EU hält sich mit Sicherheitsgarantien für Kiew zurück
Die Europäische Union sagt der Ukraine weitere umfassende Unterstützung zu, hält sich aber mit Sicherheitsgarantien für die Zeit nach Ende des russischen Angriffskriegs zurück. Beim EU-Gipfel in Brüssel konnten sich die 27 Mitgliedstaaten gestern nur auf eine vage Absichtserklärung für «künftige Sicherheitszusagen» verständigen. Sorge macht den EU-Staaten die mögliche Verlegung von russischen Söldnern der Gruppe Wagner nach Belarus. Östliche Länder wie Polen, Litauen oder Lettland fürchten um die Sicherheit der EU-Außengrenze.
Die Unterstützung der Ukraine ist eines der Topthemen des zweitägigen Gipfels. Auf der Tagesordnung standen zudem die künftige Migrationspolitik der EU und die wirtschaftliche Lage der Gemeinschaft sowie das Verhältnis zu China. Zu Beginn äußerten sich viele Gipfel-Teilnehmer aber vor allem zur unklaren Lage in Russland nach der Konfrontation des Wagner-Chefs Jewgeni Prigoschin mit Präsident Wladimir Putin.
Prigoschin hatte am Samstag unvermittelt einen Marsch auf Moskau abgeblasen und sich bereit erklärt, ins EU-Nachbarland Belarus überzusiedeln – mit einer unbekannten Zahl von Söldnern. Die EU-Staats- und Regierungschefs berieten zu Beginn ihres Gipfels mit Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Ein EU-Diplomat sagte anschließend, es sei klar, dass die Stationierung russischer Atomwaffen in Belarus in Kombination mit der Verlegung von Söldnern ein «explosiver Cocktail» werden könnte. Die Situation sei instabil. Aber die EU müsse ruhig bleiben und die Ukraine weiter unterstützen.
Scholz: Unser Ziel ist eine unabhängige Ukraine
Bundeskanzler Olaf Scholz stellte klar: «Unser Ziel hier ist nicht ein Regierungswechsel, ein Regime Change in Russland. Unser Ziel, das wir verfolgen, ist eine unabhängige Ukraine.» Auf Nachfrage erinnerte er an das Nato-Beistandsversprechen für alle Mitgliedsstaaten: «Jeder Angriff auf Nato-Territorium ist eine Sache, die wir gemeinsam beantworten werden.» Auf eine Frage zu möglichen Sicherheitsgarantien für die Ukraine nach Ende des Kriegs sagte Scholz: «Wir haben uns als Staaten verpflichtet, dass wir auch zukünftig der Ukraine etwas schulden, was ihre Sicherheit betrifft.»
Die Gipfelerklärung zum Punkt Sicherheitszusagen fiel dann sehr vage aus. Grund für die zurückhaltende Wortwahl war die Haltung von Ländern wie Österreich, Irland und Malta. Sie wollen militärisch neutral bleiben und sind deswegen auch nicht Mitglied der Nato. Der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer sagte zum Thema Sicherheitsgarantien: «Da ist es für uns als neutrale Staaten klar, dass es diese so nicht geben kann.»
Konkreter wurde die Gipfelerklärung an zwei anderen Punkte: Die EU-Staaten wollen die Ukraine stärker bei den Planungen für einen internationalen Friedensgipfel unterstützen, der nach Vorstellungen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in der Schweiz organisiert werden könnte. Der andere Punkt: Die EU bietet der Ukraine nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms weitere Hilfe an, zusätzlich zur bereits laufenden Katastrophenschutzhilfe.
Polen sichert Ostgrenze
Polen hatte am Mittwochabend bekanntgegeben, wegen der geplanten Verlegung von Wagner-Söldnern nach Belarus seine Ostgrenze noch stärker sichern zu wollen. Geplant sei sowohl eine Aufstockung der uniformierten Kräfte als auch stärkere Befestigungen für den Fall eines Angriffs, sagte Vize-Regierungschef Jaroslaw Kaczynski.
Der lettische Regierungschef Krisjanis Karins sagte beim Gipfel, die Tatsache, dass in Belarus eine unbekannte Zahl von ausgebildeten Kämpfern stationiert werde, könne zur Bedrohung werden. «Die Bedrohung wäre wahrscheinlich nicht eine frontal militärische, sondern der Versuch der Infiltration Europas für unbekannte Zwecke. Das bedeutet, dass wir den Grenzen besondere Aufmerksamkeit widmen müssen und sicherstellen müssen, dass wir das kontrollieren können.» Litauen kündigte bereits stärkere Kontrollen an seinen Grenzen zu Russland und Belarus an.
Überschattet werden könnte der Gipfel vom Streit über die Begrenzung von Migration und die Verteilung von Geflüchteten in der EU. Ungarn und Polen hatten sich zuletzt sehr kritisch über den von den EU-Innenministern erreichten Kompromiss geäußert und eine Vetodrohung in den Raum gestellt. Bundeskanzler Scholz zeigt sich davon jedoch unbeeindruckt. Der vereinbarte Solidaritätsmechanismus sei ein großer Durchbruch und etwas, das man schon lange zuvor gebraucht hätte, sagte der SPD-Politiker.