Der beeindruckende Boom des Frauen-Radsports
Fragt man Lisa Brennauer nach dem beeindruckenden Aufschwung des Frauen-Radsports, verweist sie schlicht auf Parkplätze. Dort stehen heutzutage vor den Rennen große Reisebusse, Camper und Lkw.
Ein Unterschied zu den Männern ist kaum wahrnehmbar. «Früher mussten wir im Sommer auf Klapptstühlen in der Hitze rumbraten», erinnert sich Brennauer. Diese Klappstuhlzeiten sind gar nicht so lange her, nicht einmal ein Jahrzehnt.
Mindestlohn liegt bei 32 000 Euro pro Jahr
Was sich in den vergangenen Jahren getan hat, ist beachtlich. Die TV-Präsenz ist x-mal so hoch, Preisgelder wurden denen der Männer angeglichen, es gibt eine Vielzahl neuer Sponsoren. Die Fahrerinnen haben Rechte, von den Frauen in anderen Sportarten nicht einmal zu träumen wagen. Es gibt einen Mindestlohn, der aktuell bei 32 000 Euro pro Jahr liegt, dazu gibt es eine Art Altersvorsorge ebenso wie bezahlte Elternzeit.
Es gibt allerdings einen Haken: Die aufgezählten Leistungen gelten nur für die World Tour, das oberste Level des Sports. Darunter sieht die Welt deutlich anders aus, weshalb Brennauer betont: «Es wurde viel erreicht, aber es gibt noch eine Menge zu tun.»
Brennauer strotzt vor Optimismus
Brennauer ist Teil des Booms. Die Olympiasiegerin ist Sportliche Leiterin des Grand Prix Stuttgart, einem neuen Rennen, das am 16. Juli seine Premiere feiert. Manch einer muss sich kneifen, dass es in Deutschland überhaupt noch neue Radrennen gibt. Brennauer strotzt vor Optimismus, sieht das Rennen als Chance, nicht als Risiko. «Das ist hoffentlich der Anfang dafür, dass es mehr internationalen Frauen-Radsport in Deutschland geben wird», sagt die 34-Jährige. Auch das Fernsehen ist dabei, der SWR überträgt ab 14.00 Uhr.
In der Hauptstadt feiert zuvor die Tour de Berlin nach mehr als 30 Jahren ihr Comeback. Die Thüringen-Rundfahrt, lange Zeit die letzte Bastion des Sports hierzulande, will im nächsten Jahr zur World Tour gehören. «Der Unterschied zu der Zeit, als ich 2001 mit dem Radsport begonnen habe, ist gigantisch. Egal, welchen Bereich man sich herauspickt. Die Infrastruktur, die Gehälter, die Wettkampforganisation, die Sichtbarkeit. Da ist richtig viel passiert, und in den letzten beiden Jahren hat es noch einmal eine Explosion gegeben», sagt Brennauer.
Im vergangenen Jahr beendete sie in München ihre Karriere. Sie ist stolz darauf, Teil der Bewegung gewesen zu sein, die den Sport dahin gebracht hat, wo er nun steht. Einfach war es beileibe nicht. Der mächtige belgische Teamchef Patrick Lefevere wurde vor zwei Jahren gefragt, ob er nicht auch eine Frauen-Mannschaft auf die Beine stellen möge. «Ich bin nicht die Wohlfahrt», blaffte der 68-Jährige. Heute hat er eine Mannschaft, für die die erfahrene Romy Kasper fährt.
«Können Sport noch professioneller betreiben»
Lefevere musste zum Umdenken gezwungen werden. Heißt: Er musste es finanziell spüren. Ein Co-Sponsor zog sich nach dessen Aussagen zurück und unterstützte fortan eine andere Mannschaft und begründete dies mit dem dort größeren Stellenwert des Frauen-Radsports.
Einen einzigen Beschleuniger für die Entwicklung gab es nicht. Vielmehr haben diverse Player in dem Markt an einem Strang gezogen. «Die UCI zog mit der Einführung der World Tour, dem Mindestlohn, der Absicherung bei Schwangerschaften. Die Teams haben richtig Gas gegeben, es sind neue Sponsoren dazugekommen, die Fahrerinnen können jetzt den Sport noch professioneller betreiben», erklärt Brennauer. Rennveranstalter zogen mit, seit 2022 gibt es wieder eine Tour de France, davor das erste Paris-Roubaix Femmes. Zudem kommt die deutlich erhöhte TV-Präsenz aller World-Tour-Rennen.
Die Entwicklung war nicht nur finanziell positiv. Durch das Engagement von Männer-Teams wurde viel Wissen geteilt. Rennen werden taktisch mit moderner Technik besprochen, es werden Performance Manager und Ernährungsberater angestellt. Fahrerinnen können ihr Potenzial deutlich besser ausschöpfen und erfahren eine größere Unterstützung als früher.
Natürlich gibt es Baustellen. Im vergangenen Jahr fuhren 23 Prozent der Fahrerinnen ohne Gehalt. «Es gibt auf jeden Fall diese Kluft. Man hat die unheimlich gut aufgestellten Teams in der World Tour und danach geht es rapide nach unten», sagt Brennauer. Außerdem hält die Entwicklung der Fahrerinnen nicht mit der des Rennkalenders mit. Der Kalender wächst, aber es gibt noch nicht genügend Fahrerinnen auf dem entsprechenden Niveau. Dies braucht Zeit – und die wird dem Sport gegeben.