Briten verloren nach Brexit-Votum Vertrauen in Politiker
Katerstimmung statt «Brexit»-Jubel in Großbritannien: Sieben Jahre nach dem Brexit-Referendum würde eine Mehrheit der Briten gerne wieder zurück in die EU. Im Durchschnitt aktueller Umfragen sprachen sich 59 Prozent der Menschen im Vereinigten Königreich für einen Wiedereintritt aus, resümierte der renommierte Politikwissenschaftler John Curtice am Freitag zum siebten Jahrestag im «Guardian». Ein erneutes Referendum ist allerdings nicht in Sicht.
Am 23. Juni 2016 hatten 52 Prozent der Wähler im Vereinigten Königreich für den Brexit gestimmt, 48 Prozent waren dagegen. Von «Bregret», einer Wortschöpfung aus «Brexit» und «regret» (Reue) kann trotz des Stimmungsumschwungs nicht ganz die Rede sein. Denn noch immer würden drei Viertel der damaligen Brexit-Wähler die gleiche Entscheidung wieder treffen, wie Curtice ausführt. «Die Ansichten vieler Menschen zum Brexit sind tief verwurzelt», schrieb Curtice.
Gut ein Drittel einverstanden mit Status quo
Einverstanden mit dem Status quo ist einer Umfrage im Auftrag des Tony-Blair-Instituts zufolge, die am Freitag veröffentlicht wurde, gut ein Drittel der Befragten: 36 Prozent wollen nicht zurück in die EU, 34 Prozent finden den Austritt nach wie vor richtig, wie die von Deltapoll durchgeführte Erhebung ergab. Der vom ehemaligen Premierminister Tony Blair gegründete Thinktank betonte, vor allem junge Menschen, die mittlerweile das Wahlalter erreicht hätten, seien pro-europäischer eingestellt als ältere Wählergruppen.
Als Erfolg sieht den Brexit inzwischen nur noch jeder Zehnte Brite, wie eine Umfrage vom Donnerstag im Auftrag der Londoner Denkfabrik UK in a Changing Europe ergab. Eine Mehrheit von 52 Prozent der Briten ist hingegen der Meinung, dass der Brexit kein Erfolg war. Genauso viele glauben, dass der EU-Austritt der britischen Wirtschaft geschadet hat. Selbst bei denjenigen, die für den Austritt stimmten, zeigten sich nur 18 Prozent mit dem Ergebnis zufrieden.
Vertrauen in britische Politiker verloren
Der Umfrage zufolge ist zudem unabhängig von der Meinung zum Brexit das Ansehen der Politiker im Land inzwischen schwer erschüttert. Drei Viertel aller Befragten gaben demnach an, in den vergangenen Jahren das Vertrauen in britische Politiker verloren zu haben.
Das Tony-Blair-Institute forderte die Regierung auf, sich freiwillig zu EU-Regeln für Produktstandards und Lebensmittelsicherheit zu verpflichten. Dies könne eine Grundlage für Verhandlungen mit der Staatengemeinschaft über eine engere Handelsbeziehung sein.
«Unsere Umfrageergebnisse zeigen, dass eine große Mehrheit der Briten der Ansicht ist, dass der Brexit in seiner jetzigen Form nicht funktioniert und eine Annäherung des Vereinigten Königreichs an die EU begrüßen würde», sagte Studienautor Anton Spisak.
London und Brüssel nähern sich an
Unter dem amtierenden Premierminister Rishi Sunak näherten sich London und Brüssel an. Zur Zeit der Ex-Regierungschefs Boris Johnson und Liz Truss war das Verhältnis stark gestört. Allerdings steht die konservative britische Regierung weiter unter Druck von Hardlinern, die fordern, durch den Brexit erlangte Handlungsspielräume stärker auszunutzen und Gesetze aus Zeiten der Mitgliedschaft loszuwerden. Das Volk habe damals dafür gestimmt, die Kontrolle zurückzubekommen, twitterte der Tory-Abgeordnete John Redwood.
Die schottische Regionalregierung betonte, der Brexit habe dem nördlichsten britischen Landesteil schwer geschadet. Der einzige Weg, «diesen Schaden sinnvoll umzukehren und die zuvor erlebten Vorteile Schottlands wiederherzustellen, besteht darin, dass ein unabhängiges Schottland wieder der Europäischen Union beitritt», betonte der zuständige Minister Angus Robertson. Eine deutliche Mehrheit der Schotten hatte 2016 gegen den Brexit gestimmt.
Bisher gelang es London nicht, Abkommen zu schließen, die die Verluste im Handel mit der EU wettmachen. Auch das Versprechen, nach dem Brexit würden weniger Menschen nach Großbritannien einwandern und dadurch automatisch besser bezahlte Jobs für Briten entstehen, ging nicht auf. Die Migration nahm zu. Allerdings dürfte eine öffentliche Debatte ausbleiben. Wie UK in a Changing Europe ermittelte, will eine Mehrheit (54 Prozent) von dem Thema Brexit einfach nichts mehr hören.