällt vernichtend aus: «Deutsche soziale Medien bilden demnach einen «toxischen Diskursraum», dessen rassistische Sprechakte pogromartige Gewalt wie in Hanau fördern können.» Positiv sei, dass gerade Instagram und You-Tube-Kommentare Raum schafften für eine gewisse Gegenöffentlichkeit gerade für junge Menschen.

Auch bei Behörden und Politik fällt das Fazit der Experten gemischt aus. Zu wenig Beachtung fänden rechtsextreme Muslimfeindlichkeit in Verfassungsschutzberichten und intransparente Regelungen zur Ablehnung von Muslimen, die im öffentlichen Dienst arbeiten wollten. Studien deuteten auf eine hohe Anfälligkeit in der Polizei für muslimfeindliche Motive hin. Bei der Verfolgung muslimfeindlicher Straftaten durch die Polizei gebe es Lücken.

Im Bundestag sei die AfD die einzige Partei mit einem «manifest muslimfeindlichen Programm». In der CDU/CSU und gelegentlich auch in anderen Parteien gebe es latente Formen. Mit Ausnahme der AfD würden alle aber inzwischen das Problem im Grundsatz anerkennen.

Bundesinnenministerin Faeser: Befunde sind «bitter»

Die Experten empfehlen der Bundesregierung die Ernennung eines Bundesbeauftragten für die Bekämpfung von Muslimfeindlichkeit. Ihm oder ihr zur Seite solle ein Sachverständigenrat stehen. Sie plädieren auch für eine Strategie zur Förderung der Teilhabe von Menschen «mit muslimischen Identitätsbezügen» in allen staatlichen Einrichtungen, mit bindenden Zielvorgaben, Öffentlichkeitsarbeit und gezielten Kampagnen. Für Beschäftigte staatlicher Einrichtungen wie Lehrerinnen, Erzieher oder Polizisten solle es Fortbildungen geben, in den Schulen müsse die Auseinandersetzung mit Muslimfeindlichkeit verpflichtend werden.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die den Bericht nach Angaben ihres Hauses wegen eines anderen Termins nicht selbst entgegennahm, versprach eine intensive Beschäftigung damit. Muslimisches Leben gehöre selbstverständlich zu Deutschland, alle sollten die gleichen Chancen und Rechte haben. «Umso bitterer sind die Befunde dieses ersten umfassenden Berichts zur Muslimfeindlichkeit in Deutschland.» Es sei sehr wichtig, ein Bewusstsein für noch weit verbreitete Ressentiments zu schaffen.